Reform der Geschäftsordnung : Der Bundestag gibt sich neue Regeln
Das Parlament hat eine Neufassung seiner Geschäftsordnung beschlossen. Die AfD sieht darin einen Angriff auf die Opposition. Auch das Ordnungsgeld wird erhöht.
Der Bundestag hat am Donnerstag die von den Koalitionsfraktionen beantragte Neufassung der Geschäftsordnung des Bundestages beschlossen. Es ist die umfassendste Reform seit 1980. Sie tritt am 1. November in Kraft. AfD und Linke stimmten dagegen, die Grünen enthielten sich.
Zugleich verabschiedete das Parlament den Koalitionsentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, der in bestimmten Fällen Kürzungen bei der Kostenpauschale und höhere Ordnungsgelder vorsieht. Die AfD-Fraktion stimmte dagegen, Grüne und Linke enthielten sich.

Mit der Geschäftsordnung gibt sich der Bundestag selbst Regeln für die Zusammenarbeit. Die nunmehr neu gefassten Regelungen sollen der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Arbeitsweise im Parlament in den Jahren deutlich verändert hat.
Der Geschäftsordnungsausschuss hat beide Vorlagen noch verändert. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Abwahl von Vizepräsidenten von mindestens einem Drittel der Abgeordneten beantragt werden kann. Dieses Quorum wurde nun auf die Hälfte der Abgeordneten angehoben und gilt zusätzlich für die Abwahl von Ausschussvorsitzenden und Schriftführern.
Namentliche Abstimmungen müssen nun spätestens bis zum Sitzungsbeginn am jeweiligen Tag beantragt werden. Ursprünglich sollte dies bis zur Eröffnung der Abstimmung möglich sein. Hendrik Hoppenstedt (CDU) lobte dies als wichtigen ersten Schritt zur Vereinbarkeit von Familie und Mandat. Johannes Fechner (SPD) hob hervor, dass bei Vätern künftig kein Abzug von der Kostenpauschale vorgenommen wird, wenn sie in der ersten Woche nach der Geburt eines Kindes bei der Familie bleiben und im Bundestag fehlen.
Die Arbeitsweise im Parlament hat sich über die Jahrzehnte deutlich verändert
Vor Beginn der Debatte hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitsweise des Bundestages in den vergangenen 45 Jahren spürbar verändert habe. Der Vorschlag trage dem Rechnung, "indem er Verfahren neu fasst, Abläufe präzisiert und auch den Respekt voreinander in diesem Hohen Hause andressiert". Es gehe um Verlässlichkeit der Verfahren, die Würde der Debatte und den fairen Ausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit.
Die neuen Regeln im Parlament auf einen Blick
📝 Erstmals wird die Abwahl von Vizepräsidenten und Ausschussvorsitzenden geregelt. Dem Antrag muss die Hälfte der Abgeordneten zustimmen.
🗣 Die Geschäftsordnung macht nun auch Vorgaben zur Debattenkultur. Reden sollen “von gegenseitigem Respekt und der Achtung der anderen Mitglieder des Bundestages sowie der Fraktionen” geprägt sein.
💶 Die Höhe eines möglichen Ordnungsgeldes wurde verdoppelt. Verstöße können nun mit Ordnungsgeldern von 2.000 Euro geahndet werden; im Wiederholungsfall sind es 4.000 Euro.
In die Geschäftsordnung aufgenommen wurde ein Passus, wonach die Rede sowie alle anderen Beiträge zu Beratungen von gegenseitigem Respekt und der Achtung der anderen Mitglieder des Bundestages sowie der Fraktionen geprägt sein sollen. Filiz Polat (Grüne) und Ina Latendorf (Linke) ging das nicht weit genug. Beide sprachen von einer "vertanen Chance". Polat hätte sich gewünscht, dass die Koalition "klare Regeln für die Debattenkultur" festlegt, um der "Verrohung des parlamentarischen Alltags entgegenzuwirken".
AfD kritisiert “papstähnliche Vollmachten” für den Bundestagspräsidenten
Polat wie Latendorf hätten es auch befürwortet, wenn Petitionen mit mindestens 100.000 Unterstützern im Plenum beraten werden könnten. Beide unterstützten einen Änderungsantrag des fraktionslosen Abgeordneten Stefan Seidler vom SSW, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit, der mehr Rechte für Abgeordnete von Parteien nationaler Minderheiten verlangt hatte.
Hoppenstedt begründete die Ablehnung der Koalition damit, dass Abgeordnete allen Menschen in Deutschland verpflichtet seien und alle fraktionslosen Abgeordneten dieselben Rechte haben sollten.
Stephan Brandner (AfD) wertete die Änderungen als Frontalangriff auf die Opposition und das freie Mandat. Dem Bundestagspräsidenten würden "papstähnliche Vollmachten" verliehen mit der Möglichkeit, Redezeiten zu entziehen und zu erteilen. Seine Fraktion habe unter anderem feststellen lassen wollen, dass das Präsidium nicht komplett besetzt ist, solange nicht alle Fraktionen vertreten sind. Der Bundestag lehnte verschiedene Initiativen der AfD-Fraktion zur Geschäftsordnung mehrheitlich ab.
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