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Gastkommentare : Milliarden-Votum vor der Konstituierung?

Ist es politisch richtig, über dreistellige Milliarden-Summen abzustimmen, bevor der neue Bundestag zusammentritt? Malte Lehming und Stephan Hebel im Pro und Contra.

13.03.2025
True 2025-03-14T18:10:19.3600Z
3 Min

Pro

Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form ist eine Investitionsbremse

Foto: Privat
Malte Lehming
ist leitender Redakteur des Berliner "Tagesspiegel".
Foto: Privat

Deutschland geht es gut. Das private Geldvermögen beläuft sich laut Bundesbank auf 7,5 Billionen Euro. Die Zahl der Arbeitslosen ist niedrig, die Steuereinnahmen sind hoch. Die Schuldenquote des Staates liegt bei 62 Prozent der Wirtschaftsleistung - weit unter dem Durchschnitt aller Industrienationen. Aber die Fixierung auf das Ideal der "schwäbischen Hausfrau", als die sich einst Angela Merkel als Kanzlerin präsentierte, tat dem Land nicht gut. Vernachlässigt wurden die Verteidigung und Infrastruktur. Das sieht Merkel inzwischen selbst. Um Verteilungskämpfe zu vermeiden und Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, müsse die Schuldenbremse reformiert werden, meint sie.

Sie hat Recht. Wenn Deutschland ein verteidigungsfähiges, soziales, energieunabhängiges, klima- und wirtschaftsfreundliches Land werden soll, müssen Mittel in einer Größenordnung investiert werden, die die Vorgaben der Schuldenbremse übersteigen. Beispiel Bundeswehr: Nur mit Mühe wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Weil die USA unter Donald Trump kein verlässlicher Partner mehr sind, wird der künftige Bedarf auf mindestens drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes geschätzt.

Beispiel Infrastruktur: Marode Brücken und Schienennetze müssen saniert, digitale Rückständigkeiten behoben werden - bei gleichzeitig steigenden Kosten im Gesundheitswesen, bei der Pflege und der Rente. Das alles lässt sich aus dem laufenden Haushalt nicht finanzieren, ohne gravierende gesellschaftliche Verwerfungen zu riskieren. Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form ist eine Investitionsbremse. Sie schadet dem Land mehr, als sie ihm nützt. Eine Reform ist dringend geboten, solange die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag das zulassen.

Contra

Union und SPD gefährden mit ihrem Manöver das Vertrauen der Gesellschaft in gewählte Vertreter

Foto: Alex Kraus
Stephan Hebel
arbeitet als freier Journalist.
Foto: Alex Kraus

Was für eine Logik: Weil die Mehrheiten im neuen Parlament nicht passen, nehmen wir eben das alte. So lässt sich das von CDU/CSU und SPD eingeleitete Verfahren zur Mobilisierung von Geld für Rüstung und Infrastruktur beschreiben. Wer mit solchen Manövern dem Ergebnis einer Wahl ausweicht oder das auch nur versucht, gefährdet ein weiteres Mal das wichtigste "Kapital" der Demokratie, die zu verteidigen er vorgibt, nämlich das Vertrauen der Gesellschaft in ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter. Erst recht, wenn es um Änderungen des Grundgesetzes geht.

AfD und Linke, so war zu lesen, hätten nun mal im neuen Bundestag eine Sperrminorität. Das stimmt, weil Grundgesetz-Änderungen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erfordern, die es nicht geben wird, wenn beide dagegen stimmen. Es ist aber zugleich irreführend, weil die Linke ausdrücklich betont hat, bei einer Abschaffung der Schuldenbremse (die sie im Gegensatz zur AfD schon lange fordert) mitzustimmen. Sicher, eine Abschaffung ist nicht das, was Union und Sozialdemokraten wollen. Aber in einer Demokratie sollte es selbstverständlich sein, dass eine neue Regierung sich ihre Mehrheiten in dem Parlament sucht, aus dessen Wahl sie hervorgeht. Wenn sie das, was sie will, dort nicht eins zu eins bekommt, muss sie mit denen über Kompromisse verhandeln, die sie für die Mehrheit braucht, in diesem Fall also mit Grünen und Linken. Und da es ja eilt: Nichts hätte dagegen gesprochen, den neuen Bundestag früher zu konstituieren als 30 Tage nach der Wahl.

Von "staatspolitischer Verantwortung" war die Rede, als CDU/CSU und SPD um Zustimmung der Grünen warben. Aber staatspolitische Verantwortung, das könnte auch etwas ganz anderes bedeuten: die Mechanismen der Demokratie, zu deren Verteidigung man sich rüstet, nicht selbst mit solchen Manövern zu unterlaufen.

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