Aufarbeitung einer Jahrhundertkrise : Koalition will eine Corona-Enquete-Kommission einrichten
Mit einer Enquete-Kommission aus Abgeordneten und Fachleuten soll die Corona-Pandemie aufgearbeitet werden. Die Opposition fordert einen Untersuchungsausschuss.
Mehr als zwei Jahre nach dem Ende der Corona-Pandemie soll nun doch noch die systematische Aufarbeitung der Krise beginnen. Nach einem langen Vorlauf mit kontroversen Debatten über das geeignete Format verständigten sich die Regierungsfraktionen von Union und SPD auf eine Enquete-Kommission, die bis Ende Juni 2027 ihren Bericht vorlegen soll.
Eigentlich waren sich früh alle einig, dass eine Aufarbeitung sinnvoll und mit Blick auf eine mögliche weitere Pandemie in der Zukunft auch erforderlich ist. Skeptiker befürchteten jedoch, mit der Aufarbeitung könnten einzelne Politiker oder Funktionsträger, die während der Gesundheitsnotlage in der Verantwortung standen, an den Pranger gestellt werden.
Fraktionen konnten sich nicht auf ein Gremium zur Aufarbeitung der Pandemie einigen
Manche Bedenken bezogen sich auch auf die Frage, ob die betroffenen Bürger ausreichend Gehör finden könnten. Immerhin hatte zuvor schon ein mit hochkarätigen Experten besetzter Sachverständigenausschuss versucht, die staatliche Corona-Politik zu bewerten. Der Ende Juni 2022 vorgelegte Bericht fand in der breiten Öffentlichkeit aber eher wenig Widerhall.

Kinder und Jugendliche haben unter Corona-Auflagen wie Schulschließungen oder Kontaktverboten stark gelitten.
Später setzte die Ampel-Regierung das Thema Aufarbeitung wieder oben auf die Agenda. Die SPD schlug einen Bürgerrat vor, die FDP plädierte wie die Linke für eine Enquete-Kommission, die AfD forderte früh einen Untersuchungsausschuss. Und so zog sich die Entscheidung lange hin.
Besonders betroffen: Gesundheitswesen, Bildungseinrichtungen und der Sozialstaat
Nun haben die Fraktionen von Union und SPD die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur "Aufarbeitung der Corona-Pandemie" beantragt. Die Pandemie habe Bürger, Zivilgesellschaft, staatliche Institutionen, Betriebe sowie Kunst und Kultur mit Herausforderungen von historischer Tragweite konfrontiert, heißt es in dem Antrag der Fraktionen, der am Mittwoch erstmals beraten wurde.
Die Corona-Pandemie habe tiefgreifende Auswirkungen gehabt insbesondere auf das Gesundheitswesen, die Bildungseinrichtungen und den Sozialstaat und auch zu tiefgreifenden Veränderungen im Familienalltag und im Lebensalltag von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt. Zudem seien Selbstständige, Beschäftigte und Arbeitgeber sowie das kulturelle Leben vor existentielle Herausforderungen gestellt worden.
„Diese Kommission ist ein reiner Deckmantel.“
Angesichts der existenziellen Bedrohung und der tiefgreifenden Verunsicherung habe die Aufgabe darin bestanden, schwerwiegende Folgen, insbesondere für vulnerable Gruppen, bestmöglich abzuwenden. Eine umfassende, die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürgern einbeziehende und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Pandemie sowie des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns während dieser Zeit sei unerlässlich, um belastbare Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen, heißt es in dem Antrag weiter.
Ziel der Enquete-Kommission ist eine umfassende und verständliche Analyse
Die Enquete-Kommission soll ein Gesamtbild der Pandemie, ihrer Ursachen, Verläufe und Folgen einerseits sowie der staatlichen Maßnahmen andererseits umfassend und verständlich aufzeigen.
Das Ziel sei, beim Auftreten einer vergleichbaren Pandemie aus den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie heraus so vorbereitet zu sein, dass schnell, wirksam und mit einer klaren Kommunikation der Ziele gehandelt werden könne. Der Enquete-Kommission sollen 14 Mitglieder des Bundestages sowie 14 Sachverständige angehören.
Hintergrund

In der Aussprache über den Antrag hielt die Opposition der Union vor, an einer Aufarbeitung nicht interessiert zu sein. Johannes Wagner (Grüne) sprach von einem Ablenkungsmanöver, weil dem Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn (CDU) "das Wasser bis zum Hals steht". Die Kommission sei "ein reiner Deckmantel, um Ihre Amigo-Geschäfte unter den Teppich zu kehren".
Die Enquete-Kommission könne sinnvoll sein, um aus der Krise die nötigen Lehren zu ziehen, sie habe aber viel weniger Kompetenzen als ein Untersuchungsausschuss, sagte Wagner und fügte hinzu: "Eigentlich bräuchte es zusätzlich zur Enquete-Kommission einen Untersuchungsausschuss."
Opposition fordert Untersuchungsausschuss
Das sieht die Fraktion Die Linke ähnlich. Ates Gürpinar begrüßte für sie zwar die Einrichtung der Enquete-Kommission, das habe seine Fraktion schon vor Monaten gefordert, sie ersetze aber nicht "die Aufarbeitung von offensichtlichem Fehlverhalten, sagte er in Anspielung auf Spahn. Dies müsse ein Untersuchungsausschuss leisten.
Stephan Brandner (AfD) wies den "lauwarmen Antrag" der Koalitionsfraktionen zurück. "Ohne uns würde das Thema totgeschwiegen." Er forderte eine "gründliche, schonungslose und auch strafrechtliche Behandlung" der Corona-Maßnahmen. Das jahrelange Versagen auch des Parlaments könne nur durch das scharfe Schwert eines Untersuchungsausschusses aufgeklärt werden. Die AfD legte einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor.
Hendrik Hoppenstedt (CDU) sprach von einer "Jahrhundertkrise" und rief zur Mäßigung auf. In der Pandemie "wurden Entscheidungen getroffen, die wir heute im Rückblick anders bewerten". Er fügte hinzu: "Wir haben auch viel richtig gemacht." Nötig sei eine "sachliche und besonnene Bewertung der getroffenen Maßnahmen, die kein politisches Tribunal ist". Auch Dagmar Schmidt (SPD) forderte eine "ehrliche, sachliche, aber auch empathische Aufarbeitung", die sich "nicht in politischen Schuldzuweisungen verliert". Dabei müsse auch über Fehler gesprochen werden und verlorengegangenes Vertrauen. Sie mahnte, die Stärke einer Gesellschaft bemesse sich an ihrem Zusammenhalt.
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