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Verteidigungspolitik : Merz will "die konventionell stärkste Armee Europas"

Die neue Bundesregierung will die Bundeswehr massiv aufrüsten. Am Geld mangelt es nach der Aufweichung der Schuldenbremse nicht - aber an Soldaten.

16.05.2025
True 2025-05-16T11:40:30.7200Z
5 Min

Nicht weniger als die "konventionell stärkste Armee Europas" soll die Bundeswehr in den kommenden Jahren werden. So kündigte es Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am vergangenen Mittwoch in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Bundestag an. Das sei "dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas auch mehr als angemessen" und die Bundesregierung werde den Streitkräften die dafür nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.


Boris Pistorius (SPD) im Porträt
Foto: picture alliance/dts-Agentur
„Unsere Sicherheit darf nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden. Bedrohungslage geht vor Kassenlage.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)

Rund fünf Stunden nach Merz' Regierungserklärung stellte denn auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der Debatte zur Verteidigungspolitik der neuen Regierung fest: "Bedrohungslage geht vor Kassenlage." Nun muss sich Pistorius um das Geld in den kommenden Jahren keine oder deutlich weniger Sorgen machen als in der Vergangenheit. Durch die Entkopplung der Verteidigungsausgaben von mehr als einem Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) von der Schuldenbremse, die der Bundestag noch in den letzten Tagen der zurückliegenden Legislaturperiode durch eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen hatte, habe man "deutlich mehr Flexibilität und Planungssicherheit", sagte Pistorius.

Verteidigungsausgaben der Nato sollen drastisch erhöht werden

Die Grünen-Abgeordnete Sara Nanni, deren Fraktion der Grundgesetzänderung zugestimmt hatte, bestätigte, dass die Bundesregierung das Geld brauchen werde, "um die Lücken beim Material zu stopfen, um die Lücken beim Personal anzugehen". Zugleich stellte Nanni aber auch fest: “Jetzt gibt es keine Ausreden mehr.”

Foto: picture-alliance/dpa/Martin Schutt

Rund 183.000 Soldaten dienen aktuell in der Bundeswehr. 203.000 sollen es bis 2031 sein.

Auf bis zu 3,5 Prozent des BIP könnten die Verteidigungsausgaben Deutschlands in den kommenden Jahren ansteigen müssen, stellte der CSU-Abgeordnete Thomas Erndl klar, wenn sich die Nato auf die von den USA und Nato-Generalsekretär Mark Rutte ausgegebene Zielmarke einigt. Bislang lag die geforderte Quote in der Nato bei mindestens zwei Prozent des BIP. Gemessen am deutschen BIP von 2024 würde der deutschen Wehretat auf rund 150 Milliarden Euro anwachsen. Hinzu kommen sollen jedoch weitere 1,5 Prozent des BIP, die nach den Vorstellungen Ruttes auch für militärisch nutzbare Infrastruktur - etwa im Verkehrssektor - ausgegeben werden können. 

Für Deutschland würde sich das Gesamtaufkommen dann auf bis zu 215 Milliarden Euro belaufen. Wie realistisch dieses Fünf-Prozent-Ziel ist und wie viele der 32 Nato-Mitgliedstaaten es überhaupt finanzieren könnten, ist ungewiss. Außenminister Johann Wadephul (CDU) signalisierte jedoch auf dem Treffen der Nato-Außenminister in der Türkei am vergangenen Donnerstag schon mal Zustimmung zu Ruttes Vorschlag.

Truppe hat schon jetzt Schwierigkeiten, die Soll-Stärke von 185.000 zu halten

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Die stärkste konventionelle Armee Europas - diesen Status hat die Bundeswehr zuletzt in den 1980er Jahren während des Kalten Krieges für sich in Anspruch nehmen können - wenn man die Sowjetunion außen vor ließ. Mit einer Truppenstärke von rund 500.000 Soldaten, die im Verteidigungsfall durch die Einberufung von Reservisten auf 1,3 Millionen hätte anwachsen können, verfügte die Bundesrepublik nach den USA über die zweitstärkste konventionelle Streitmacht innerhalb der Nato.

Ein solcher Truppenumfang steht für die Bundeswehr allerdings nicht zur Diskussion. Allein schon, weil sich Deutschland im Zwei-plus-Vier-Vertrag verpflichtet hat, seine Streitkräfte auf maximal 370.000 Soldaten zu begrenzen. Zudem hat die Truppe schon jetzt größte Schwierigkeiten, die Soll-Stärke von 185.000 zu halten. Es fehlen aktuell 2.000 Uniformierte. Bis 2031 soll die Bundeswehr eigentlich auf 203.000 Soldaten anwachsen, doch die Bewerberzahlen lassen dieses Ziel höchst unwahrscheinlich erscheinen.

Pistorius setzt “zunächst” weiter auf freiwilligen Wehrdienst

Verteidigungsminister Pistorius kündigte deshalb in der vergangenen Woche an, die gesetzlichen Grundlagen für den "Neuen Wehrdienst" zu schaffen, um den Truppenumfang mit der Ausweitung des freiwilligen Wehrdienstes zu erhöhen. Bereits in der vergangenen Legislatur hatte er eine entsprechende Gesetzesvorlage durch das Bundeskabinett gebracht, die aber wegen des vorzeitigen Bruchs der Ampelkoalition nicht mehr im Bundestag beschlossen werden konnte.

So sollen zukünftig alle jungen Männer bei Vollendung des 18. Lebensjahres verpflichtet werden, in einem Fragebogen Auskunft über eine mögliche Bereitschaft für einen Wehrdienst und ihren Fitnesszustand zu geben. Frauen sollen den Fragebogen auf freiwilliger Basis ausfüllen können. Aus dem Kreis der Willigen und Fitten sollen dann möglichst Wehrdienstleistende gewonnen werden. "Wir haben verabredet, dass wir zunächst auf Freiwilligkeit setzen", führte Pistorius aus und fügte an: "Die Betonung liegt auf ,zunächst', falls wir nicht hinreichend Freiwillige gewinnen können." Eine mögliche Rückkehr zur 2011 ausgesetzten Wehrpflicht ist für den Minister nicht vom Tisch.

Teile der SPD stehen einer erneuten Wehrpflicht jedoch genau wie die Grünen- und die Linken-Fraktion ablehnend gegenüber. Sie sei dem "wehrdienst-kritischen Teil in der SPD" dankbar, dass er sich in Koalitionsverhandlungen mit der Union durchgesetzt habe, befand Grünen-Abgeordnete Nanni.

AfD fordert "ideelle Verteidigungsfähigkeit" der Bundeswehr

Der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen hingegen, der eigentlich für die Wehrpflicht ist und diese gerne auch auf Frauen ausweiten würde, hielt sich nach heftigen Auseinandersetzungen in seiner Partei um die Wehrpflicht vor der Bundestagswahl zurück in dieser Frage. Stattdessen mahnte Lucassen neben der materiellen und personellen Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr auch eine "ideelle Verteidigungsfähigkeit", einen "uneingeschränkten Bezug der Soldaten zu Land und Volk" an und verwies auf die Ukraine: Deren Soldaten kämpften seit drei Jahren gegen einen überlegenen Gegner und hielten Stand.

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Die Linksfraktion wiederum lehnt eine Aufrüstung kategorisch ab. Die Bundesregierung wolle "mit dem historisch größten Aufrüstungsprogramm Deutschland ,kriegstüchtig' machen, eine, wie ich finde, sehr verräterische Ausdrucksweise; denn Kriegstüchtigkeit geht bekanntlich weit über reine Verteidigungsfähigkeit hinaus", monierte Ulrich Thoden. Zeitgleich plane die Bundesregierung Kürzungen bei den Sozialausgaben. Äußere und soziale Sicherheit dürften aber "nicht gegeneinander ausgespielt werden".

Gesetz zum Schutz vor Sabotage, Spionage und Drohnen geplant

Falko Droßmann (SPD) hielt entgegen, dass die territoriale Integrität eines Landes "leider" die Voraussetzung für alle anderen Politikbereiche sei. Deshalb werde die Koalition Sorge tragen, dass "unsere Soldatinnen und Soldaten materiell und personell in der Lage sind, unser Land und unser Bündnis zu schützen". Dazu gehöre auch der Schutz vor hybriden Angriffen auf Versorgungssysteme und kritische Infrastruktur, kündigte Droßmann an.

So plant Verteidigungsminister Pistorius dem Bundestag ein Artikelgesetz zur militärischen Sicherheit vorzulegen: "Wir stärken die Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes, verbessern den Schutz vor Sabotage, Spionage und Drohnen und schaffen die Voraussetzungen, um die Brigade Litauen effektiv und dauerhaft zu schützen." Ebenso sollen die Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze, die im Fall eines Notstandes angewendet werden, reformiert werden. Sie stammten zum größten Teil noch aus den 70er- und 80er Jahren und "müssen umfassend und schnell ressortübergreifend und realitätsnah überarbeitet werden, angepasst an die technischen und strukturellen Rahmenbedingungen unserer Zeit", führte Pistorius aus.