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Deutsche und europäische Ukrainepolitik : "Lenkt Putin nicht ein, liefern wir Taurus"

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warnt vor einem zu vorsichtigen Umgang mit Russland. Sicherheit in Europa könne es mit Putin nicht geben.

16.05.2025
True 2025-05-16T12:34:40.7200Z
5 Min

Herr Kiesewetter, erstmals seit Frühjahr 2022 haben Russland und die Ukraine wieder miteinander verhandelt. Wie erfolgreich können solche direkten Gespräche sein?

Roderich Kiesewetter: Sie sind aktuell irrelevant. Putin wird nicht von seinen Positionen abweichen und die USA haben ihm schon reichlich Zugeständnisse gemacht, die für die Ukraine inakzeptabel sind: Sie soll auf die Krim und andere besetzte Gebiete verzichten, keine Waffen mehr erhalten und es dürfen keine westlichen Truppen stationiert werden. Russland geht es um die Unterwerfung der Ukraine, nicht um ihre Souveränität oder Frieden.

Foto: DBT / Stella von Saldern
Roderich Kiesewetter
Roderich Kiesewetter (CDU) hat viele Jahre als Offizier bei der Bundeswehr gedient und sitzt seit 2009 als direkt gewählter Abgeordneter für seinen Wahlkreis Aalen-Heidenheim im Bundestag. Er ist bislang Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss und Vize-Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Foto: DBT / Stella von Saldern

Militärisch sieht es für Russland weiterhin nicht so aus, als könnte es den Krieg schnell gewinnen. Erhöht das nicht den Druck auf Putin?

Roderich Kiesewetter: Es stimmt, militärisch beißt Russland sich die Zähne aus - die ukrainische Armee verteidigt sehr erfolgreich. Aber Russland ist noch auf zwei anderen Kriegsschauplätzen aktiv, und das ebenfalls erfolgreich: Es zerstört im zivilen Sektor jeden Tag Schulen, Elektrizitätswerke und Krankenhäuser und macht so die ukrainische Bevölkerung mürbe. Und die hybride Kriegsführung wirkt durch Sabotage, Spionage, Falsch- und Desinformation wie ein schleichendes Gift auf die Menschen - vorrangig in Europa.

Die USA haben mit einem Rückzug aus den Verhandlungen gedroht, wenn es nicht bald eine Lösung gibt. Was kann die EU dann noch tun?

Roderich Kiesewetter: Sie muss die Ukraine schnell in die euroatlantischen Sicherheitsstrukturen integrieren. Dazu gehört ein EU-Beitritt, sobald die Bedingungen erfüllt sind, und die Nato-Aufnahme. Das sind übrigens Kernpositionen von CDU und CSU, ich hoffe, dass die neue Bundesregierung sie weiter vertreten wird. Europa muss seine Sicherheit selbst organisieren - mit der Ukraine und gegen Russland.

In Ihrer Partei, der CDU, gibt es Stimmen, die neue Gasimporte aus Russland und eine Normalisierung der Beziehungen nach einem möglichen Kriegsende in Betracht ziehen.

Roderich Kiesewetter: Wer denkt, dass man mit Russland wieder Handel treiben und damit Sicherheit schaffen kann, verkennt, dass Putin genau auf diese Karte setzt und geopolitisches Erpressungspotential schaffen will. Wir sollten nicht vergessen, dass seine Forderungen an Europa dieselben sind wie im Dezember 2021: Abzug der Amerikaner und ihrer Nuklearwaffen, Austritt der früheren Warschauer Pakt-Staaten aus der Nato und Austritt der Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen aus Nato und EU. Dass er davon nie abgerückt ist, sollten wir in der Realpolitik nüchtern anerkennen und auch jenen deutlich machen, die aus Hoffnung und Romantik heimlich in die Beziehungen zu Russland investieren wollen.


„Bisher fließt nur ein Bruchteil der deutschen Ukraine-Hilfen in die Militärhilfe, das meiste an die ukrainischen Flüchtlinge. Das muss sich ändern.“
Roderich Kiesewetter (CDU)

Das Ultimatum für eine Waffenruhe hat Putin ungerührt verstreichen lassen, obwohl die EU noch schärfere Sanktionen vorbereitet. Beeindrucken die Putin überhaupt?

Roderich Kiesewetter: Sie könnten ein gutes Druckmittel sein, aber leider haben Ungarn und Deutschland in der Vergangenheit notwendige Verschärfungen oft verhindert. Etwa liefern wir weiter Fräsmaschinen an Russland, obwohl man mit denen eben nicht nur Krankenhausbetten, sondern auch Artilleriegeschütze fräsen kann. Wir exportieren Nitrocellulose, mit der man Kohle zum Heizen abbauen, aber auch Sprengstoffe und Bomben herstellen kann. Wir sanktionieren bislang nur zirka 140 von mehr als tausend Schattenschiffen, die unter Umgehung der Sanktionen Öl liefern. Und wir schonen russische Banken, damit, wie es heißt, arme deutschstämmige Mütter in Russland weiter ihre Rente bekommen. Es spricht viel dafür, dass die neue Bundesregierung bei dieser Zurückhaltung bleibt. Sie hat klar gemacht, dass sie in der Außenpolitik auf Kontinuität setzen will.

Bundeskanzler Merz hat sich mit europäischen Amtskollegen in Kiew für eine Friedenslösung eingesetzt. Fehlenden Willen kann man ihm doch schwerlich unterstellen.

Roderich Kiesewetter: Es war ein starkes Signal, dass die Bundesrepublik mit ihm wieder der "Koalition der Willigen" zur Unterstützung der Ukraine beigetreten ist. Aber entscheidend ist: Bekommt die Ukraine mehr Waffen? Gibt es ein Wiederaufbauprogramm? Werden die eingefrorenen russischen Vermögen für die Ukraine freigegeben? Bisher fließt nur ein Bruchteil der deutschen Ukraine-Hilfen in die Militärhilfe, das meiste an die ukrainischen Flüchtlinge. Das muss sich ändern.

Sollte die Bundesregierung jetzt Taurus-Marschflugkörper liefern, mit denen die Ukraine auf russischem Gebiet angreifen kann? Merz äußert sich dazu öffentlich nicht mehr, Details über Waffenlieferungen will er ab sofort geheim halten.

Roderich Kiesewetter: Es ist richtig, nicht ständig über einzelne Waffenlieferungen zu debattieren. Taurus wäre ein starkes Signal an Putin, deshalb sollten wir jetzt längst mit der Ausbildung der Ukrainer an den Systemen beginnen. Lenkt Putin nicht ein, liefern wir. Lenkt er weiter nicht ein, kommt Taurus zum Einsatz. Aber wenn wir mit Militärhilfe wirklich etwas bewegen wollen, müssen wir uns von der Symbolik einzelner Waffensysteme trennen - es kommt auf die Masse an.

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