Vorreiter der Aufarbeitung : Wie VW mit seiner Rolle in der NS-Zeit umgeht
Volkswagen-Chef Piech war anfangs wenig daran interessiert, die NS-Vergangenheit von VW aufzuarbeiten. Heute gilt das Verhalten des Konzerns als beispielhaft.
Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch Unternehmen in der Bundesrepublik begann in den 1950er Jahren. Zögerlich zwar, unvollständig und sehr vereinzelt, aber immerhin. Damals unternahmen Betriebe erste Schritte, um ihre Verstrickungen und Verantwortlichkeiten während der NS-Zeit zu untersuchen.
Im Februar 1957 verpflichtete sich der IG-Farben-Konzern, ein Verbund der größten Chemie-Unternehmen Deutschlands, den Zwangsarbeitern des Buna-Werks in der Nähe des Vernichtungslagers Auschwitz eine Entschädigung zu zahlen: für den Historiker Wolfgang Benz ein Meilenstein. "Es war das erste Mal, dass ein Industriekonzern, in Liquidation zwar, aber doch ein Industriekonzern, zur Rechenschaft gezogen wurde, dass die Regimenähe festgestellt wurde und dass daraus juristische und materielle Konsequenzen gezogen wurden", zitierte ihn der "Deutschlandfunk".
Deutsche Bank und VW ließen als erste ihre NS-Vergangenheit erforschen
In den folgenden Jahren blieben Unternehmen eher zurückhaltend im Umgang mit ihrer geschichtlichen Rolle. Teils, weil sie es für überflüssig hielten – ihr Fokus lag darauf, alles dafür zu tun, sich im Hier und Jetzt mit den eigenen Produkten auf dem Markt behaupten zu können - teils, weil sie befürchteten, dass die Erinnerung an eine unrühmliche Vergangenheit ihnen geschäftlich schaden könnte.

Bei der Eröffnung der "Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerks" waren 1999 auch ehemalige Zwangsarbeiter dabei.
Umfassender und intensiver wurden die Versuche, die Vergangenheit transparenter zu machen, in den 1980er und 1990er Jahren. Als erstes deutsches Großunternehmen ging die Deutsche Bank die Herausforderung an und legte 1995 eine von unabhängigen Historikern verfasste Unternehmensgeschichte seit Gründung der Bank im Jahr 1870 vor.
Das Geschäftsgebaren des Unternehmens im "Dritten Reich" wurde darin von dem britischen Wirtschaftshistoriker Harold James durchleuchtet. Die Bank veröffentlichte die Berichte, die ihre Verstrickung in die Finanzierung des NS-Regimes und die Nutzung von Zwangsarbeitern dokumentierten, entschuldigte sich öffentlich und leistete Entschädigungszahlungen.
VW-Mitarbeiter machen sich für eine Aufarbeitung der Konzerngeschichte stark
Als weiteres großes Unternehmen zog Volkswagen rasch nach und machte wie die Deutsche Bank die Erfahrung, dass es eher Lob und Respekt erntete als Kritik und Nachteile. Gerade im Ausland verschaffte diese Form, sich ehrlich zu machen, dem Konzern sogar einen Gewinn an Prestige. VW wurde damit stilbildend bei der Aufarbeitung der Geschichte.
Einfach aber war der Anfang nicht. Vorbehalte gab es auch in Wolfsburg. In den 1980er Jahren waren es, wie der NDR in einer Chronologie der VW-Entschädigungs-Initiativen berichtete, zunächst Mitarbeiter, die sich dafür stark machten, sich der Geschichte der NS-Zeit zu stellen. So habe vor allem die Arbeitnehmervertretung um den Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzenden Walter Hiller das Thema immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt, bis der Konzern beschloss, die Zwangsarbeit im damaligen Volkswagenwerk wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen.
Statt Autos produzierte VW Militärwagen, Minen und Bomben
Der Historiker Hans Mommsen wurde gebeten, eine Forschungsgruppe zu bilden. 1996 veröffentlichte er zusammen mit seinem Historiker-Kollegen Manfred Grieger die Studie "Das Volkswagenwerk und seine Mitarbeiter im Dritten Reich", eine detaillierte Analyse der komplexen Beziehungen zwischen dem Volkswagenwerk, seinen Arbeitern und dem NS-Regime. Eine Studie auch, die aufzeigte, wie der heute größte Autobauer Europas nach der Grundsteinlegung durch Reichskanzler Adolf Hitler 1938 bei Kriegsbeginn 1939 zu einem Rüstungsbetrieb wurde.
Statt, wie von den Nationalsozialisten propagiert, die Massenmotorisierung des deutschen Volkes durch die Serienproduktion von Autos voranzutreiben, wurden Militärfahrzeuge produziert, Tellerminen, Panzerfäuste und Flugbomben. Und dabei wurden, wie auf der Website der "Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerks" detailliert dargestellt, mit der Zeit immer mehr Zwangsarbeiter rekrutiert.
„Doch es zeigte sich, dass der seit 1992 amtierende Vorstandschef Ferdinand Piëch an dem Buch eher desinteressiert war.“
In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" äußerte sich Mommsen später kritisch über die Reaktion der Konzernspitze auf die Ergebnisse der historischen Forschungen: "Die Darstellung erschien mit Unterstützung von VW 1996", sagte der Historiker, fügte aber hinzu: "Doch es zeigte sich, dass der seit 1992 amtierende Vorstandschef Ferdinand Piëch an dem Buch eher desinteressiert war. Leider sei VW auch "nicht bereit gewesen, die englische Übersetzung zu bezahlen, die ursprünglich vorgesehen war."
Die Aufarbeitung von VW dient anderen Unternehmen als Vorbild
Heute hingegen gilt das Verhalten des Autokonzerns im Umgang mit seiner Vergangenheit als beispielhaft. Das ist den zahlreichen Wiedergutmachungs-Initiativen des Konzerns zu verdanken, die sich in der 1999 überarbeiteten Dauerausstellung zur Zwangsarbeit auf dem WV-Gelände in Bildern und Texten detailreich nachvollziehen lässt.
So machte sich VW für den Aufbau internationaler Jugendbegegnungen in Mittel- und Osteuropa stark, förderte humanitäre Projekte, unterstützte zum Beispiel Einrichtungen zur psychosozialen Betreuung von NS-Opfern und beteiligte sich finanziell an der Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim/Auschwitz.
Im Jahr 1991 wurde am Eingang des Werks in Wolfsburg ein Gedenkstein in Erinnerung an die Zwangsarbeiter enthüllt, 1995 in den Bunkern in Halle 1 eine Stätte des Gedächtnisses eingerichtet und 1998 ein Hilfsfonds für Zwangsarbeiter mit einem Budget von 20 Millionen D-Mark aufgelegt.
Die Resonanz auf diesen Fonds war durchgehend positiv. Was dazu führte, dass andere Unternehmen sich aufgefordert oder ermuntert fühlten, dem Beispiel des VW-Konzerns zu folgen und die eigenen Archive zu durchforsten oder sich ebenfalls an Entschädigungszahlungen zu beteiligen. Der unterdessen zum Chefhistoriker des Konzerns aufgestiegene Manfred Grieger erinnerte sich später, wie der NDR berichtete, an die öffentliche Reaktion auf den Hilfsfonds "als stark auffordernd und stark anerkennend". VW habe "begonnen aufzuholen, was vorher versäumt wurde".
Als VW sich 2016 von Grieger trennte, schrieb die "Wirtschaftswoche", eine allgemeine Stimmung resümierend: “Die Erinnerungsstätte, der Aufbau eines Unternehmensarchivs, aber auch eines historischen Marketings, das sich nicht in der Illustration mit technischen Antiquitäten erschöpfte, waren Meilensteine auf einem Weg, mit dem der VW-Konzern in den vergangenen Jahren oftmals Neuland in der Unternehmenskommunikation betreten hat.”
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