Digitale Ökonomie : Ein Fortschritt auf Irrwegen
Die deutsch-kurdische Unternehmerin Aya Jaff legt mit ihrem Buch "Broligarchie" eine sehr persönliche Abrechnung mit der Tech-Branche im Silicon Valley vor.
Die technologische Abhängigkeit Europas von den US-amerikanischen Digitalkonzernen ist immer größer geworden. Fließbänder und Maschinen der Industrie laufen mit Hilfe von US-Software, viele öffentliche Verwaltungen verlassen sich auf die Programme von Microsoft. Google hat bei den Internet-Suchanfragen fast ein Monopol aufgebaut. Facebook, Instagram und X dominieren die Social Media-Kanäle, auch die Clouds im Hintergrund kontrollieren die Tech-Riesen aus dem Silicon Valley. In Brüssel debattieren Politiker deshalb darüber, wie die EU-Mitglieder in ihrer digitalen Infrastruktur souveräner werden können.
Jaff wählt einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema
Die deutsch-kurdische Jungunternehmerin Aya Jaff hat lange in der Welt der Start-ups gearbeitet. In "Broligarchie" bilanziert sie ihre Erfahrungen. Der Buchtitel klingt zunächst etwas langweilig: Aktuell liegen bereits unzählige Publikationen über den Einfluss von Tech-Milliardären wie Elon Musk, Jeff Bezos, Peter Thiel oder Mark Zuckerberg vor. Aya Jaff bietet aber einen durchaus ungewöhnlichen Zugang zum Thema.
Aya Jaff:
Broligarchie.
Die Machtspiele der Tech-Elite und wie sie Fortschritt verhindern.
Econ,
Berlin 2025;
240 S., 23,99 €
Jaff beginnt mit ihrer persönlichen Geschichte: Im Alter von 19 Jahren wird bei ihr die Immunerkrankung Hashimoto diagnostiziert. Als früh gestartete Programmiererin entwickelt sie eine App: Betroffene sollen mit Hilfe einer engmaschigen Kontrolle per Smartphone ständig ihren aktuellen Gesundheitszustand überprüfen.
Doch schon bald kommen Jaff Zweifel. Sie merkt, wie fragwürdig und oberflächig dieser Blick durch die Tech-Brille ist - und wie wenig dieser zu ihrem eigenen Wohlbefinden beiträgt.
Fortschritt und Freiheit sind laut Jaff nicht automatisch gut
Die Fixierung der Silicon Valley-Nerds auf Selbstoptimierung und algorithmisch gesteuerte Machbarkeit betrachtet sie mittlerweile als Irrweg. Diese Erkenntnis beförderte ihren beruflichen Ausstieg aus der Tech-Szene. In den dort angebotenen (Schein-)Lösungen vermisst sie den empathischen, menschlichen Zugang. "Was bedeutet es, wenn ein Wort wie ,idealistisch', das Hoffnung, Mitgefühl und Gemeinschaft ausdrücken könnte, negativ aufgeladen wird?", fragt die Autorin.
Jaff glaubt nicht mehr daran, dass "Fortschritt und Freiheit automatisch gut sind". Zu diesen großen Versprechen habe sich die Floskel vom Bürokratieabbau gesellt, der als "Modernisierung veralteter Strukturen" verkauft werde. Die Öffentlichkeit denke dabei an "schnellere Abläufe, direkten Service und andere wünschenswerte Dinge". Doch beseitigt werde in Wirklichkeit "nicht Papierkram, sondern Beteiligung und Kontrolle". Es handele sich um eine "rhetorische Falle: Effizienz nach außen, Demokratieabbau nach innen".
Kumpelhaftigkeit maskiert die Macht der Konzerne
Die Macht der IT-Konzerne, analysiert Jaff, werde meist nicht offen ausgeübt, sondern "durch Kumpelhaftigkeit und Geschwindigkeit maskiert". Technologische Überlegenheit funktioniere aber keineswegs im luftleeren Raum, sondern werde durch "massives Kapital untermauert". Nach ihrem Abschied von der Branche betrachtet sie sich als Quereinsteigerin rund um wirtschaftskritische Debatten.
Es gebe nicht die große Alternative, die alle Fragen löse, aber durchaus "Risse im Beton": Sie nennt das Beispiel der Google-Beschäftigten, die gegen die Zusammenarbeit des Konzerns mit dem US-Militär protestieren. Sie berichtet von Lagerarbeiterinnen bei Amazon, die eine Gewerkschaft gründen - oder von einer Kooperative in New York, die "zeigt, dass ein Fahrdienst auch Fahrenden gehören kann und Gewinne in der Community bleiben können".
Jaffs Anregungen für einen anderen Umgang mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sind gerade für jene interessant, die darüber nachdenken, wie sich Europa von der Hegemonie der US-Firmen unabhängiger machen kann.
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