Piwik Webtracking Image

Friedmans Mission : Plädoyer eines verzweifelten Optimisten für die Demokratie

Der Publizist Michel Friedman schreibt in seinem Buch "Mensch!" einmal mehr an gegen Antisemitismus und Populismus - "mit der Leichtigkeit des Verrücktseins".

08.10.2025
True 2025-10-08T09:54:39.7200Z
2 Min

Gerade erst hat Michel Friedman wieder bewiesen, dass er sich nicht wegduckt. Nachdem der inzwischen zurückgetretene Bürgermeister der Stadt Klütz in Mecklenburg-Vorpommern den Publizisten ausgeladen hatte, bei einer Veranstaltung zum 120. Geburtstag von Hannah Arendt im dortigen Literaturhaus zu lesen, machte sich Friedman auf den Weg an die Ostsee und kam mit der Bürgerschaft von Klütz persönlich ins Gespräch. Das Motto der Veranstaltung: “Gewalt beginnt, wo das Reden aufhört.”

Foto: picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck

Der Publizist Michel Friedman bei einer Kundgebung in Klütz (Mecklenburg-Vorpommern): Aus Sorge vor rechten Störern oder Hamas-Sympathisanten wurde der Publizist zuvor von einer Veranstaltung zum 120. Geburtstag von Hannah Arendt im dortigen Literaturhaus ausgeladen.

Unermüdlich ist der jüdische Rechtsanwalt aus Frankfurt am Main seit vielen Jahren in der ganzen Republik unterwegs, um gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus aufzutreten. Sein neues Buch fasst in meist kürzeren Gedankenskizzen zusammen, was ihn dabei antreibt: Die eigene Familiengeschichte im Schatten des Holocaust, seine Erfahrungen mit Extremisten und Menschenfeinden, schließlich sein unerschrockener Glaube an Freiheit und Demokratie - trotz aller negativen Erscheinungen dieser Zeit.

Friedman preist in seiner Arbeit die Vorzüge einer liberalen Gesellschaft an

Seine aktuelle Gemütsverfassung umschreibt der Autor mit dem nur scheinbar widersprüchlichen Satz, er sei eben ein "verzweifelter Optimist". Gewalt gegen Juden und ihre Einrichtungen, islamistische Anfeindungen, der weltweite Siegeszug von Autokraten und Populisten - für Friedman sind das lauter Symptome einer unheilvollen Entwicklung. Gleichzeitig spornt ihn die Erkenntnis, dass die Menschen aus der Vergangenheit offenbar nicht lernen, nur noch mehr an, dagegen anzukämpfen.


Michel Friedman: 
Mensch!
Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten.
Berlin Verlag,
München 2025;
144 S., 20,00 €


Vor allem sieht Friedman die Generation der Eltern und Großeltern, die Schulen und Medien in der Pflicht, fehlendes Wissen über die Verfolgung der Juden im “Dritten Reich” zu vermitteln. Er selbst ist rastlos auf Podien und in Talkshows unterwegs, er schreibt unentwegt Zeitungskommentare und Bücher gegen Vorurteile und Verschwörungstheorien. Und er preist - bei allen Defiziten, die er keineswegs verschweigt - die Vorzüge einer liberalen Gesellschaft an, die Disput und Widerspruch zulässt, die Diversität und Toleranz predigt, die von Rechtsstaat und Freiheit lebt.

Das Lebensprinzip “stets Mensch zu bleiben” teilt er mit Margot Friedländer

Bei allen Meinungsverschiedenheiten und gegensätzlichen Interessen stets Mensch zu bleiben - dieses Lebensprinzip hat Michel Friedman mit der kürzlich verstorbenen Margot Friedländer gemeinsam. Aber er gibt zu, dass es ihm nur "mit der Leichtigkeit des Verrücktseins" gelingt, seine Hoffnung auf Vernunft und Frieden, auf ein Ende von Hass und Aggression aufrechtzuerhalten. "Meschugge", schreibt er, “ist ein freundlicher Begriff für den deutschen, nicht so freundlichen Begriff wahnsinnig.”

Mehr zum Thema

Daniel Botmann im Portrait
Daniel Botmann über 80 Jahre Kriegsende: "Die Erinnerung an die Shoa ist kein Matheunterricht"
Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland über Fehlentwicklungen in der Bildungsarbeit und den dauerhaften Kampf gegen Antisemitismus.
Eine Gruppe Menschen sitzt vor einer bergigen Kulisse
Erinnerungskultur im Klassenzimmer: Projekte, Podcasts, Perspektivwechsel - wie Geschichte präsent bleibt
Geschichte und partizipatives Lernen zusammen denken – mit Empathie und Kreativität: Lehrerin Anette Heintzen über kluge Pädagogik, die Historie lebendig macht.
Vier Männer tragen den Sarg der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer
Nachruf auf Margot Friedländer: "Versuche, dein Leben zu machen"
Mit 103 Jahren ist Margot Friedländer Anfang Mai gestorben. Bei einer Trauerfeier nahmen Vertreter aus Politik und Gesellschaft Abschied.