Vor 35 Jahren : Das Parlament kehrt für Konstituierung nach Berlin zurück
Knapp zwei Monate nach der Wiedervereinigung standen die ersten gesamtdeutschen Wahlen an. Drei Wochen später konstituierte sich das Parlament – in Berlin.
"Der Wahlkampf heute ist nur mit dem Wahlkampf von 1949 zu vergleichen. Wieder beginnt ein neuer Streckenabschnitt in der Geschichte unseres Vaterlandes!", sagte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) 1990. Damals stand, nur zwei Monate nachdem die Deutsche Einheit vollzogen war, am 2. Dezember der nächste historische Tag an: die erste freie gesamtdeutsche Parlamentswahl seit 1932.
Seperate Fünf-Prozent-Klausel in Ostdeutschland
Neben den 46,5 Millionen wahlberechtigten Menschen im Westen, waren auch gut elf Millionen Wählerinnen und Wähler auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sowie etwa 2,5 Millionen Berliner zur Wahl des zwölften Deutschen Bundestages aufgerufen.
Kurz vor Weihnachten 1990 konstituierte sich der erste gesamtdeutsche Bundestag im noch nicht umgebauten Reichstagsgebäude in Berlin.
Ost und West waren zumindest für die Bundestagswahl noch einmal geteilt, nämlich in separate Wahlgebiete: Damit ostdeutsche Parteien Chancen hatten, ins Parlament einzuziehen, galt die Fünf-Prozent-Klausel getrennt für Ost- und Westdeutschland. So hatten im Vorfeld der Wahl unter anderem Grüne und PDS das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet, das die Anwendung der Fünf-Prozent-Hürde auf das gesamte Bundesgebiet als verfassungswidrig einstufte. Bei der Wahl genügte es also, in einem der beiden Wahlgebiete die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.
Im Wahlkampf standen sich nicht nur zwei Kanzlerkandidaten, sondern auch zwei Perspektiven gegenüber: Auf der einen Seite der Amtsinhaber Helmut Kohl (CDU), der "blühende Landschaften" in Ostdeutschland versprach. Auf der anderen Seite der SPD-Herausforderer Oskar Lafontaine, der den neuen Bundesländern wirtschaftliche Probleme und entvölkerte Landstriche prophezeite. Außerdem warnte er vor den immensen Kosten der Einheit, die nur durch Steuererhöhungen zu finanzieren seien.
Geringe Wahlbeteiligung bei der ersten gesamtdeutschen Wahl
Trotz dieser historischen Wochen kam der Wahlkampf nicht in Schwung. Beobachter diagnostizierten der Bevölkerung einen Überdruss vom zentralen Thema der Wiedervereinigung. Hinzu kam eine gewisse erste Desillusionierung: im Westen gespeist durch die absehbar hohen Kosten der Einheit, im Osten durch soziale Unsicherheiten und Kostensteigerungen.
Und nicht zuletzt schien die Wahl lange vor dem zweiten Adventssonntag, an dem der Urnengang anstand, entschieden zu sein: Wahlforscher räumten Lafontaine nicht einmal Außenseiterchancen gegen den "Kanzler der Einheit" ein.
Mit 77,8 Prozent fiel die Wahlbeteiligung entsprechend gering aus. Die Demoskopen sollten unterdessen Recht behalten: Die Union holte 43,8 Prozent der Stimmen und konnte mit der FDP, die auf elf Prozent kam, weiterregieren. Die SPD sank von 37 auf 33,5 Prozent. Während die Grünen im Westen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, holte das ostdeutsche Bündnis 90/Grüne sechs Prozent. Auch die PDS schaffte es in den Bundestag, nachdem sie bundesweit zwar nur magere 2,4 Prozent gewann, im Osten aber auf elf Prozent kam.
Am 20. Dezember 1990 kam der Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Nicht in der Bundeshauptstadt Bonn, sondern im Berliner Reichstagsgebäude. Dabei wurde Rita Süssmuth (CDU) als Bundestagspräsidentin wiedergewählt. Am 17. Januar 1991 wählten 378 Abgeordnete Helmut Kohl gegen 275 Nein-Stimmen zum ersten gesamtdeutschen Kanzler.
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