Piwik Webtracking Image

Parlamentarisches Profil : Die Vertrauende: Irene Mihalic

Eigentlich dachte Irene Mihalic, dass sie politisch nicht mehr zu überraschen sei. Seit Dienstag weiß die Grünen-Politikerin: Das war ein Irrtum.

09.05.2025
True 2025-05-09T15:14:51.7200Z
4 Min

Wie sie Leuten tief in die Augen schaut, dabei entspannt wirkt und dennoch nicht abgeklärt, mag man nicht denken, dass sie in der Politik einmal etwas überraschen würde, aber Irene Mihalic hatte wohl nicht mit Dienstag, dem 6. Mai, gerechnet. Da wurde sie im Plenarsaal gleich zweimal überrascht, und mit ihr die halbe Republik.

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin (PGF) der Grünen-Fraktion sah zu, wie Friedrich Merz im ersten Wahlgang zum Kanzlervotum knapp an der Mehrheit scheiterte. "Auf mich wirkte es, als habe man sich auf dieses Szenario nicht wirklich vorbereitet", sagt sie zwei Tage später in einem kleinen Café in den Bundestagsgängen zwischen Paul-Löbe-Haus und Reichstag. "Abläufe speisen sich ja auch durch parlamentarische Traditionen. Und hier gab es bisher nichts Vergleichbares. Aber das nimmt den Akteuren nicht die Verantwortung. Der Parlamentarismus ist intakt, das Vertrauen der Koalitionäre in Merz anscheinend nicht."

Foto: Jörg Brücker

Irene Mihalic sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag. In der vergangenen Wahlperiode war sie Mitglied im Ältestenrat, Parlamentarischen Kontrollgremium sowie im Ausschuss für Wahlprüfung.

Das war die erste Überraschung. Die zweite trat ein, als sie einen Moment der Orientierungslosigkeit im Saal ausmachte. Die Geschäftsführer der Fraktionen standen nun im permanenten Austausch, und am Ende einigte man sich auf einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung. Für diesen mussten auch Bündnis 90/Die Grünen und Linke mitstimmen. So konnte Merz doch noch am gleichen Tag mit den Stimmen der Koalition zum Regierungschef gewählt werden.

Mihalic hatte gewisse Sorgen am Dienstag

Eine Erste PGF ist Managerin des Alltagsgeschäfts in einem Parlament. Mihalic hatte also an jenem Dienstag gewisse Sorgen. Dachte sie daran, der Koalition aus Union und SPD für die Kanzlerwahl grüne Stimmen zu besorgen? Sie schüttelt den Kopf. "Das muss die Koalition schon selber hinbekommen, wir unterstützen weder Friedrich Merz noch dessen Politik. Die Koalition muss zeigen, dass sie ihre Mehrheit zusammen hat, es geht ja um Politik für die ganze Legislaturperiode".


„Der Parlamentarismus ist intakt, das Vertrauen der Koalitionäre in Merz anscheinend nicht.“
Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen)

Mihalic sitzt für die Grünen seit 2013 im Bundestag. Zuerst bearbeitete sie innenpolitische Themen, bis man sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, 1. PGF zu werden. Konnte sie. "Ich kann nicht agieren wie eine Dienstgruppenleiterin. Die Leute reagieren auf Ansprachen unterschiedlich", beschreibt sie ihren Job. Dienstgruppenleiterin, Ansprache - diese beiden Worte deuten auf Mihalics beruflichen Hintergrund. 1993 wurde sie Polizistin, "eine Klassenkameradin hatte sich dort beworben und berichtete Gutes", erinnert sie sich. Damals war Mihalic auf der Realschule gewesen, wollte auf die Schule ihrer Freunde gehen. Ab 2007 arbeitete sie beim Polizeipräsidium Köln. Die Polizei eröffnete ihr Chancen: Später studierte Mihalic Kriminologie und Polizeiwissenschaft, promovierte. "Ich habe meinen Beruf geliebt", sagt sie. "Aber beides ging nicht."

Die Eltern kamen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland

Denn das andere war das politische Engagement. In ihrer Jugend war Mihalic Klassen- und Schulsprecherin gewesen, in ihrem Elternhaus hatte man abends gemeinsam die Tagesschau gesehen. Sie interessierte sich für Umweltthemen, das brachte sie zu den Grünen; 2006 trat sie ein. Wurde 2009 Ratsmitglied in Gelsenkirchen und 2010 in den NRW-Landesvorstand der Grünen gewählt.

Der Berufswechsel vollzog sich mit einem Wermutstropfen. Mutter und Vater waren aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen, ihr Vater hatte seit den Achtzigern die deutsche Staatsbürgerschaft. Als er dann nichtsahnend auch die kroatische wieder annahm, offenbarte ihm die Kommune bei einem anderen Termin: "'Dann sind sie jetzt kein deutscher Staatsbürger mehr!'" Ihm habe man, sagt Mihalic, im Grunde die Tür zugeschlagen. Er konnte seine Tochter 2013 nicht in den Bundestag wählen. "So kann man mit Menschen, die hier leben und arbeiten, nicht umgehen." Daher achte sie auf die Worte von Merz aus dem Wahlkampf, der die Möglichkeit forderte, Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen. "Die Union fordert immer, dass man sich um die Lebensrealitäten der Leute kümmern müsse, und geht genau an diesen mit ihrer Politik vorbei." Ein Blick zur Uhr, sie muss zurück ins Büro.

Auch lesenswert

Demonstrationen gegen Rechts
Warten auf Eil-Entscheidung des Gerichts: Streit um Höherstufung der AfD
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verzichtet vorläufig auf die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch".
Friedrich Merz erhält lächelnd Applaus
Neue Bundesregierung übernimmt: Dramatik pur im Bundestag bei Kanzlerwahl
Der Wahlakt im Parlament gerät zwischenzeitlich zum Drama. Wie Friedrich Merz in einer historischen Bundestagssitzung doch noch zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Weitere Informationen