Bundesregierung nimmt Arbeit auf : Schwarz-Rot mit Startschwierigkeiten
Nach der Wahl im zweiten Anlauf setzen Bundeskanzler Merz und seine Minister erste Akzente. An den Grenzen beginnt die "Migrationswende".
Die fünfte Koalition aus CDU, CSU und SPD auf Bundesebene ist am Dienstag mit einer ungewollten historischen Leistung gestartet. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte ein designierter Bundeskanzler im ersten Wahlgang - zu viele Gefolgsleute verweigerten Friedrich Merz die Zustimmung. Nach einem ersten Schock rafften sich die Koalitionäre auf und setzten einen zweiten Wahlgang an, der schließlich erfolgreich für Merz ausging. Wenig später waren auch die Ministerinnen und Minister ernannt und vereidigt, und das Kabinett konnte am Abend seine Arbeit aufnehmen.

Am Abend trat das Kabinett erstmals zusammen: Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD, links) Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, Mitte), Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU, rechts).
Die schwarz-rote Koalition übernimmt das Land in turbulenten Zeiten. Die Wirtschaft stagniert, die Infrastruktur ist marode, vor allem aber drängt die internationale Lage. In der Ukraine tobt weiter der russische Angriffskrieg und im Weißen Haus ist mit Donald Trump ein Präsident am Werk, der friedens-, bündnis- und handelspolitisch erratisch agiert.
Merz reist zu Antrittsbesuchen zunächst nach Paris und Warschau
Der neue Bundeskanzler Merz will daher vor allem in der Europapolitik neue Akzente setzen. Am Tag nach seiner Wahl reiste er nicht nur zum Antrittsbesuch nach Paris, sondern auch zu einer Stippvisite nach Warschau, was von Beobachtern als Signal zur Stärkung des "Weimarer Dreiecks" der drei Länder gewertet wurde.
In Frankreich setzt Staatspräsident Emmanuel Macron darauf, dass der deutsch-französische Motor mit Bundeskanzler Merz wieder auf Hochtouren läuft. Beide waren sich am Mittwoch unter anderem einig, die Ukraine weiterhin stark zu unterstützen.
Dies findet auch in Polen Zuspruch. Allerdings stößt die von Merz angekündigte "Migrationswende" dort auf Kritik, wie Ministerpräsident Donald Tusk deutlich machte. Bereits am Mittwoch hatte der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verschärfte Kontrollen und Zurückweisungen an der deutschen Grenze angekündigt. Auch Migranten, die einen Asylantrag stellen, sollen demnach nicht ins Land gelassen werden. Das Vorhaben ist europarechtlich umstritten.
Am Donnerstag berichtete dann die "Welt", die Bundesregierung plane sogar, einen "nationalen Notstand" nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auszurufen. Damit würden die migrationsrechtlichen Regelungen des Dublin-Abkommens außer Kraft gesetzt. Die Bundesregierung dementierte dies aber.
Neben der Migrationspolitik führt auch das AfD-Gutachten zu Diskussionen
Neben der Migrationspolitik wird sich der Innenminister auch mit der AfD auseinandersetzen müssen. Kurz vor dem Regierungswechsel hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz, über das das Innenministerium die Aufsicht führt, bekannt gegeben, dass es die AfD auf Bundesebene nun als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft und nicht mehr nur als Verdachtsfall. Mehr als 1.000 Seiten soll das entsprechende Gutachten umfassen. Die Einstufung löste Diskussionen über ein mögliches Verbotsverfahren aus, das in Teilen der Union kritisch gesehen wird. Die AfD hat inzwischen Berufung eingelegt, der Verfassungsschutz hat für die Dauer der juristischen Klärung eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben.
Kritik an der Einstufung kam nicht nur von der in Teilen rechtsextremen Partei, sondern auch von der anderen Seite des Atlantiks. US-Außenminister Marco Rubio raunte, dies sei keine Demokratie, sondern eine verkappte Tyrannei. Merz kritisierte die Zwischenrufe aus den USA am Dienstag als "absurde Betrachtungen" und kündigte an, die Angelegenheit in einem Telefonat mit Präsident Trump klären zu wollen. Weitergehende Details über das Gespräch zu diesem Thema, das am Donnerstag stattfand, wurden nicht bekannt. Im Anschluss hieß es, Merz habe Donald Trump nach Deutschland eingeladen, auch der aktuelle Handelsstreit und der Ukrainekrieg seien besprochen worden.
Fraktionen von CDU/CSU und SPD stellen sich neu auf
Unterdessen wird der Regierungswechsel in Berlin auch organisatorisch nachvollzogen. Das Kabinett verabschiedete noch am Dienstagabend einen entsprechenden Erlass. Darin wird unter anderem der Zuschnitt der Ministerien neu geregelt - und vor allem der Aufbau des neuen Digitalministeriums.
Im Bundestag hat der Start von Schwarz-Rot ebenfalls folgen. Bei den Sozialdemokraten übernahm Matthias Miersch das Ruder als Fraktionsvorsitzender und folgt damit dem neuen Vizekanzler Lars Klingbeil. Bei der Union hat Jens Spahn die Nachfolge von Merz angetreten.
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Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion wirft dem Bundesamt für Verfassungsschutz schlampige Arbeit am Gutachten über seine Partei vor.

International schlagen die Wellen hoch nach der verkorksten Kanzlerwahl, der "Guardian" aus London sieht eine "demütigende Niederlage" für Friedrich Merz.