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Foto: picture-alliance/Daniel Kalker
Aufsicht, Zertifizierung, Beschwerdemanagement, Koordinierung und Unterstützung: Die Bundesnetzagentur in Bonn bereitet sich trotz der bislang fehlenden Rechtsgrundlage seit einigen Monaten auf die neue Aufgabe als Koordinierungsstelle vor.

Digitale-Dienste-Gesetz verabschiedet : Neuer Kurs für den Diskurs

Illegale Inhalte im Netz sollen mit dem Digitale-Dienste-Gesetz künftig besser bekämpft und Verbraucher gestärkt werden. Doch bei der Aufsicht bleiben Fragen offen.

22.03.2024
2024-03-22T11:12:16.3600Z
4 Min

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober dauerte es nur wenige Minuten, bis dieser mit der gesamten Brutalität der Bilder auch die sozialen Netzwerke erreichte. Weil diese im Community Management teils nur zögerlich vorgingen, leitete die EU-Kommission im Dezember das erste Verfahren gegen die Plattform X (ehemals Twitter) ein und zeigte, dass sie den Digital Services Act (DSA) anwendet. Ein Verfahren gegen TikTok wegen möglicher Mängel beim Jugendschutz folgte und auch LinkedIn bekam kürzlich Post und muss sich zur Nutzung von Daten und personalisierter Werbung äußern.

Der DSA gilt seit dem 17. Februar 2024 für alle Plattformen in der Europäischen Union. Onlineplattformen müssen danach Maßnahmen ergreifen, um ihre Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen und Hassrede und Desinformation schneller zu entfernen. 22 Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzern stehen seit Sommer 2023 unter Aufsicht der EU-Kommission. Können Vorgaben nicht eingehalten werden, drohen Strafen von bis zu sechs Prozent des globalen Jahresumsatzes.

Verbraucher in Deutschland können sich künftig an die Bundesnetzagentur wenden

Für kleinere Anbieter benennen die EU-Mitgliedsstaaten Aufsichtsbehörden. In Deutschland soll diese Aufgabe die Bundesnetzagentur als sogenannter "Digital Services Coordinator" wahrnehmen und etwa 5.000 Anbieter beaufsichtigen. Ergänzend sollen Sonderzuständigkeiten für die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, für nach den medienrechtlichen Bestimmungen der Länder benannte Stellen sowie für den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit entstehen. Das Bundeskriminalamt (BKA) soll als zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte fungieren.

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Das ist nun beschlossene Sachen, denn der Bundestag hat am Donnerstag mit den Stimmen der Ampelkoalition gegen die der Union und der AfD bei Enthaltung der Gruppe Die Linke das Digitale-Dienste-Gesetz (20/10031, 20/10755) verabschiedet, das die nationale Umsetzung des DSA regelt. Die Fraktionen hatten noch Konkretisierungen bei den Anforderungen an die Leitung der Koordinierungsstelle sowie an das Beschwerdemanagement-System und den 16-köpfigen Beirat, der die Koordinierungsstelle berät, vorgenommen. Außerdem soll es einen jährlichen Bericht der Regierung über die beim BKA eingegangenen Meldungen inklusive der Art und Anzahl der gemeldeten Straftaten geben.


„Mit 15 Mitarbeitern macht man das Internet nicht zu einem sicheren Ort.“
Digitalpolitiker Reinhard Brandl (CSU)

Knapp vier Wochen nach Inkrafttreten des DSA ist die Bundesrepublik mit der nationalen Umsetzung spät dran, monierten Oppositionspolitiker in der Debatte. "Die Bundesregierung hätte eine Struktur schaffen müssen, damit Hinweise vernünftig bearbeitet werden können", kritisierte Reinhard Brandl (CSU). So rechne das BKA mit 720.000 Fällen, heute seien es 6.000, und fordere einen Aufwuchs von 44 auf 450 Stellen, bekomme aber keine. Das könne - auch mit Blick auf die Justiz- und Ermittlungsbehörden der Länder - nicht funktionieren. Auch die Ausstattung der Koordinierungsstelle bewertet die Union als mangelhaft: "Mit 15 Mitarbeitern bei der Bundesnetzagentur macht man das Internet nicht zu einem sicheren Ort", sagte Brandl.

Nachbessern beim Forschungsetat gefordert

Linken-Digitalpolitikerin Anke Domscheit-Berg legte nach: Es sei "höchste Zeit", etwas gegen digitale Gewalt zu tun und der DSA sei ein wichtiges Werkzeug dafür. Doch sie verstehe nicht, warum die Bundesnetzagentur nur mit einem Fünftel der nötigen Stellen ausgestattet sei. Der 300.000 Euro umfassende Forschungsetat müsse zudem aufgestockt werden, forderte sie.

Für die AfD-Fraktion sprach Beatrix von Storch davon, dass mit dem Gesetzespaket nun "Internetzensur EU-weit" möglich sei. Sie kritisierte die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur und die aus Sicht ihrer Fraktion fehlende politische Unabhängigkeit der Koordinierungsstelle. "Das Gesetz ebnet den Weg für den digitalen Polizeistaat", so von Storch.

Minister Wissing: Koordinierungsstelle muss ihre Arbeit schnell aufnehmen

Die AfD spreche "wider besseres Wissen" von Zensur, wies Tabea Rößner (Grüne), die Kritik zurück. Viele Menschen zögen sich wegen zunehmend vergifteter Diskurse aus digitalen Debattenräumen zurück, daher sei heute ein guter Tag für die Demokratie. Rößner verwies darauf, dass Verbrauchern der Rücken gestärkt werde, indem die Plattformen nun algorithmischen Mechanismen transparent machen, Meldeverfahren bereitstellen und ihre Inhalte-Moderation verbessern müssen.

Darum geht es im Digital Services Act (DSA)

📲 Der DSA reguliert seit 17. Februar 2024 die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste innerhalb der EU. Er soll mit dem Digital Markets Act die Rechte von Internetusern innerhalb der Europäischen Union stärken.

⚖️ Die Durchsetzung der Anforderungen liegt überwiegend in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Einzig gegenüber sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen ist die EU-Kommission zuständig.

🔒 An die Regeln müssen sich alle Unternehmen halten, die digitale Dienste in der EU anbieten, etwa Provider, Hostinganbieter, Cloud-Dienste, soziale Netzwerke, Messenger und Onlinemarktplätze.



Digitalminister Volker Wissing (FDP) hatte zuvor gesagt, es sei "allerhöchste Zeit" etwas gegen die zunehmende Desinformation und Hassrede zu tun - auch mit Blick auf die anstehenden Wahlen. Jeder Bürger müsse sich online sicher und frei bewegen können, dafür sorgten der DSA und das DDG. Die Koordinierungsstelle müsse nun ihre Arbeit schnell aufnehmen, sagte Wissing weiter.

Lob kam auch von Detlef Müller (SPD). Das Gesetz sei ein Gewinn für die Grundrechte der Nutzer und ein Beitrag, die Meinungsfreiheit zu erhalten und zu stärken. Es sei nicht zu viel gesagt, von einem "Grundgesetz des Internets" zu sprechen, für das es höchste Zeit sei.