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Stau, Baustellen, Sperrungen : "Ein Armutszeugnis für das Land NRW"

In NRW steht es schlecht um die Verkehrsinfrastruktur. Lkw-Fahrer Horst Blumauer und Taxifahrer Hüseyin Karaaslan kämpfen mit den Versäumnissen der Verkehrspolitik.

30.07.2025
True 2025-07-30T12:31:22.7200Z
6 Min

Während die meisten Menschen noch in ihren warmen Betten liegen, ist Horst Blumauer schon seit Stunden wach, holt Waren aus dem Kühlhaus und lädt sie auf seinen Lkw. Er und seine Kollegen hetzen auf dem Verladehof des Lebensmittelgroßhändlers Jaeger in Engelskirchen im Bergischen Land umher, prüfen Lieferscheine und versuchen alle Rollbehälter in der richtigen Reihenfolge auf dem Lkw unterzubringen. 

"Das ist ein bisschen wie Tetris spielen", sagt Blumauer. "Vor allem, wenn ich wie heute mehr Rollcontainer vorbereitet bekommen habe, als auf den Lkw passen." Also heißt es umschichten, verlagern und komprimieren. Um 4:30 Uhr klettert er auf den Fahrersitz und startet den Motor. "Früher sind wir noch eine halbe Stunde später losgefahren, aber das geht nicht mehr", erzählt Blumauer. “Der Verkehr in Nordrhein-Westfalen ist einfach zu unberechenbar geworden.”

Foto: privat

Horst Blumauer mit seinem Lkw im Großraum Köln: Baustellen, kaputte Straßen und Brücken prägen seinen Arbeitsalltag.

Wo es hingeht, weiß jeder nach einem Blick in die Fahrerkabine. Eine Fahne des Fußballvereins 1. FC Köln ziert die komplette Rückwand, vorne an der Scheibe hängt ein Kennzeichen mit dem Vereinsnamen und eine Wimpelkette vom FC. Und auch Maskottchen Hennes, ein Ziegenbock, hat seinen festen Platz an der Scheibe. Für Blumauer und seine Ladung geht es also in seine rund 40 Kilometer entfernte Heimat Köln. Elf Kunden stehen heute auf der Liste, es ist viel zu tun.

Mehr als 30 Prozent der Autobahnbrücken in NRW sind sanierungsbedürftig

Die erste Baustelle des Tages lässt nicht lang auf sich warten. Kaum ist der 58-Jährige auf die Autobahn 4 eingebogen, sind die Fahrbahnen verengt, die Autobahn zweispurig, überall stehen Baken. Blumauer kennt das schon: "Ab sieben Uhr im Pendlerverkehr geht hier gar nichts mehr Richtung Köln", sagt der Fahrer. Allgemein sind die Straßen heute in viel schlechterem Zustand als noch vor ein paar Jahren, ist Blumauer sicher. "Überall wird nur noch geflickt. Die Spurrillen sind viel zu tief, und wenn es eine Baustelle gibt, dann brauchen die zwei bis drei Jahre für einen neuen Straßenbelag. Oft passiert wochenlang gar nichts." Der Berufskraftfahrer ist sauer, sein Verständnis für die unzähligen und immer wieder neuen Baustellen schon lange am Ende.

Was Blumauer von seinem täglichen Wahnsinn auf den Straßen in und um Köln berichtet, ist nicht nur die gefühlte Wahrheit eines Vielfahrers. Der Wahnsinn lässt sich auch in Zahlen fassen. Die IHK NRW hat eine Analyse des Straßenwesens in Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse: Rund 2.500 Brücken sind marode, fast 800 davon gelten als mangelhaft. Mehr als 30 Prozent der Autobahnbrücken sind sanierungsbedürftig. Zum Vergleich: In Bayern sind es nur 9,8 Prozent, in Rheinland-Pfalz 14,1 Prozent. Die Untersuchung zeigt also auch, dass es in anderen Bundesländern deutlich besser läuft.


„Ich bin regelmäßig privat in Bayern, da sind die Straßen in einem viel besseren Zustand. Die Straßen in NRW sind wirklich ein Armutszeugnis für das Land.“
Lkw-Fahrer Horst Blumauer

Das hat auch Blumauer bemerkt. "Ich bin regelmäßig privat in Bayern, da sind die Straßen in einem viel besseren Zustand. Die Straßen in NRW sind wirklich ein Armutszeugnis für das Land NRW." Wie schlecht die Lage in dem Bundesland ist, lässt sich auch vom Beifahrersitz gut beobachten. Immer wieder schaukelt Blumauer auf seinem gefederten Fahrersitz abrupt hoch und runter. Bei jeder Bodenschwelle und jedem Schlagloch wippt der Sitz. Der Weg nach und durch Köln: eine wilde Schaukelpartie für Blumauer.

Gesperrte Brücken sorgen für Ärger bei Lkw-Fahrern

Dann nach dem ersten Kunden, einer Kantine in Neuehrenfeld, soll es weitergehen auf die andere Rheinseite, ins Stadtviertel Mülheim zu einem Caterer. "Der ist immer schon sehr früh da", sagt der Fahrer. Blumauer kann die Kunden nicht einfach auf der kürzesten Route abklappern, er muss sich auch danach richten, wann jemand zur Annahme da ist. Auch das bestimmt seine Routenplanung.

Auf dem Weg in den Kölner Nordwesten gibt es dann die erste Überraschung des Tages. Die Abfahrt ist gesperrt. "Mist, das war gestern noch nicht. Hast du Umleitungsschilder gesehen?" Nein, die gab es nicht. "Dann wenden wir jetzt." Gut, dass um sechs Uhr morgens noch nichts los und sein Lkw nicht so lang ist, so kann der gebürtige Kölner direkt auf der großen Straße wenden. Und nun? "Jetzt improvisiere ich", sagt er. Denn ein Navigationsgerät hat Blumauer nicht im Fahrzeug. "Das bringt mir sowieso nichts." Die wenigen Lkw-spezifischen Geräte sind oft veraltet, weil die Updates so teuer sind. “Google Maps wäre toll, aber das ist eben nicht für Lkw ausgelegt. Es ist also gut, dass ich schon seit 14 Jahren bei Jaeger im Einsatz bin und mich super auskenne.”

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Auch online informiert er sich nicht vor seinen Touren über Baustellen. "Da finde ich fast keine Infos, da wird nur über die Großbaustellen berichtet." Wie zum Beispiel die Sperrung der Mülheimer Brücke - eine der wichtigsten Verkehrsachsen in Köln. Die ist seit 2019 für Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen gesperrt, die Baustelle soll noch bis 2028 andauern. Über die Deutzer Brücke darf Blumauer auch nicht fahren. Die Hohenzollernbrücke ist nur für Radfahrer, Fußgänger und den Bahnverkehr. Bleiben nur noch zwei Brücken in Köln übrig: die Zoo- und die Severinsbrücke. Die Umwege beim Überqueren des Rheins kosten Blumauer und die anderen 26 Fahrer des Lebensmittelgroßhandels im Schnitt rund 20 Minuten mehr auf ihren Köln-Touren. Routenänderungen aufgrund von Baustellen kommen noch oben drauf.

Der Investitionsstau in NRW beträgt rund 156 Milliarden Euro

Häufig sind es aber gar nicht die Großbaustellen, die den Fahrer Nerven kosten, sondern die kleinen Dinge, die Auto- und Radfahrern meist gar nicht auffallen. Das sind zum Beispiel zugeparkte Lieferzonen, verengte Fahrspuren durch Falschparker oder Sperrungen, weil die Straße an einer kleinen Stelle aufgebaggert wird. Auch an solchen Hindernissen kommt Blumauer heute immer wieder vorbei - oder muss sich einen anderen Weg suchen. “Jeden Tag entdeckt man etwas Neues in Köln. Wir müssen immer flexibel bleiben und unsere Routen anpassen.”

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Das Land NRW will besser werden. 132 Millionen versprach der Landesverkehrsminister Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) im November 2023 für das Jahr 2024. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Ende 2024 veröffentlichte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbund NRW bescheinigt dem Bundesland einen Investitionsstau von 156 Milliarden Euro. Allein in die Verkehrsinfrastruktur des Landes müssten jährlich etwa 1,18 Milliarden Euro fließen, um den Investitionsstau bis 2032 aufzuholen, insgesamt also rund 11,8 Milliarden Euro - Umbauten für die Verkehrswende noch nicht eingerechnet.

Volle Straßen und Dauerbaustellen machen Taxifahrten teurer

Lkw-Fahrer sind natürlich nicht die einzigen, die täglich mit den Herausforderungen der maroden Straßen und Brücken konfrontiert sind. Leidtragende sind neben den vielen Privatpersonen auch Taxifahrer wie zum Beispiel Hüseyin Karaaslan. Er hat 38 Mitarbeiter in seinem Taxiunternehmen in Leverkusen. "Über die Jahre und mit der wachsenden Konkurrenz von Anbietern wie Uber und Bolt haben wir ohnehin schon weniger Fahrten", sagt Karaaslan. "Und dann machen uns noch die Straßen zu schaffen."

Denn im Taxi wird meist nach Kilometer und Fahrzeit abgerechnet. Steht das Fahrzeug im Stau, läuft das Taxameter weiter. "Das verärgert die Kunden, weil sie dann mehr bezahlen müssen als noch vor ein paar Jahren oder wir länger zu ihnen brauchen", erzählt der Taxifahrer. "Dann sind sie unzufrieden mit unserer Leistung, obwohl wir nichts falsch gemacht haben." Karaaslan hat das Gefühl, dass heute mehr Fahrzeuge als früher unterwegs sind, das verstopfe die Straßen zusätzlich und nutzt sie schneller ab. "Der Kreisverkehr hier zum Beispiel ist erst rund fünf Jahre alt. Und schon reißt der Belag auf und es zeigen sich Spurrillen", sagt er, als er mit seinem Taxi gerade vom Bahnhof Leverkusen-Manfort kommt.

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Kurz darauf sammelt er einen Fahrgast ein. Dieser will zu seiner Frau ins Krankenhaus fahren. Es soll schnell gehen, deswegen hat er ein Taxi gerufen. "Das kann ich nicht immer machen, sonst wird das einfach zu teuer", erzählt er. Als Karaslaan am Krankenhaus ankommt, fragt er den Fahrgast, was er letztes Mal gezahlt hat. Das Taxameter zeigt 33 Euro, aber der Taxifahrer berechnet ihm nur 30 Euro und sagt: “Ich will ihn ja wieder als Fahrgast haben, er soll nicht auf mich sauer sein, wenn es aufgrund der Baustellen und vollen Straßen länger dauert.”

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Wirtschaftsredaktion "Wortwert".