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Streit um das EU-Lieferkettengesetz : Merz will europäische Sorgfaltsregeln abschaffen

Mit seinem Wunsch, das EU-Lieferkettengesetz abzuschaffen, hat der Bundeskanzler in Brüssel keine Chance. Auch der eigene Koalitionspartner widerspricht.

20.05.2025
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7 Min

Bei seinem ersten Besuch in Brüssel als Bundeskanzler machte Friedrich Merz (CDU) deutlich, wie er sich die Zukunft des EU-Lieferkettengesetzes vorstellt: „Die dauerhafte Lösung des Problems muss darin bestehen, diese Richtlinie schlicht aufzuheben.“ 

Vergangene Woche wiederholte er die Forderung beim Wirtschaftsrat der CDU, worauf ihm Vize-Kanzler Lars Klingbeil (SPD) bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel prompt widersprach und befand: „Das Lieferkettengesetz ist wichtig.“ 

Neue Regierung ist uneins über Zukunft des europäischen Gesetzes

Im Koalitionsvertrag haben beide Partner vereinbart, nur das deutsche Lieferkettengesetz abzuschaffen. Die EU-Richtlinie soll dagegen „bürokratiearm und vollzugsfreundlich“ umgesetzt werden. In Brüssel registrierten viele, dass die Akteure der neuen Bundesregierung sich genauso uneinig sind wie ihre Vorgänger - obwohl doch das Gegenteil versprochen worden war. 

Sorgfaltspflichten für deutsche und EU-Unternehmen

📘 Die „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“, auch EU-Lieferkettengesetz, genannt, ist seit Juli 2024 in Kraft. Sie enthält Sorgfaltspflichten für in Europa ansässige Unternehmen mit mehr als tausend Beschäftigten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltbelange. Damit sollen Sklaverei, Kinderarbeit, Ausbeutung oder Umweltverschmutzung in den Lieferketten verhindert werden

🕐 Ursprünglich sollten die Mitgliedstaaten gut zwei Jahre Zeit haben, die Regeln in nationales Recht umzusetzen. Nach einem neuen Beschluss des Europäischen Parlaments vom April 2025 sollen die Mitgliedstaaten nun bis 2027 und Unternehmen bis 2028 Zeit dafür bekommen. Die Richtlinie soll aber auch inhaltlich geändert werden, um Unternehmen von Bürokratie zu entlasten.

❌ In Deutschland trat bereits am 1. Januar 2023 das “Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz” in Kraft. Es gilt nur für Unternehmen ab tausend Mitarbeitern in Deutschland und ist weniger weitreichend. So ist es zum Beispiel auf direkte Zulieferer beschränkt. Laut Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD soll es abgeschafft und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt werden. Unter anderem sollen Berichtspflichten für Unternehmen komplett entfallen. 



Die EU-Kommission hat die Forderung von Merz klar zurückgewiesen. Es gehe nicht darum, die Richtlinie abzuschaffen, sagte eine Sprecherin. Der SPD-Europaabgeordnete René Repasi geht davon aus, dass es für einen solch radikalen Schritt unter den EU-Mitgliedstaaten ohnehin keine Mehrheit geben würde – offensichtlich hat sich Merz vor seinem Vorstoß nicht über die Stimmungslage in anderen Mitgliedstaaten informiert.

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Die EU-Kommission hatte die Lieferkettenrichtlinie im Februar 2022 nach einem Richtungsstreit innerhalb der Behörde vorgestellt. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten einigten sich im Dezember 2023 auf einen Kompromiss, bei dem unter anderem die Zahl der betroffenen Unternehmen nach unten revidiert wurde. 

Die Vorschriften gelten nun seit  Juli 2024 für Unternehmen mit mindestens tausend Mitarbeitern und einem weltweiten Umsatz von mindestens 450 Millionen Euro. Nichtregierungsorganisationen (NGO) schätzen, dass in Europa 5.400 Unternehmen unter die Richtlinie fallen, was rund einem Prozent aller europäischen Unternehmen entspricht. In Deutschland dürften es rund 1.500 Unternehmen sein, die die europäischen Regeln umsetzen müssen.

Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie

Auslöser für das Gesetz waren Umweltkatastrophen und Unfälle wie die Verschmutzung des Niger-Delta durch den Energiekonzern Shell oder der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch. NGOs und Aktivisten argumentierten, dass Selbstverpflichtungen von Unternehmen nicht ausreichten, damit sie Umweltgesetze und Arbeitsrecht weltweit respektierten. 

Die Wirtschaft hielt dagegen, dass die Auflagen aus Brüssel zu einem hohen Bürokratieaufwand führten. NGOs, Unternehmen und Verbände lieferten sich eine harte Auseinandersetzung, ehe das Gesetz in Brüssel beschlossen wurde.

Foto: picture alliance / CHROMORANGE/Michael Bihlmayer

Im internationalen Handel kommen Menschenrechte und Umweltschutz oft zu kurz. Deutschland und die EU haben große Unternehmen daher zu mehr Sorgfalt in ihren Lieferketten verpflichtet.

Als Teil ihrer Bemühungen, die Bürokratie zurückzufahren, hat die EU-Kommission im Februar Vereinfachungen und Anpassungen für das EU-Lieferkettengesetz vorgeschlagen. Die Richtlinie soll nun ein Jahr später als geplant, also erst im Juli 2028, von den Unternehmen umgesetzt werden müssen. So bekommen sie mehr Zeit, sich vorzubereiten. 

Strafzahlungen, wenn Unternehmen gegen die Vorschriften verstoßen, sollen niedriger ausfallen, die Mindestschwelle von fünf Prozent des weltweiten Umsatzes entfallen. Mitgliedstaaten sollen in Zukunft lediglich dafür sorgen müssen, dass Strafzahlungen effektiv, angemessen und abschreckend sind. 

Nur noch direkte Geschäftspartner sollen überprüft werden

Besonders wichtig ist für die Unternehmen eine andere Änderung: Sie sollen künftig nur ihre direkten Geschäftspartner überprüfen und nicht, wie ursprünglich geplant, die gesamte Lieferkette. Ausnahmen gelten in Fällen, in denen es starke Anzeichen gibt, dass es in der Lieferkette an anderer Stelle Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltauflagen kommt. 

Unternehmen sollen zudem von der Pflicht befreit werden, Klimaschutz-Pläne aufzustellen. Mitgliedstaaten dürfen mit der überarbeiteten Richtlinie außerdem keine Gesetze mehr erlassen, die über die EU-Richtlinie hinausgehen. Auf diesem Weg will die EU-Kommission erreichen, dass die Vorschriften in der EU einheitlich bleiben. 

Kommissionspräsidentin von der Leyen ist in einer schwierigen Lage

Die Veränderungen brauchen noch die Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments.


„Die Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes ist im deutschen Koalitionsvertrag beschrieben. “
René Repasi (SPD)

Die EU-Kommission befindet sich in einer schwierigen Lage. Einerseits hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre zweite Amtszeit das Ziel gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Gleichzeitig kann sie die Projekte ihrer ersten Amtszeit nicht beliebig abwickeln, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu beschädigen. 

SPD und Grüne zählten zu den erklärten Unterstützern der Lieferkettenrichtlinie im Europäischen Parlament - und stehen den geplanten Änderungen daher kritisch gegenüber. 

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