Vorbild Schweiz : Hohe Investitionen und langfristiges Denken
Trotz hoher Auslastung sind die Schweizer Bahnen fast immer pünktlich. Doch nicht überall ist die Infrastruktur der Eidgenossenschaft so vorbildlich.
Es ist eine Blamage, eine Notwendigkeit, ein Ärgernis, je nach Betrachter. Seit April enden zwei Eurocity-Verbindungen in die Innerschweiz in Basel, Reisende müssen umsteigen. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind die häufigen Verspätungen der deutschen Züge leid und fahren lieber selbst. Es geht um den guten Ruf in Sachen Zuverlässigkeit und darum zu verhindern, dass die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn (DB) ins eigene Netz schwappt und das gesamte System gefährdet.

In Basel, auf dem größten Grenzbahnhof Europas, endet seit Kurzem für einige Eurocity-Züge aus Deutschland die Fahrt. Die Schweizer haben genug von ihrer Unpünktlichkeit.
An der Schnittstelle Basel mit seinem deutschen und seinem schweizerischen Bahnhof prallen zwei Bahnwelten aufeinander. Während die DB im Fernverkehr mit Pünktlichkeitsquoten von weniger als 70 Prozent kämpft, verkündet die SBB zum Jahreswechsel: "Das Jahr 2024 war für die SBB ein Jahr mit einem Rekordwert bei der Zugspünktlichkeit: 93,2 Prozent der Züge kamen rechtzeitig an", nach nur 92,5 Prozent 2023. Die Anschlusspünktlichkeit, das Maß für das Funktionieren der Reisekette, lag sogar bei 98,7 Prozent. "Wenn Züge pünktlich verkehren, sind andere Verkehrsmittel des öffentlichen Verkehrs tendenziell auch pünktlicher, da sie nicht die ankommenden Züge abwarten müssen", heißt es bei der SBB.
20 Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz mit der Bahn zurückgelegt
Unpünktlichkeit kann sich die SBB nicht leisten, denn in keinem Land sind mehr Züge pro Kilometer Schienennetz unterwegs. 80 Prozent Netzauslastung, 160 Züge pro Streckenkilometer und Tag, 11.260 Züge auf 3.265 Kilometern Gleisen zwischen Genfer- und Bodensee in 24 Stunden - bezogen auf die Netzlänge vier Mal mehr als in Deutschland.
Die Schweiz "hat das am intensivsten genutzte Netz der Welt", konstatiert Matthias Finger, emeritierter Professor für das Management von Netzwerken in seinem Buch "Infrastruktur Schweiz". 75 Mal pro Jahr besteigen die Schweizerinnen und Schweizer einen Zug und fahren pro Jahr 2.500 Kilometer. Die Deutschen bringen es auf 35 Fahrten. 20 Prozent aller Wegstrecken werden in der Schweiz mit der Bahn zurückgelegt. All das funktioniert nur auf einer guten Infrastruktur.
Experte: Deutschland investiert zu wenig in sein Schienennetz
Benedikt Weibel war 30 Jahre in führenden Positionen bei der SBB tätig, davon 13 Jahre als Vorstandsvorsitzender. Er war maßgeblich am Konzept Bahn 2000 beteiligt, das in den 1980er-Jahren entwickelt und in den 1990ern umgesetzt wurde und Grundlage für die heutigen Erfolge ist. Derzeit investiert die Schweiz zwölf Milliarden Franken (rund 13 Milliarden Euro) in das Folgeprogramm Bahn 2035, das 2014 in einer Volksabstimmung gebilligt wurde. Im Bundesamt für Verkehr entsteht bereits ein Konzept bis 2050, es soll 2030 beschlossen werden. Man denkt in langen Zyklen, die Finanzierung steht. Das Geld kommt aus einem Sonderfonds, in den Mittel der Lkw-Maut und ein Anteil der Benzinsteuer fließen.
„Infrastrukturen sind immer teuer. Aber Geld ist in der Schweiz nicht das Problem.“
Für Weibel ist der Zustand des Netzes das Kernproblem der Deutschen Bahn. Der Bund habe die Schiene über Jahrzehnte vernachlässigt. Pro Einwohner investierte Deutschland 2023 laut Allianz pro Schiene lediglich 115 Euro in sein Schienennetz. Luxemburg (512 Euro), der Schweiz (477 Euro) und Österreich (336 Euro) waren ihre Bahn mehr wert.
Mit Bahn 2000 flossen in der Schweiz bis 2004 in 20 Jahren sechs Milliarden Franken in 135 Einzelmaßnahmen, nur eine davon war eine kurze neue Schnellfahrstrecke. "Weniger als die Hälfte dessen, was allein Stuttgart 21 kostet", gibt Weibel zu bedenken. Bahn 2000 habe auf Netzwirkung und Nutzen abgezielt. "Einzelne Aus- oder Neubaustrecken für Hochgeschwindigkeitsverkehr und wenige Minuten Zeitgewinn kosten viel Geld", sagt Weibel. Geld, das andernorts fehle. "Deutschland ist wie die Schweiz von der Siedlungsstruktur her kein Hochgeschwindigkeitsland."
Ausbau der Alpentransversale als Akt der Selbstbehauptung
Auch für ein zweites Grundproblem bietet Basel Anschauungsunterricht: 1996 vereinbarten die Bundesrepublik und die Schweiz vertraglich den zeitnahen Ausbau der Eisenbahn-Alpentransversale und seiner Zubringerstrecken an der Güterroute Rotterdam-Genua.
Die Strecken von Italien bis zum Bahnhof SBB in Basel sind seit 2016 in Betrieb, die Rheintalbahn auf deutscher Seite soll 2045 fertig werden. Für Finger liegt das auch an der "unabhängigen und nicht an politische Zyklen gebundenen" Finanzierung in der Schweiz. Vielleicht spielt eine Rolle, welche Bedeutung die Schweiz der Verkehrsinfrastruktur beimisst. Die Kontrolle über die Handelsstraße "stand am Anfang der Eidgenossenschaft", sie sei ein Akt der Selbstbehauptung, ein "Abwehrbündnis gegen die Habsburger", schreibt der Historiker Helmut Stalder in seinem Buch "Mythos Gotthard".
Investitionen in den Ausbau speziell des Bahnnetzes hat die Schweizer Bevölkerung stets befürwortet. Insgesamt gibt die Schweiz 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verkehrsinfrastruktur aus, in Deutschland liegt die Quote bei 0,6 Prozent. Das Autobahnnetz wurde seit 1980 von 875 auf 1.550 Kilometer enorm erweitert, 270 Kilometer verlaufen in einem Tunnel. Der Ausbau war auch nötig, weil die Einwohnerzahl im gleichen Zeitraum von 6,3 auf 8,9 Millionen gestiegen ist.
"Infrastrukturen sind immer teuer", sagt Finger, "aber Geld ist in der Schweiz nicht das Problem." Mit dem Departement für "Umwelt, Verkehr, Energie, Kommunikation" (UVEK) verfüge die Schweiz über ein einziges Ministerium, das geeignet sei, das überkommene "Silodenken" zu überwinden, analysiert der Wissenschaftler. Denn Infrastruktur müsse neu gedacht werden. Neue Medien hätten Folgen für die Briefzustellung, erneuerbare Energien stellten neue Anforderungen an das Stromnetz, der wachsende Onlinehandel verändere die Logistik und damit den Verkehr. Die gelben Busse werden als Nachfolger der Postkutsche der Post zugerechnet, zählen funktional aber zur Bahn.
Wo immer in der Schweiz ein Windrad gebaut wird, regt sich Protest
Besonders dringlich ist der Ausbau des Stromnetzes. Schon 2010 kam ein Bericht für das UVEK zum Schluss, dass "bei den Hochspannungsleitungen ein Nachholbedarf" bestehe. Daran hat sich nichts geändert. Kein Land ist so stark in das europäische Stromnetz eingebunden wie die Schweiz mit ihren 41 Übergabepunkten, kaum eines (vor allem im Winter) in Sachen Versorgung und vor allem Stabilität so abhängig von Stromimporten. Aber es gibt kein Stromabkommen mit der EU und die Verhandlungen ruhen. Und wo immer ein Windrad geplant wird, regt sich Protest, das gilt auch für effiziente Solaranlagen in Höhenlagen, den Ausbau der Wasserkraftwerke oder das Aufstellen eines Strommastes.
Im Goms im Kanton Wallis wurde 1990 mit der Planung einer dringend nötigen Hochspannungstrasse begonnen, erst 2013 bekam das Projekt vom Bundesgericht letztinstanzlich die Baugenehmigung. Der Betreiber Swissgrid hofft, die Leitung 2028 endlich unter Strom setzen zu können. Als Konsequenz haben Regierung und Parlament in Bern das Projekt "Netz-Express" gestartet, das dem deutschen Planungsbeschleunigungsgesetz ähnelt. Leitungen sollen vermehrt in die Erde verlegt werden. Das verteuert den Strom, aber das Geld befriedet den Konflikt.
Ab 2026 will die Schweiz auf 6G umstellen
Obwohl auch die Mobilfunknetzbetreiber mit tausenden Klagen gegen Funkmasten konfrontiert sind, sind aktuell 99 Prozent des Landes mit 5G versorgt, 2030 soll die Aufrüstung mit 6G beginnen. Der größte Telekommunikationsanbieter in der Schweiz, die Swisscom, investiert jedes Jahr rund 1,7 Milliarden Franken in den Ausbau des Glasfasernetzes, bis 2035 soll nahezu die gesamte Bevölkerung Zugang haben.
Aber Digitalisierung ist mehr als der Ausbau eines physischen Netzes, gibt Matthias Finger zu bedenken. Es brauche Regelungen für Datensicherheit, Datenerhebung und -verwaltung sowie Regulierungen für die Plattformökonomie. Hier hinke die Schweiz der EU hinterher.
Doch nicht alle Ungereimtheiten der Infrastrukturpolitik der Schweiz liegen so offen, wie am stauanfälligen Gotthard, wo eine neue Röhre des Autobahntunnels gebaut wird. Sie soll die bestehende entlasten, damit sie saniert werden kann. Weil aber die Gesamtkapazität der Straße laut Volksentscheid nicht erweitert werden darf, soll im späteren Normalbetrieb in den dann zwei Röhren nur jeweils eine der beiden Fahrspuren genutzt werden.
Der Autor ist freier Journalist in Baden-Württemberg.
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