
Im zweiten Anlauf : Bundestag wählt drei neue Verfassungsrichter
Nach der verpatzten Richterwahl im Juli hat das Parlament am Donnerstag drei Kandidaten mit der notwendigen Mehrheit gewählt.
Im zweiten Anlauf hat es dann doch geklappt: Am Donnerstag hat das Bundestagsplenum drei, teilweise schon länger vakante Richterposten am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe neu besetzt. In geheimer Wahl war dafür eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen notwendig, und da selbst CDU/CSU, SPD und Grüne nicht über diese Mehrheit verfügten, war es die Frage der Woche: Wie verhält sich Die Linke bei der Abstimmung? Denn die Regierungsfraktionen wollten nicht auf Stimmen der AfD-Fraktion angewiesen sein und erst recht keine Absprache mit ihr treffen. Die Linke wiederum hatte die Union im Vorfeld heftig dafür kritisiert, wegen deren Unvereinbarkeitsbeschluss nicht mit ihr über die Richterwahl zu reden. Letztlich hatte die Linken-Spitze ihren Abgeordneten die freie Entscheidung überlassen.
Wie einzelne Abgeordnete nun abgestimmt haben, lässt sich bei einer geheimen Wahl natürlich nie herausfinden. Auf jeden Fall hat es geklappt. Mit der nötigen Mehrheit der Stimmen wurden der von der Unionsfraktion vorgeschlagene Bundesarbeitsrichter Günter Spinner und die beiden von der SPD-Fraktion nominierten Kandidatinnen, die Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, Sigrid Emmenegger, gewählt.
Letztere wurde für die zuerst von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf ins Rennen geschickt. Gegen die Verfassungsrechtlerin aus Potsdam waren im Juli die Vorbehalte innerhalb der Union binnen weniger Tage wegen deren verfassungsrechtlich-liberalen Positionen zum Abtreibungsrecht derart angewachsen, dass der Bundestag den Wahlvorgang von der Tagesordnung nehmen musste. Was folgte, war die erste ernsthafte Krise für die Bundesregierung. Seitdem muss sich das System der BVerfG-Richterwahlen auf offener Bühne bewähren.
Richterwahl findet meist wenig Aufmerksamkeit in den Medien
Meistens jedoch ist die Wahl von Bundesverfassungsrichtern ein recht geräuschloser Vorgang, in den Medien allenfalls eine Kurzmeldung wert. Dennoch sorgt es mitunter bei Bürgern für Irritationen, dass Verfassungsrichter von der Politik gewählt werden und führt zu Debatten über die Unabhängigkeit des Gerichts.
Beruhigen lässt sich diese Debatte meist mit dem Hinweis darauf, dass die Verfassungsrichter schon immer von der Politik gewählt wurden und dass das BVerfG dennoch ein hoch respektiertes Gericht ist, das seine Unabhängigkeit durch viele Entscheidungen schon unter Beweis gestellt hat.
2015 wurde das Wahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts reformiert
Doch wie ist das Wahlverfahren derzeit eigentlich organisiert? Das Bundesverfassungsgericht besteht bekanntlich aus zwei Senaten à acht Richtern. Diese 16 Richter werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Dass in diesem Sommer drei Richter im Bundestag gewählt werden und keiner im Bundesrat, ist Zufall. Denn die 16 Richter werden nie auf einmal gewählt. Immer wenn ein Posten frei wird, wird nachgewählt.
Die Ergebnisse der Richterinnenwahl im Details
👨🎓 Auf Prof. Dr. Günter Spinner entfielen 424 Ja-Stimmen, 178 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen. Spinner folgt im Ersten Senat auf Dr. Josef Christ.
👩🎓 Für Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold stimmten 440 Abgeordnete, 166 stimmten bei sieben Enthaltungen mit Nein. Sie tritt im Zweiten Senat die Nachfolge von Dr. Ulrich Maidowski an. Der Bundesrat wählte sie am Freitag einstimmig zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts.
👩🎓 Dr. Sigrid Emmenegger erhielt 446 Ja-Stimmen bei 161 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen. Sie übernimmt im Zweiten Senat den Sitz von Prof. Dr. Doris König.
Bis vor wenigen Jahren wählte der Bundestag die Verfassungsrichter in einem zwölfköpfigen Wahlausschuss. 2015 gab es jedoch eine Reform: Die Kandidaten brauchen zwar zuerst ein Votum des Wahlausschusses, die eigentliche Wahl findet aber im Plenum des Bundestags statt. Damit wurden verfassungsrechtliche Bedenken berücksichtigt, denn im Grundgesetz steht, dass die Verfassungsrichter "im Bundestag" gewählt werden, nicht in einem kleinen Ausschuss. Außerdem soll die Wahl im Plenum die Legitimation der Verfassungsrichter erhöhen.
Allerdings schuf die Reform auch neue Gefahren. Denn die anonyme Abstimmung im Plenum ermöglicht es Abgeordneten, ihrer Fraktionsführung einen Denkzettel zu verpassen oder jedenfalls die Fraktionsdisziplin zu missachten. Im Juli hatte die Diskussion um Frauke Brosius-Gersdorf, die bereits das Votum des Wahlausschusses hatte, als die kritischen Stimmen in der Unionsfraktion immer lauter wurden, gezeigt, was passiert, wenn die Fraktionsdisziplin wackelt und der Chef einer Fraktion, in dem Fall Jens Spahn (CDU), diesen Unmut falsch einschätzte. Auch er musste sich nach diesem verpatzten ersten Versuch sehr kritische Fragen gefallen lassen.
Die Richter in Karlsruhe sollen überparteiliche Urteile fällen
Für die Wahl der Verfassungsrichter ist im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig, um zu verhindern, dass die jeweilige Regierungsmehrheit das BVerfG allein besetzen kann. Das BVerfG ist daher pluralistisch zusammengesetzt. Und wenn die Richter (wie meist) einen Konsens suchen, sind Urteile wirklich überparteilich, was für hohe Akzeptanz der Entscheidungen sorgt.
In der Praxis hat sich ein informelles System von Vorschlagsrechten herausgebildet. Die Parteien, die für die Zweidrittelmehrheit benötigt werden, dürfen entsprechend ihrer Stärke im Bundestag und im Bundesrat Vorschläge für die Richterwahl machen. Seit 2018 gilt für die Vorschlagsrechte der Parteien die Formel 3/3/1/1. Das heißt, dass CDU/CSU und SPD je drei Verfassungsrichter pro Senat vorschlagen können, Grüne und auch die im aktuellen Bundestag nicht vertretene FDP haben je ein Vorschlagsrecht. Bislang wurde die Linke, ebenso wie die AfD, jedoch nicht berücksichtigt.
Die Vorschlagsrechte werden in der Regel respektiert. Wenn die SPD einen sozialdemokratisch geprägten Richter vorschlägt, ist das keine unzulässige Politisierung des Gerichts, sondern Ausdruck des gewollten Pluralismus. Das Bundesverfassungsgericht soll kein technokratisches Gericht sein, sondern ein politisches Gericht, das in der Lage ist, vielfältige Perspektiven zu berücksichtigen und abzuwägen.
Die Parteien setzen ihr Vetorecht nur selten ein
Nur selten wird ein Vorschlag von den anderen Parteien abgelehnt, weil die Person oder ihre Positionen nicht akzeptabel sind. Alle Fraktionen haben ein gemeinsames Interesse an einem restriktiv genutzten Vetorecht. Schließlich will jede Fraktion, dass die eigenen Vorschläge von den anderen Fraktionen ebenfalls in aller Regel akzeptiert werden.
In diesem Jahr passten Theorie und Praxis nicht so reibungslos zusammen wie eigentlich vorgesehen. Die nächste Chance kommt dann 2031 im Bundestag wieder. Im Bundesrat wird sogar schon 2028 wieder ein Verfassungsrichter oder eine Verfassungsrichterin gewählt.
Der Autor ist rechtspolitischer Korrespondent.