Gesellschaft unter Druck : Plädoyer für eine Kultur der Selbstbeschränkung
Der Soziologe Emanuel Deutschmann warnt vor den Folgen eines exponentiellen Wachstums. Der Ausweg sei eine kollektiv definierte Selbstbeschränkung.
Renommierte Soziologen haben die deutsche Gesellschaft schon als "Risikogesellschaft" (Ulrich Beck), "Gesellschaft der Angst" (Heinz Bude), "Beschleunigungsgesellschaft" (Hartmut Rosa) oder als "Gesellschaft der Singularitäten" (Andreas Reckwitz) charakterisiert. Emanuel Deutschmann, Juniorprofessor für soziologische Theorie an der Europa-Universität Flensburg, erweitert diese Klassifikationen um den Begriff der "globalen Exponentialgesellschaft". Was bedeutet das?
Exponentielles Wachstum destabilisiert, argumentiert Deutschmann
Exponentielles Wachstum zeichnet sich durch gleichbleibende, prozentuale Wachstumsraten in jeweils gleichen Zeitabschnitten aus, die zu einer Phase führen, in der die negativen Folgen der Entwicklung nicht mehr gestoppt werden können. Exemplarisch erläutert Deutschmann, dass exponentielles Wachstum in Wirtschaft, Ökologie, Migration, Verkehr, Kommunikation, Demographie, Digitalisierung und in der Künstlichen Intelligenz den Fortbestand unserer Gesellschaft in ihrer aktuellen Gestalt bedroht. Denn mit dem Wachstum einher gingen ein steigender Verbrauch von Energie und Ressourcen, mehr Pandemien, höhere Inflationsraten und eine Zunahme der "anthropogenen Masse", also des von Menschen produzierten Materials. Angesichts der Komplexität der Materie gelingt es dem Autor, die empirischen Daten und deren Wechselwirkungen in Grafiken so aufzubereiten, dass der Leser sie gut nachvollziehen kann.
Vor der Ausbeutung unseres Planeten und unbegrenztem Wachstum haben in der Vergangenheit bereits andere Wissenschaftler gewarnt. Deutschmanns herausragender Beitrag zu dieser Debatte besteht darin, dass er nicht einzelne Entwicklungen herausgreift, wie die Klimakrise oder die Erderwärmung, sondern 80 weitere Trends gleichzeitig analysiert sowie ihre Wechselwirkungen übersichtlich und nachvollziehbar darstellt.

Emanuel Deutschmann:
Die Exponentialgesellschaft.
Vom Ende des Wachstums zur Stabilisierung der Welt.
Suhrkamp,
Berlin 2025;
442 S., 32,00 €
Dabei zeigt sich Deutschmann weder übertrieben optimistisch oder pessimistisch. Er weist vielmehr daraufhin, dass die Zukunft offen und mithin immer noch "aktiv gestaltet" werden könne, trotz "großer Widerstände" und sich schließender Zeitfenster. Tatsächlich ist er davon überzeugt, dass die unabwendbaren zahlreichen Katastrophen aufgrund des "Weiter-so-Expansionismus" mit gezielten "Stabilisierungskapazitäten" gebremst werden können.
Dies sei aber nicht nur Sache der Politik, sondern jedes und jeder Einzelnen. Entsprechend wünscht sich der Soziologe eine stabilisierte Post-Exponentialgesellschaft, die über eine Kultur der Begrenzung und eine kollektiv definierte Selbstbeschränkung zu erreichen sei.
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