Parlamentarisches Profil : Die Verwurzelte: Claudia Müller
Die grüne Haushaltspolitikerin vermisst zunehmend die Einsicht, dass man Mehrheiten über verschiedene demokratische Fraktionen hinweg schmieden können muss.
Am vergangenen Dienstag konnte Claudia Müller nur staunen. Die Grünen-Abgeordnete lauschte im Plenarsaal den Worten der CSU-Politikerin Mechthilde Wittmann, die adressierte den grünen Fraktionsvize: "Aber sehr geehrter Herr Audretsch, es ist halt auch die Wahrheit, dass Sie in Ihrer Ampelkoalition den Mut nicht dafür aufgebracht haben, ein solches Paket ins Laufen zu bringen. Wir wären an Ihrer Seite gewesen".
Wilde Zwischenrufe. Und Müller, 44, aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich zugutehält, dass sie auch mit Abgeordneten anderer Fraktionen ein Auskommen anstrebt, schüttelte nur den Kopf. "Ich wunderte mich über die Vergesslichkeit von Frau Wittmann", sagt sie zwei Tage später am Telefon. "Die Union hatte doch immer wieder gesagt, dass es keine Änderung der Schuldenbremse brauche - dabei hatten wir immer wieder diese Debatte angeregt. Das ist der Versuch einer neuen Erzählung. Sowas hat mich schockiert."

Claudia Müller sitzt seit 2017 für die Grünenfraktion im Bundestag. Seit 2025 ist sie Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion sowie Mitglied im Forschungsausschuss.
Immerhin ermöglichten die Grünen der neuen Regierung genau dies: eine Lockerung der Schuldenbremse. Wie die zusätzlichen Gelder ausgegeben werden, diskutiert der Bundestag in dieser Woche.
"Es wurde viel versprochen", sagt Müller, "aber eine Modernisierung und einen Ruck sehe ich nicht". Viel zu wenig werde in nötige Investitionen fließen, und außerdem befürchte sie einen Verschiebebahnhof: "Zum Beispiel werden Internationale Klimaschutzmittel in den Klima- und Transformationsfonds manövriert und entlasten damit den Haushalt der Bundesregierung. Für mich ist das ein Taschenspielertrick." Die Bundesregierung zeige sich kreativ in der Auslegung. "Aber alle sehen es."
Die Polarisierung erreicht auch die kommunale Ebene
Die Haushaltspolitik kennt Müller von der Pieke auf. Von 2009 bis 2012 engagierte sie sich in der Stralsunder Bürgerschaft als Vertreterin einer Wählervereinigung im Rechnungsprüfungsausschuss, wurde Mitglied bei den Bündnisgrünen, zog in den Kreistag und war als Vize-Fraktionsvorsitzende im Haushalts- und Wirtschaftsausschuss.
"Damals lernte ich, dass man priorisieren muss und Mehrheiten über verschiedene demokratische Fraktionen hinweg schmieden können muss." Das vermisse sie zusehends. "Die Polarisierung auf Bundesebene, der rauere Ton - all dies setzt sich nun auch auf kommunaler Ebene fort", beklagt sie. Verwaltungsvorschläge würden öfter gegen jede Vernunft abgelehnt, um Wählerstimmen nicht zu verprellen. “Und dann werden noch rotere Zahlen geschrieben.”
„Zahlen und Haushalte sind ehrlich. Sie können nicht lügen.“
In die Politik kam Müller aus Trotz. Ihre Generation verzeichnete in Mecklenburg-Vorpommern die bisher stärksten Abwanderungszahlen. Diesem Trend wollte sich die in Rostock Geborene widersetzen, zu sehr mochte sie die Heimat, die Region. Nach dem Abi studierte sie Internationale Betriebswirtschaftslehre in Stralsund. Aus dem Kreistag heraus wurde sie 2012 Landesvorsitzende der Grünen im Bundesland und zog 2017 in den Bundestag ein; derzeit als einzige grüne Abgeordnete aus dem Nordosten.
Aufgewachsen in einem Elternhaus, in dem lebhaft über Politik diskutiert wurde
In Berlin etablierte sie sich rasch. 2022 wurde sie Koordinatorin der Bundesregierung für maritime Wirtschaft und Tourismus, 2023 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung; Ende November 2024, nachdem die FDP die Ampel-Koalition wegen des besagten Streits um die Schuldenbremse verlassen hatte, wurde sie in Doppelfunktion auch Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Bildung und Forschung.
Im Elternhaus sei zwar über Politik lebhaft diskutiert worden, sagt Müller, aber man sei nicht aktiv gewesen. Der Vater, ein Physiker, sei klassischer Unionswähler gewesen, und die Mutter, eine Lehrerin, "im Dreieck zwischen SPD, Bündnisgrünen und Linken". Mittlerweile, natürlich, seien beide überzeugte Grünen-Wähler. Müller selbst habe zu den Bündnisgrünen gefunden, weil diese Partei die besten Antworten auf die Ressourcenendlichkeit und die Herausforderung effizienten Arbeitens geben würde. Geblieben ist die Liebe für Zahlen. "Zahlen und Haushalte sind sehr ehrlich", sagt sie, "sie können nicht lügen". Daher habe sie so gezuckt, am vergangenen Dienstag.
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