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Wachstum : Der Staat spart, die Wirtschaft schrumpft

Dass die deutsche Wirtschaft 2023 in die Rezession gerutscht ist, liegt für Experten auch an sinkendem Staatskonsum.

23.09.2023
2024-03-04T11:22:28.3600Z
6 Min
Foto: picture alliance/dpa

Marode Infrastruktur, Defizite im Gesundheitswesen. Spart der Staat zu sehr? Oder setzt er falsche Prioritäten?

Die Hiobsbotschaften für die deutsche Wirtschaft scheinen nicht abzureißen. Unternehmenslenker kündigen an, Investitionen, Fertigung und letztlich Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Aufmacher in Wirtschaftszeitungen schlagen Alarm wegen eines Einbruchs der Baukonjunktur angesichts hoher Zinsen und Kosten. Direktinvestitionen in bisher ungekannter Höhe fließen ins Ausland. Das alles kulminiert in einer Zahl: -0,6 Prozent. Laut Prognose des Forschungsinstituts RWI wird die deutsche Wirtschaft 2023 in dieser Größenordnung schrumpfen. Auch das Münchner Ifo-Institut, das IW Halle und das IfW Kiel sehen die deutsche Volkswirtschaft 2023 in der Schrumpfung, erwarten nur eine minimal geringere Rezession.

Am Donnerstag werden die vier Institute ihre Gemeinschaftsprognose mit konsentierten Daten und Handlungsempfehlungen an die Politik veröffentlichen. Doch klar ist schon jetzt: Deutschlands Wirtschaft rutscht im globalen Dynamik-Ranking weit nach hinten. Die Musik spielt andernorts.

Der Staat spart

Warum eigentlich der plötzliche Abstieg? Vor kurzem noch galt Deutschland doch als ökonomische Powerbank Europas. Ein etwas genauerer Blick auf die Daten zeigt: Ein Faktor für die gegenwärtige Rezession ist, dass der Staat spart. "Vor allem Anfang 2022 gab es noch einen deutlich erhöhten Staatskonsum aufgrund von Tests, Impfungen und weiteren im Zusammenhang mit Corona bestehenden gesundheitsbezogenen Ausgaben", erklärt Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef des Münchner ifo-Instituts, und ergänzt: "Mit dem Wegfall dieser Ausgaben ist der Staatskonsum spürbar zurückgegangen, was sich auf Jahressicht dann in der Veränderungsrate des Jahres 2023 in Höhe von -2,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 widerspiegelt."

Auch Torsten Schmidt, Leiter des Kompetenzbereichs "Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen" am RWI Essen, betont die Bedeutung dieses Faktors für die Entwicklung der Wirtschaftsleistung und erklärt: "Der Staatskonsum hat einen Anteil von rund 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, ist also eine bedeutende Größe, die in der Konjunkturforschung aber leider oft vernachlässigt wird."

Was versteht man unter Staatskonsum?

Das Statistische Bundesamt definiert den Staatskonsum als "den Wert der Güter, die vom Staat selbst produziert werden - abzüglich selbst erstellter Anlagen und Verkäufe - sowie Ausgaben für Güter, die als soziale Sachtransfers den privaten Haushalten für ihren Konsum zur Verfügung gestellt werden". Zum Staatskonsum gehören also beispielsweise Ausgaben für Schulen, Krankenhäuser oder die Bundeswehr.

Der Staatskonsum ist dabai Teil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, zu der auch der private Konsum und die Investitionen gehören.



Sicher, der sinkende Staatskonsum erklärt nicht völlig die mauen Wirtschaftsdaten, entkräftet nicht, dass viele Firmen über schlechter werdende Investitionsbedingungen in Deutschland klagen, Stichworte Energiepreise, Bürokratie, hohe Abgaben und Steuern. Aber zur akuten Rezession trägt der Staat erheblich bei. "Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive kann man daher schon sagen, dass der Staat mit einem Beitrag von -0,6 Prozentpunkten maßgeblich für den Rückgang der Wirtschaftsleistung im Jahr 2023 ist", erläutert Ifo-Ökonom Wollmershäuser. Zum Vergleich: Auf Basis der ifo-Schätzung trägt selbst die kriselnde Bauwirtschaft nur -0,2 Prozent zum schrumpfenden BIP 2023 bei, die privaten Konsumausgaben -0,3 Prozent.

Der Staat spart, die Wirtschaft schwächelt. Doch ohne wachsende Wirtschaft stagnieren die Löhne, nimmt die Sozialversicherung weniger Geld ein, können also Renten nicht steigen, gerät das Gesundheitssystem noch stärker in finanzielle Schwierigkeiten. Länder und Kommunen können ohne sprudelnde Steuereinnahmen kaum in Kitas und Schulen investieren. Die Arbeitslosigkeit steigt.

Mehrheit der Fraktionen will an Schuldenbremse nicht rütteln

Bisher verweigert sich die Ampel-Koalition dem Gedanken, mehr Geld auszugeben und die Konjunktur mit höheren Schulden anzutreiben. Das gilt auch für die größte Oppositionsfraktion. Sie wollen sowohl die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union für das staatliche Defizit als auch die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Es geht finanzpolitisch darum, die starke Bonität Deutschlands als über jeden Zweifel erhabener Schuldner zu erhalten. Vor allem aber argumentiert Finanzminister Christian Lindner (FDP) zuletzt makroökonomisch. Nach der jüngsten Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) in deren Kampf gegen die weiter grassierende Inflation schrieb Lindner in einem Social-Media-Post: "Der staatliche Beitrag zur Geldwertstabilität muss sein, nicht mit Staatsausgaben auf Pump die EZB zu konterkarieren. Das würde Kosten für die Bekämpfung der Inflation sonst noch steigen lassen." Deshalb verfolge er eine moderat restriktive Finanzpolitik, erklärte der Minister.

Wissenschaftler stimmen Lindner hier durchaus zu. "Es ist lange klar, dass Geldpolitik nur dann Inflation bekämpfen kann, wenn es keine sogenannte Fiscal Dominance gibt", sagt der Makroökonom Rüdiger Bachmann, Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana, und erklärt: "Mit anderen Worten, die Fiskalpolitik darf die restriktiven Bemühungen der Geldpolitik nicht konterkarieren. Denn durch expansive Fiskalpolitik entsteht ja reale Nachfrage, die die Geldpolitik gerade zu dämpfen versucht." Zwar lasse sich darüber streiten, welche Wirkung eine begrenzt steigende Staatsverschuldung quantitativ auf die Steigerung der Preise haben könne, sagt Bachmann. "Aber das Argument an sich, dass höhere Schulden eher preissteigernd wirken, ist nicht falsch."

Höherer Staatskonsum dürfte Inflation anheizen

Genauso sieht es Dominika Langenmayr, Professorin für Finanzwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. "Wir sind in einer Situation mit hoher Inflation, aber auch hohem Investitionsbedarf. Um die Inflation zu bekämpfen, muss die Summe aus Konsum und Investitionen sinken. Höher Staatskonsum würde in erster Linie die Inflation anheizen", warnt sie.

Entscheidend für die Frage, wie stark ein Konjunkturprogramm in Form höherer staatlicher Ausgaben auf die Inflation wirkt, sei die Produktionslücke, erklärt RWI-Ökonom Schmidt. Soll heißen: Wie stark sind die Ressourcen einer Volkswirtschaft ausgelastet? "Inflation entsteht vor allem dann, wenn die Kapazitäten ausgereizt sind und der Staat mit Ausgabenprogrammen die Wirtschaft weiter anheizt", erklärt Schmidt. Jetzt, wo die Baukonjunktur schrumpfe, sieht er diese Gefahr nicht so sehr. "Trotzdem empfehlen wir jetzt kein weiteres Konjunkturprogramm, wenngleich die inflationären Effekte geringer wären als noch vor zwei Jahren, als die Kapazitäten voll ausgelastet waren", sagt der Volkswirt.

Sorge um Bauwirtschaft

Die Gefahr: Würde die EZB auf weiter steigende Staatsausgaben und einen sich daraus steigernden Inflationsdruck im Euroraum - Deutschland ist hier die größte Volkswirtschaft - mit noch höheren Zinsen reagieren, träfe das nicht zuletzt die ohnehin bereits schwer gebeutelte Bauwirtschaft. Wenn die Zinsen hoch sind und womöglich noch weiter steigen, wollen und können sich weniger Menschen Immobilien leisten.

Genau das lässt dieser Tage für manch einen den Traum vom Eigenheim platzen. Doch die EZB hat kaum eine andere Wahl, als auf steigende Inflationsraten mit höheren Leitzinsen zu reagieren. RWI-Ökonom Schmidt geht jedoch davon aus, dass sinkende Immobilienpreise in Kombination mit steigenden Einkommen in absehbarer Zeit dafür sorgen können, dass private Häuslebauer sich Bauvorhaben oder den Kauf von Wohnungen bald wieder leisten können. "Wir erwarten auch sinkende Baukosten", sagt er.


„Inflation entsteht vor allem dann, wenn die Kapazitäten ausgereizt sind und der Staat mit Ausgabenprogrammen die Wirtschaft weiter anheizt.“
Torsten Schmidt, Leiter des Kompetenzbereichs "Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen" am RWI Essen

Also Licht am Ende des Tunnels für die deutsche Konjunktur, trotz schrumpfenden Staatskonsums, Inflation, steigender Zinsen? Wirtschaftsforscher Wollmershäuser sieht das so. Vor allem private Haushalte hielten sich derzeit mit Bauvorhaben zurück, sagt er. "Die Investitionen der Unternehmen in den privaten Wirtschaftsbau sind davon bislang weniger betroffen", berichtet er. "Dies zeigt sich auch in der Stimmung der Bauunternehmer, die in der Sparte Wohnungsbau deutlich schlechter ist als im gewerblichen Bau."

Insgesamt wachsen die Investitionen der Unternehmen, weiß der Ökonom. Die Firmen investieren in Maschinen, Fahrzeuge, Forschung und Entwicklung sowie eben in Wirtschaftsbauten. Für 2023 rechnet das Ifo-Institut hier mit einem Plus von zwei Prozent, für 2024 mit 1,7 Prozent. Wollmershäuser verweist auf jüngste Befragungen, die keine Untergangsstimmung verbreiteten. "Demnach hat sich nach unserer Umfrage in der ersten Jahreshälfte 2023 das Investitionsklima der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe für das laufende Jahr im Vergleich zum Vorjahr sogar aufgehellt", berichtet er.

Die Unternehmensinvestitionen dürften sich ausweiten, ihr Wachstum aber vergleichsweise moderat bleiben. Hiobsbotschaften sind das nicht.

Foto: Ifo-Institut / Stephan Roters

Grafik eines Balkendiagramms zur Entwicklung des Staatskonsums und des Bruttoinlandsproduktes