Piwik Webtracking Image

Norbert Röttgen im Interview : "Halte einen Waffenstillstand in absehbarer Zeit für ausgeschlossen"

Auf die europäischen Vorschläge habe Putin nur mit Hohn und Spott reagiert, sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Diplomatie bleibe trotzdem notwendig.

19.12.2025
True 2025-12-19T14:06:04.3600Z
5 Min

Herr Röttgen, Sie haben in der Bundestagsdebatte zum EU-Gipfel am Mittwoch eindringlich auf den Ernst der Lage in Europa hingewiesen. Worum ging es Ihnen dabei?

Norbert Röttgen: Für uns als Europäer geht es darum, den Krieg wieder aus Europa zu verbannen, indem wir das angegriffene Land so unterstützen, dass es sich verteidigen kann. In dieser Selbstbehauptung gegen Krieg haben wir die USA zum ersten Mal nicht mehr so an unserer Seite, wie es 80 Jahre lang der Fall war. Stattdessen verstehen sich die USA als Vermittler. Ohne die Unterstützung der Europäer und nach dem Wegfall der USA wäre die Ukraine nicht in der Lage, sich aus eigenen Kräften zu verteidigen. Dann würde Krieg sich als Erfolgsmodell von Politik im 21. Jahrhundert in Europa herausgestellt haben. Und wenn der Krieg sich lohnt, wird er auch zu uns kommen. Darum steht der Frieden in Europa auf dem Spiel.

Foto: Jonas Makoschey

Norbert Röttgen (CDU) ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.

Nun haben mehrere europäische Staats- und Regierungschefs in Berlin Vorschläge zu einer Friedenslösung erarbeitet. Erste Reaktionen aus Moskau waren negativ. Halten Sie es trotzdem für möglich, dass ein Waffenstillstand zustande kommt?

Norbert Röttgen: Nein, ich halte einen Waffenstillstand in absehbarer Zeit für ausgeschlossen. Auf die europäischen Vorschläge bis hin zu der Aufforderung, zumindest an Weihnachten die Waffen schweigen zu lassen, hat Putin ja nur mit Hohn und Spott reagiert. Damit hat er erneut zum Ausdruck gebracht, dass er sich für Krieg entschieden hat, um mit Krieg imperialistische Ziele durchzusetzen. Diplomatie bleibt trotzdem notwendig, aber wir müssen erkennen, dass Diplomatie nur dann eine Chance haben wird, wenn sie durch militärische Verteidigungsfähigkeit unterlegt ist.

Würden Sie vor diesem Hintergrund trotzdem sagen, dass sich die Berliner Gespräche Anfang der Woche gelohnt haben?

Norbert Röttgen: Ganz eindeutig haben sie sich gelohnt. Es sind viele Ziele erreicht worden, und zwar die realistischen Ziele, von denen nicht klar war, ob man sie erreicht. Europa ist aktiviert und geeint worden in einer gemeinsamen Position. Diese Positionierung wurde dann erweitert um die Ukraine und auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht in allem und mit jedem, aber in wichtigen Fragen hat es eine gemeinsame Positionierung der Europäer, der Ukraine und der USA gegeben. Damit hat Europa das im Moment mögliche politische Gewicht eingebracht und sich wieder in die Diplomatie zur Beendigung des Krieges hineinmanövriert. Das war von den USA nicht so beabsichtigt, dass die Europäer eine Rolle spielen, und von Russland schon gar nicht.


„Wir müssen als Europäer einfach anerkennen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine vor allem eine Angelegenheit der Sicherheit und des Friedens in Europa ist.“
Norbert Röttgen (CDU)

Teil der europäischen Vorschläge sind die Sicherheitsgarantien, die verhindern sollen, dass Russland nach einem Waffenstillstand erneut angreift. Wirksam können diese Sicherheitsgarantien nur mit einer glaubwürdigen amerikanischen Beteiligung sein. Doch gerade an dieser Glaubwürdigkeit gibt es Zweifel. Teilen Sie solche Zweifel?

Norbert Röttgen: Der Kern der Vereinbarung ist, dass zusammen mit der Ukraine, den USA und den Europäern ein Waffenstillstandsabkommen und auch ein Friedensabkommen mit Russland erreicht werden soll. Das ist deshalb bedeutsam, weil es ja vorher auch Verabredungen zwischen den USA und Russland über die Ukraine über europäische Interessen hinweg gegeben hat. Die Frage der Sicherheitsgarantien stellt sich dann, wenn es zu einem Friedensschluss gekommen ist. Zweifel sind von den USA genährt worden durch die Nationale Sicherheitsstrategie, auch durch das amerikanische Vorgehen im konkreten Fall. Aber gerade deshalb war es ein Erfolg, die USA jetzt für diese Vereinbarung gewonnen zu haben. Diese bedarf der Konkretisierung, die aber erst erfolgen kann, wenn man überhaupt in der Phase ist, dass ein Frieden verhandelt und abgeschlossen wird.

Die Ukraine ist, verglichen mit Russland, nicht nur knapp an Waffen und Munition, sondern auch an Soldaten. Die Lücken, die Tod und Verwundung reißen, sind immer schwerer zu füllen. Was empfinden Sie vor diesem Hintergrund, wenn immer mehr junge Ukrainer ausreisen, auch nach Deutschland?

Norbert Röttgen: Das ist eine belastende Situation, die nicht akzeptiert werden kann. Der ukrainische Präsident Selenskyj und die ukrainische Regierung müssen hier die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Wir sind in Deutschland und Europa solidarisch mit der Ukraine, wir bringen enorme Finanzmittel auf. Wir tun es auch im eigenen Interesse. Doch mit dieser Solidarität ist es nicht vereinbar, wenn in der Ukraine politisch zugelassen wird, dass Männer im wehrfähigen Alter das Land verlassen.

Im Bundestag

Mehr zum Thema Klöckner lobt Selenskyjs Offenheit für Neuwahlen
Ukraine-Gespräche in Berlin: Klöckner lobt Selenskyjs Offenheit für Neuwahlen

Es gibt in jüngster Zeit Berichte, dass Russland in Belarus an der Grenze zu Nato und EU neue Truppen massiert. Ist die Sorge berechtigt, dass uns zu wenig Waffen für unsere eigene Verteidigung bleiben?

Norbert Röttgen: Wir haben die Aufrüstung für die Verteidigungsfähigkeit, die Abschreckungsfähigkeit Deutschlands und der europäischen Nachbarn viel zu spät begonnen und sind jetzt in einem Lauf gegen die Zeit, um die Ausstattung mit Waffensystemen, Munition und Ausrüstung aufzuholen, so gut und so schnell es geht. Aber wir müssen das in der gesamten Linie der Verwundbarkeit des Nato-Territoriums machen. Dazu gehört die polnische Ostgrenze, dazu gehört die baltische Ostgrenze, dazu gehört aber auch die Ukraine. Würde die Ukraine morgen kapitulieren, hätten wir eine ganz andere, unmittelbare Bedrohung des Nato-Territoriums. Insofern kann man die Bedrohung, die durch die Truppenstationierung in Belarus stattfindet, nicht gegen die Verteidigung in der Ukraine ausspielen, weil beides Bedrohungen unserer Sicherheit sind.

Abstimmungen in der UN-Vollversammlung haben gezeigt, dass Russland zwar nicht viele Freunde hat, aber auch nicht viele Widersacher, die sich klar auf die Seite der Ukraine und des Westens stellen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Norbert Röttgen: Das ist nicht so überraschend. Wir müssen als Europäer einfach anerkennen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine vor allem eine Angelegenheit der Sicherheit und des Friedens in Europa ist. Es ist nicht realistisch, dass man über Jahre hinweg das Interesse der Weltgemeinschaft darauf fokussieren kann, weil es einfach so viele Konflikte und Kriegsherde gibt. Denken Sie allein an den sudanesischen Bürgerkrieg, an dem sich auch Staaten von außen beteiligen, mit fürchterlichen Verbrechen, einer riesigen Anzahl von Toten, Millionen von Flüchtlingen. Man kann einmal fragen, wie groß eigentlich die Aufmerksamkeit in Europa für diesen schrecklichen Krieg in Afrika ist. Wir Europäer sollten unseren Eurozentrismus überwinden und auch für das Leid und die Konflikte in anderen Regionen der Welt mehr Aufmerksamkeit zeigen.

Die EU hat nach langem Ringen nun auch einen Weg zur weiteren finanziellen Unterstützung der Ukraine gefunden.

Norbert Röttgen: Das ist sehr positiv, für die Ukraine und für die europäische Sicherheit. Es ist vor allem ein Verdienst der deutschen Kanzlers Merz, der für dieses Ziel ins Risiko gegangen ist und neue Dynamik in den Prozess gebracht hat. Aber dass dies nun durch die Blockade einzelner Staaten zunächst durch europäische Schulden auf Kosten der eigenen Bürger anstatt mittels des Vermögens des Aggressorstaates geschehen soll, ist leider erneut Ausdruck europäischer Schwäche. Den Willen zur Selbstbehauptung auch gegenüber den USA bringt die notwendige Mehrheit der europäischen Staaten nicht auf.

Mehr zum Thema

Ursula von der Leyen und Donald Trump bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA).
Streit über die Sicherheitsstrategie der USA: Der Partner als Problemfall
Wirtschaftlich schwach und kulturell im Verfall begriffen, so beschreibt die US-Regierung Europa. Doch kann sie wirklich auf den alten Verbündeten verzichten?
Wolodymyr Selensky am Rednerpult
Einigung in Brüssel : Kein Zugriff auf Putins Geld, dafür neue Schulden für Europa
Die EU-Staaten haben sich auf einen 90 Milliarden-Kredit für die Ukraine geeinigt. Die russischen Vermögen werden vorerst nicht angetastet, bleiben aber eine Option.
Hauptgebäude von Euroclear
Russisches Staatsvermögen: Sorge um die Stabilität des Euro-Raums und den Abzug von Kapital
Gegen die Nutzung der russischen Vermögen für die Ukraine haben nicht nur EU-Staaten Bedenken. Auch Finanzexperten und Völkerrechtler warnen vor diesem Schritt.

Weitere Informationen