Sondertribunal gegen Russland : Europarat und Selenskyj unterzeichnen Abkommen
Verantwortliche sollen für Russlands Krieg gegen die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden. Schon bald könnten Rechtsexperten beginnen, Beweise zu sammeln.
Es ist der nächste Schritt auf dem Weg zur Gerechtigkeit für die Ukraine: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Europarat-Generalsekretär Alain Berset haben am Mittwoch in Straßburg ein Abkommen für ein Sondertribunal für Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine unterzeichnet. "Die Ukraine kann auf den Europarat zählen", sagte Berset. Die Unterzeichnung sei eine "entscheidende Etappe" zur Einrichtung des Tribunals.
"Jeder Kriegsverbrecher muss wissen, dass es Gerechtigkeit geben wird, und das gilt auch für Russland", erklärte Selenskyj. "Gerechtigkeit braucht Zeit, aber sie muss kommen."
Vorarbeiten für Tribunal erfolgten in den letzten Monaten
Der Europarat hat das Sondertribunal in den vergangenen Monaten vorbereitet. Dass es unter seinem Dach eingerichtet werden soll, hatten die Ukraine und die EU-Außenminister in einem ersten Schritt bereits am 9. Mai beschlossen. Das mit Rechtsexperten aus 40 Ländern besetzte Gremium soll im niederländischen Den Haag seinen Sitz haben - so wie auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), der bereits für die Ahndung von Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg zuständig ist. Im März 2023 hatte dieser Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin wegen des Vorwurfs der Verschleppung ukrainischer Kinder erlassen.
Der IStGH kann jedoch nicht wegen des "Verbrechens der Aggression", also der Entscheidung zum Angriff auf die Ukraine, vorgehen. Diese Rechtslücke soll das Tribunal schließen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Generalsekretär des Europarats, Alain Berset, nach der Unterzeichnung des Abkommens in Straßburg.
Für den Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Knut Abraham (CDU), ist das von "historischer Bedeutung". Mit der Einrichtung des Tribunals ermögliche der Europarat als "älteste und größte Menschenrechtsorganisation Europas" der Ukraine jetzt Zugang zu Gerechtigkeit, so Abraham, der an der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung in dieser Woche teilgenommen hat.
Sondertribunal könnte in den kommenden Monaten vorläufig die Arbeit aufnehmen
Die Versammlung, in der 306 Parlamentarier - darunter 18 Bundestagsabgeordnete - aus den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, wählte Abraham gerade zu einem ihrer 18 Vizepräsidenten. Die Versammlung hat im Europarat eine beratende Funktion. Entscheidungsgremium ist das Ministerkomitee, in dem Außenminister und diplomatische Vertreter der Mitgliedstaaten zusammenkommen.
Auftrag des Sondertribunals wird es sein, hochrangige Vertreter der russischen Führung zur Verantwortung zu ziehen, die für "Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine" zuständig sind. Auch wenn es als unwahrscheinlich gilt, dass der russische Präsident Wladimir Putin auf der Anklagebank erscheinen wird, so sei es dennoch wichtig, Beweise zu sammeln und Anklagen vorzubereiten. Bereits in den kommenden Monaten könnte das Tribunal - zumindest in vorläufiger Form - die Arbeit aufnehmen.
Dafür brauche es aber als weiteren Schritt die finanzielle und politische Unterstützung durch ein "Erweitertes Teilabkommen" mit den Europarat-Mitgliedstaaten, merkt Abraham an. Auch andere interessierte Staaten sowie die Europäische Union können es unterzeichnen.
„Es ist eine Investition in den globalen Frieden, in Gerechtigkeit und die Glaubwürdigkeit des internationalen Rechts.“
Der Europarat, gegründet 1949 durch den Vertrag von London, ist kein Organ der Europäischen Union. Er setzt sich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein. Er hat 46 Mitgliedsstaaten, darunter die 27 EU-Staaten. Deutschland wurde 1950 Mitglied; die Ukraine ist 1995. Russland wurde nach 26-jähriger Mitgliedschaft 2022 ausgeschlossen.
Jetzt zählt die finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten
Abraham, der auch Regierungsbeauftragter für die deutsch-polnischen Beziehungen ist, fordert die Koalition auf, "mit gutem Beispiel" voranzugehen: "Es ist eine Investition in den globalen Frieden, in Gerechtigkeit und die Glaubwürdigkeit des internationalen Rechts."
Selenskyj dankte bei seinem ersten Besuch des Europarats der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für ihre "echte Führungsrolle" im Kampf gegen die russische Aggression. Es bedürfe jetzt der "starken politischen und rechtlichen Zusammenarbeit", um sicherzustellen, dass jeder russische Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werde - "einschließlich Putin."
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