Vom Ordnungsruf bis zum Sitzungsausschluss : So kann der Bundestag Abgeordnete bestrafen
Harte Konsequenzen für Ordnungsrufe und höhere Strafzahlungen - die jüngste Reform der Geschäftsordnung verschärft das Ordnungsrecht im Parlament.
Inhalt
Zum 1. November treten die umfassendste Reform der Geschäftsordnung des Bundestags der vergangenen Jahrzehnte und ergänzende Änderungen im Abgeordnetengesetz in Kraft. Die Geschäftsordnung wurde zum einen umfassend überarbeitet und reflektiert nun die aktuelle parlamentarische Praxis.
Zum anderen wurde auch das Ordnungsrecht des Parlaments verschärft. So wird nun klarer geregelt, wann Ordnungsgelder fällig werden und wann Abgeordnete aus dem Plenum fliegen. Zudem wurden die Strafzahlungen verdoppelt. Damit zieht die Koalition Konsequenzen aus einem Debattenklima im Hohen Haus, das zunehmend als rau empfunden wird.
Was sagt das Grundgesetz zu Verhaltensregeln für Abgeordnete?
Die wesentlichste Verhaltensvorschrift für Abgeordnete steht im Grundgesetz. Nach Artikel 38 Grundgesetz sind sie "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen".
Diese "Freiheit des Mandats" ist konstitutiv für parlamentarische Ethik und Verhaltensregeln. Weder das Abgeordnetengesetz noch die Geschäftsordnung dürfen sie einschränken, indem sie zu strikte Vorgaben machen. Gleichzeitig bedarf es interner Regeln und Sanktionsmöglichkeiten: Die sogenannte Indemnität, die in Artikel 46 Grundgesetz verankert ist, schützt Abgeordnete grundsätzlich davor, für ihre Äußerungen im Plenum oder in den Ausschüssen außerhalb des Parlaments zur Verantwortung gezogen zu werden.
Wie sichert das Abgeordnetengesetz die Unabhängigkeit des Mandates?
Die Regelungen im Abgeordnetengesetz zielen vor allem darauf ab, die „Unabhängigkeit des Mandates“ zu sichern. Abgeordnete dürfen etwa demnach keine weiteren Zuwendungen von Dritten für die Wahrnehmung ihres Mandates annehmen. In solchen Fällen greift gegebenenfalls auch das Strafrecht: Paragraf 109e des Strafgesetzbuches regelt die „Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern“.
Abgeordnete sollen ihr Mandat laut Abgeordnetengesetz in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellen. Allerdings dürfen sie grundsätzlich neben dem Mandat weiter beruflich oder anderweitig tätig sein. Untersagt ist es ihnen aber, als bezahlte Lobbyisten gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag aufzutreten - auch hier greift im Fall der Fälle wieder das Strafrecht. Für andere Tätigkeiten gelten Offenlegungs- und Transparenzpflichten, gleiches gilt für Spenden.
Welche Ordnungsmaßnahmen gegen Mitglieder gibt es?
Mit der jüngsten Reform der Geschäftsordnung und des Abgeordnetengesetzes wurde auch der Paragraf 44e, der schon bisher Ordnungsmaßnahmen gegen Abgeordnete regelte, neu gefasst und um konkretere Regelungen ergänzt. Nunmehr regelt die Norm die "Ordnungsmaßnahmen wegen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages", in neuen Paragraf 44f werden "Ordnungsmaßnahmen wegen Verletzung der Hausordnung" normiert.
Für beide Fälle - einer "nicht nur geringfügigen Verletzung der Hausordnung" sowie einer "nicht nur geringfügigen Verletzung der Ordnung oder Würde des Bundestages" - sieht das Gesetz jeweils ein fixes Ordnungsgeld von 2.000 Euro vor - bislang waren es 1.000 Euro. Im Wiederholungsfall droht einem Abgeordneten ein Ordnungsgeld von 4.000 Euro (bisher 2.000 Euro). Bei "gröblicher Verletzung der Ordnung oder Würde des Bundestages" kann ein Abgeordneter auch bis zu 30 Sitzungstage von der Teilnahme an Sitzungen des Bundestages und seiner Gremien ausgeschlossen werden.
Noch schärfer können Verstöße gegen Offenlegungs- und Transparenzpflichten sowie gegen Regelungen zum Schutz der Unabhängigkeit des Mandates geahndet werden. In diesen Fällen kommt es auf die Schwere des Vergehens an, es kann ein Ordnungsgeld bis zur Höhe der Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung verhängt werden. Über die entsprechenden Prüfungen informiert die Bundestagspräsidentin zu Beginn einer Wahlperiode.
Was sind Sach- und Ordnungsrufe im Bundestag?
Sach- und Ordnungsrufe sind niedrigschwellige Sanktionen, die nicht im Abgeordnetengesetz, sondern in der Geschäftsordnung geregelt sind. Wesentlich für die Durchsetzung der Regeln ist das Präsidium des Bundestages. Mit dem Sachruf kann der sitzungsleitende Präsident einen Abgeordneten ermahnen, im Redebeitrag nicht abzuschweifen oder eine Erklärung zur Geschäftsordnung, zur Abstimmung oder außerhalb der Tagesordnung nicht zweckwidrig zu nutzen. Passiert das dreimal während einer Rede, muss dem Abgeordneten das Wort entzogen werden.
Ein Ordnungsruf - unter Nennung des Namens der Abgeordneten - erteilt der sitzungsleitende Präsident bei einer Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages. Klassische Fälle sind persönliche Beleidigungen in Reden oder Zwischenrufen. Auch die absichtlich falsche Anrede des Präsidiums wurden schon so bestraft. Ein Ordnungsruf kann im Einzelfall auch im Nachgang der Sitzung erlassen werden, etwa wenn zunächst das stenografische Protokoll ausgewertet werden muss.
Die sitzungsleitenden Präsidenten können aber auch ohne Ordnungsruf ermahnen. Üblich ist es, etwa "unparlamentarische Äußerungen" zu rügen, ohne dass direkt eine Sanktion folgt.
Was sind die Folgen eines Ordnungsrufes?
Nach der Reform der Geschäftsordnung und des Abgeordnetengesetzes führt das "Sammeln" von Ordnungsrufen nun zu deutlich schärferen Konsequenzen. Wer dreimal in einer Sitzung zur Ordnung gerufen wird, der wird vom sitzungsleitenden Präsidenten für den Rest der Sitzung aus dem Saal verwiesen.
Auch für das Ordnungsgeld gibt es nun einen Automatismus. Beim dritten Ordnungsruf für einen Abgeordneten innerhalb von drei Sitzungswochen verhängt der sitzungsleitende Präsident in der Regel ein Ordnungsgeld von 2.000 Euro. Das Ordnungsgeld ist aber nicht an einen Ordnungsruf gebunden. Es kann vom sitzungsleitenden Präsidenten auch ohne vorherigen Ordnungsruf verhängt werden.
Wann fliegt ein Abgeordneter aus dem Plenum - und was sind die Folgen?
Mitglieder des Bundestages können bis zu 30 Sitzungstagen von Sitzungen des Bundestages und seiner Gremien ausgeschlossen werden. Nach drei Ordnungsrufen in einer Sitzung ist das neuerdings zwingend. Wegen einer "gröblichen Verletzung der Ordnung oder Würde des Bundestages" kann auch ohne vorherigen Ordnungsruf der betroffene Abgeordnete des Saales verwiesen werden. Bis zum Ende des Sitzungstages muss der sitzungsleitende Präsident dann entscheiden, wie lange das Mitglied ausgeschlossen bleibt.
Ein ausgeschlossenes Mitglied darf weder an Sitzungen des Plenums noch an Ausschusssitzungen teilnehmen, es gilt als nicht entschuldigt und darf sich nicht in die Anwesenheitsliste eintragen. In begründeten Einzelfällen darf der sitzungsleitende Präsident einem ausgeschlossenen Mitglied allerdings die Teilnahme an Wahlen und namentlichen Abstimmungen erlauben.
Welche Regeln gelten in den Ausschüssen?
Auch für die Ausschüsse wurde das Ordnungsrecht nachgeschärft. Die Vorsitzenden können "im Bedarfsfall" jedes Mitglied des Ausschusses zur Einhaltung der parlamentarischen Ordnung und zur Achtung der Würde des Bundestages auffordern. Der Vorsitzende kann bei Störungen eine Sitzung unterbrechen oder im Einvernehmen mit den Fraktionen beenden. Wurde eine Sitzung aufgrund einer gröblichen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages durch einen Abgeordneten unterbrochen, kann der Abgeordnete mit Zweidrittelmehrheit von der Sitzung ausgeschlossen werden.
Erstmal normiert ist in der Geschäftsordnung zudem die Wahl und Abwahl von Vorsitzenden und Stellvertretern im Ausschuss. Darüber hatte es in den vergangenen Wahlperioden immer wieder Konflikte mit der AfD-Fraktion gegeben. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit dem Thema befasst und jeweils gegen die Auffassung der AfD votiert.
Muss ein Abgeordneter Sanktionen hinnehmen?
Abgeordnete, gegen die ein Ordnungsruf, ein Ordnungsgeld oder ein Sitzungsausschluss verhängt worden sind, können bei der Bundestagspräsidentin bis zum Beginn der nächsten Plenarsitzung Einspruch einlegen. Über den Einspruch entscheidet dann der Bundestag ohne Aussprache. Aufschiebende Wirkung hat der Einspruch nicht.
Zudem steht den Abgeordneten der Rechtsweg offen. Laut Abgeordnetengesetz ist dafür das Bundesverfassungsgericht zuständig.
Was droht Abgeordneten, die Sitzungen schwänzen?
Abgeordnete, die an Sitzungstagen nicht teilnehmen, müssen eine Kürzung ihrer Kostenpauschale hinnehmen - das sieht das Abgeordnetengesetz vor. 200 Euro werden im Regelfall fällig, wenn ein Abgeordneter an einem Sitzungstag als nicht anwesend gilt, 300 Euro werden es, wenn dafür keine Entschuldigung vorliegt. In bestimmten Fällen, etwa bei Krankheit oder Krankenhausaufenthalt, verringert sich die Kürzungspauschale auf 20 Euro.
Keine Kürzungen der Kostenpauschale fallen während des Mutterschutzes an und - neuerdings - für andere Elternteile innerhalb der ersten sieben Tage der Geburt eines Kindes. Auch die Betreuung eines kranken Kindes wird so behandelt. Wer eine namentliche Abstimmung oder eine Wahl mit Namensaufruf verpasst, dem droht ebenfalls eine Kürzung der Kostenpauschale. In diesen Fällen sind es 200 Euro.
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