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Foto: picture alliance/dpa | Niklas Treppner
Damit die Debatten im Bundestag lebendiger werden, wurde 1990 die Kurzintervention im Anschluss an Redebeiträge im Plenum eingeführt - sie ist nun auch in Aktuellen Stunden möglich.

Mehr Respekt im Bundestagsplenum : Das ändert sich in puncto Rede- und Debattenkultur

Ein Ort des Arguments, keine Bühne der Empörung: Die Reform soll das Miteinander disziplinieren und die Debatte stärker ins Zentrum der Auseinandersetzung rücken.

31.10.2025
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4 Min

Mit der Mitte Oktober verabschiedeten Reform der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) soll das Plenum wieder stärker zum Ort der Debatte werden. Die Neufassung, die Anfang November in Kraft tritt, soll der veränderten Arbeitsweise und Zusammensetzung des Parlaments Rechnung tragen. Die letzte größere Reform der Spielregeln des Hohen Hauses liegt rund 45 Jahre zurück.

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Ziel sei es, „die Kraft einer lebendigen, respektvollen Debatte als Ort des Arguments und nicht der Provokation“ zu stärken, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU). Es gehe um das „Wie unseres parlamentarischen Arbeitens: um Verlässlichkeit der Verfahren, die Würde der Debatte und den fairen Ausgleich zwischen Mehrheit und Minderheit“, wie sie in der abschließenden Beratung über die Reform betonte. Zur Reform gehört auch, dass Verstöße gegen die Regeln des Hauses oder unentschuldigtes Fehlen künftig schärfer sanktioniert werden können.

Mehr gegenseitiger Respekt in der Sprache

Neu in die Geschäftsordnung aufgenommen wurde in § 33 ein Passus, wonach Reden von „gegenseitigem Respekt und der Achtung der anderen Mitglieder des Bundestages sowie der Fraktionen“ geprägt sein sollen. In der abschließenden Beratung sprachen Rednerinnen von den Grünen und der Linken jedoch diesbezüglich von einer „vertanen Chance“. Filiz Polat (Grüne) sagte etwa, sie hätte sich „klare Regeln für die Debattenkultur“ gewünscht, um der „Verrohung des parlamentarischen Alltags“ entgegenzuwirken. 

Weiter gilt: Reden sollen grundsätzlich frei gehalten werden. Schriftliche Manuskripte sind erlaubt, sollen aber kein Ersatz für lebendige Sprache sein. Normiert wird in § 33 die parlamentarische Praxis, dass Abgeordnete ihre Reden außerhalb der sogenannten „Kernzeit“ mit Zustimmung des Präsidenten schriftlich zu Protokoll geben können. Unter „Kernzeit“ versteht man die zumeist 60-minütigen Debatten am Donnerstag- und Freitagvormittag. Während dieser Zeit finden in der Regel keine Sitzungen anderer Gremien statt.

Neue Regeln bei Redezeit und Reihenfolge

Die Dauer der Aussprache und die Verteilung der Redezeit werden im Ältestenrat vereinbart oder erfolgen auf Beschluss des Bundestages. Kommt es zu keiner Vereinbarung, entscheidet der Präsident. Im Grundsatz soll eine Aussprache nicht länger als eine Stunde dauern. Die Verteilung der Redezeit ergibt sich aus dem Verhältnis der Sitze der Fraktionen (§ 35 Abs. 1). Über die Redezeit der fraktionslosen Abgeordneten entscheidet der Präsident im Einzelfall.

Auch bei der Reihenfolge der Redner (§ 28) gibt es Änderungen. Der Präsident bestimmt sie unter Berücksichtigung der verschiedenen Parteirichtungen, des Prinzips „Rede und Gegenrede“ und der Stärke der Fraktionen. Bei ersten Lesungen oder Aussprachen zu Vorlagen der Bundesregierung oder des Bundesrates soll der erste Redner nun der einbringenden Fraktion angehören. Bislang sollte der erste Redner nicht der Fraktion des Antragsstellers angehören. Bei Beratungen von Beschlussempfehlungen der Ausschüsse soll der erste Redner hingegen kein Mitglied oder Beauftragter der Bundesregierung sein.

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Zudem gilt nun: Bevor ein weiteres Mitglied derselben Fraktion spricht, müssen zunächst alle anderen Fraktionen Gelegenheit zum Wort gehabt haben.

Übrigens: Wenn sich Regierungsmitglieder, ein Beauftragter der Bundesregierung oder ein Mitglied des Bundesrates außerhalb der vereinbarten oder beschlossenen Verteilung der Redezeit länger als 20 Minuten einschalten, darf danach nochmal debattiert werden: Die Fraktion, die eine abweichende Meinung vortragen will, darf für einen ihrer Redner eine entsprechende Redezeit verlangen – so soll das Gleichgewicht zwischen Regierung und Parlament gewahrt bleiben.

So sollen Debatten lebendiger werden

Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen sind nun auch in den sogenannten „Aktuellen Stunden“ im Bundestag erlaubt. Dieses Debattenformat kann zu dringenden Themen von allgemeinem aktuellem Interesse von den Fraktionen verlangt oder im Ältestenrat vereinbart werden. Bisher waren die Kurzbeiträge der Redner auf fünf Minuten beschränkt, Zwischenfragen ausgeschlossen. Die neue Regelung soll, so die Begründung des Koalitionsantrags, „zu einem fundierten Austausch in der Sache beitragen“ und die Lebendigkeit des Formats steigern.

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A propos Zwischenfragen und Kurzinterventionen: Diese wurden mit der Reform in eine eigene Norm gefasst. Sie dürfen nur gestellt werden, wenn der Redner zustimmt. Kurzinterventionen – also Reaktionen nach einem Debattenbeitrag – sind auf höchstens zwei Minuten begrenzt. Der Redner darf, wenn es um eine Zurückweisung einer Äußerung oder eine Richtigstellung geht, kurz darauf antworten. Das soll den Schlagabtausch lebendig halten, aber nicht endlos machen.

Eine weitere Änderung betrifft Redebeiträge zur Geschäftsordnung: Danach darf ein Redner grundsätzlich nicht länger als drei Minuten sprechen – bislang waren es maximal fünf Minuten. Auch mündliche Erklärungen zur abschließenden Abstimmung dürfen nur noch drei Minuten dauern. Die Begrenzung auf drei Minuten gilt auch für Erklärungen außerhalb der Tagesordnung.

Mehr Autorität für die Ausschussvorsitzenden

Auch in den Ausschüssen gelten strengere Regeln für die Redekultur. Die Ausschussvorsitzenden sollen Maßnahmen „zur Einhaltung der parlamentarischen Ordnung und zur Achtung der Würde des Parlaments“ ergreifen können, wie es im Antrag von Schwarz-Rot heißt. Sie können zum Beispiel Sitzungen unterbrechen oder diese im Einvernehmen mit den Fraktionen beenden. 

Wenn die Sitzung aufgrund einer „gröblichen Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages“ unterbrochen wurde, kann der Ausschussvorsitzende mit Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der anwesenden Ausschussmitglieder den betreffenden Abgeordneten von der Sitzung ausschließen.

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