Unbequem, aber nötig : Das sind die Rechte der Opposition und diese Mehrheiten braucht sie
Die Opposition hat die Pflicht und das Recht, Regierungshandeln kritisch zu begleiten. Sie muss jedoch Hürden nehmen, die das Grundgesetz bewusst gesetzt hat.
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Egal, ob beim Wirecard-Untersuchungsausschuss, dem erfolgreichen Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht zum Stopp des sogenannten Heizungsgesetzes oder eine 551 Fragen umfassende Kleine Anfrage zur Finanzierung von NGOs: Die Opposition nutzt den ihr zur Verfügung stehenden Werkzeugkoffer regelmäßig. Sie kontrolliert, kritisiert und bietet programmatische und personelle Alternativen an.
Als Gegengewicht zur Regierung soll die Opposition Regierungshandeln durchsichtig machen und sicherstellen, dass unterschiedliche Haltungen und Argumente in der demokratischen Willensbildung sichtbar werden. Ihre Rolle ist durch zahlreiche Rechte geregelt, die Abgeordneten, einer Fraktion oder einer bestimmten Anzahl von Abgeordneten zukommen. Allerdings kennt das Grundgesetz - im Gegensatz zu zahlreichen Landesverfassungen – den Begriff „Opposition“ gar nicht.
Welche Rechte stehen einzelnen Abgeordneten zu?
Das Fundament parlamentarischer Kontrolle bildet das einzelne Mandat. Aus diesen individuellen Rechten entsteht die kollektive Stimme einer Opposition. Das Grundgesetz schützt das freie Mandat, das durch Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG gewährleistet ist. Daraus resultiert eine Reihe individueller Rechte, die in der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT) näher ausgestaltet sind.
Alle Abgeordneten haben dabei dieselben Rechte – auch fraktionslose Abgeordnete haben nach dem sogenannten Wüppesahl-Urteil aus dem Jahr 1989 Anspruch auf faire Beteiligung. Zu den Rechten gehören:
- das Frage- und Rederecht
- das Stimmrecht
- das Recht zur Mitwirkung in Ausschüssen
- das Änderungsantragsrecht in den Ausschüssen
- das Antragsrecht auf Änderung der Tagesordnung des Bundestagsplenums
Über die Geschäftsordnung hinaus sichern zudem Bundesgesetze die Rechte. So können Abgeordnete zum Beispiel nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Organklage erheben, wenn sie sich in ihrem Statusrecht aus Artikel 38 verletzt sehen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG).
Wenn sich Abgeordnete zusammenschließen, erweitern sich ihre Möglichkeiten – und damit beginnt im Fall der nicht die Regierung tragenden Fraktionen das, was man gemeinhin Opposition nennt.
Welche Rechte stehen Fraktionen und Gruppen im Bundestag zu?
Fraktionen oder Gruppen stehen bestimmte Frage- und Initiativrechte zur Verfügung. Sie dürfen zum Beispiel:
- Gesetzentwürfe einbringen (§ 76 GO-BT)
- Große und Kleine Anfragen stellen (§§ 100, 104 GO-BT)
- Aktuelle Stunden zur Aussprache über Themen aktueller politischer Bedeutung verlangen (§ 106 GO-BT)
- namentliche Abstimmungen beantragen (§ 52 GO-BT)
- die Anwesenheit von Ministerinnen und Ministern im Plenum erzwingen (§ 42 GO-BT)
Zwar ist die Kontrolle der Regierung Aufgabe des gesamten Parlaments, in der politischen Praxis der Bundesrepublik wird diese Funktion jedoch vor allem von der Opposition ausgeübt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Fragerecht. So werden etwa die Antworten auf Große Anfragen im Plenum debattiert, Abgeordnete können in Sitzungswochen in der Regierungsbefragung ihre Fragen an Mitglieder der Bundesregierung richten oder in der Fragestunde schriftliche Fragen einreichen, die die Bundesregierung mündlich beantwortet.
In der Befragung der Bundesregierung haben die Abgeordneten die Möglichkeit, nach den in der Kabinettssetzung zuvor besprochenen Vorhaben zu fragen.
So kann auch die Opposition ihre Schwerpunkte und Themen setzen und ihrer Kontrollfunktion nachkommen. Im Mai 2016 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass es keinen Anspruch auf spezifische Rechte, die von vornherein nur der Opposition zustünden, gebe. Auch bestehe kein Anspruch auf die Schaffung solcher Rechte. Demokratie, so Karlsruhe, lebe vom Spannungsverhältnis von Mehrheit und Minderheit. Trotzdem gibt es spezielle Minderheitenrechte, die ausdrücklich dazu dienen, Kontrolle auszuüben.
Was sind parlamentarische Minderheitenrechte – und wann greifen sie?
Rechte der parlamentarischen Minderheit ermöglichen es einer bestimmten Zahl von Abgeordneten, parlamentarische Verfahren gegen den Willen der Mehrheit zu erzwingen. Dazu gehören:
- Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: Ein Viertel der Abgeordneten kann die Einsetzung erzwingen (Art. 44 GG)
- Abstrakte Normenkontrolle: Neben der Bundesregierung und Landesregierung können Fraktionen oder ein Viertel der Abgeordneten eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht beantragen, um ein Gesetz auf seine Verfassungsgemäßheit überprüfen zu lassen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG)
- Subsidiaritätsklage beim EuGH: Fraktionen oder ein Viertel der Abgeordneten können wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der Europäischen Union gegen das Subsidiaritätsprinzip vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage erheben (Art. 23 Abs. 1a GG)
- Sondersitzungen: Ein Drittel der Mitglieder des Bundestages kann verlangen, dass das Parlament zu einer Sondersitzung zusammentritt (Art. 39 Abs. 3 GG)
Der Bundestag ist zudem verpflichtet, auf Antrag von einem Viertel der Abgeordneten, eine Enquete-Kommission einzusetzen (§ 56 GO-BT).
Was geschieht, wenn die Quoren nicht erreicht werden?
Das 25-Prozent-Quorum, im 21. Deutschen Bundestag sind das mindestens 158 Abgeordnete, kann insbesondere in Zeiten „Großer Koalitionen“ zur Hürde werden. Erreicht es keine Fraktion allein, müssen sich mehrere Fraktionen zusammentun, um zum Beispiel Untersuchungsausschüsse zu erzwingen. Die AfD-Fraktion verfehlt als derzeit größte Oppositionsfraktion mit sechs Sitzen das Quorum knapp. Die anderen Oppositionsfraktionen, Grüne und Linke, haben eine Zusammenarbeit mit ihr ausgeschlossen.
In der Geschichte des Bundestages ist es allerdings auch vorgekommen, dass Quoren verändert wurden: In der 18. Wahlperiode, als Unionsfraktion und SPD zusammen über 80 Prozent der Sitze stellten, wurde eine Bestimmung in die Geschäftsordnung aufgenommen, wonach ein Untersuchungsausschuss bereits auf Antrag von 120 Abgeordneten (ein Quorum, das die Oppositionsfraktionen erreichten) einzusetzen war. Mit Beginn der 19. Wahlperiode kehrte der Bundestag zur ursprünglichen Regelung zurück.
Warum gibt es diese hohen Quoren überhaupt?
Die Quoren sollen verhindern, dass einzelne Abgeordnete oder sehr kleine Gruppen das Parlament lahmlegen oder die Rechte zur parlamentarischen Blockade genutzt werden. Gleichzeitig sollen sie sicherstellen, dass eine relevante Minderheit Rechte durchsetzen kann.
Die hohen Quoren sollen also die Wirkungskraft der Minderheitenrechte und die Handlungsfähigkeit des Parlaments sichern. Dass, wenn die Opposition zu schwach ist, sie de facto an Kontrollmacht verliert, ist ein demokratisches Dilemma, das in den vergangenen Jahren wieder intensiver diskutiert wird.
Und was ist eine Sperrminorität?
Neben den Rechten gibt es noch eine Art parlamentarische Absicherung gegen ein Übergewicht der Mehrheit bei fundamentalen Entscheidungen: die Sperrminorität. Sie lässt sich als rechnerischen Block beschreiben, der mit seiner Stimmenanzahl bestimmte Entscheidungen verhindern kann. Das betrifft zum Beispiel Grundgesetzänderungen, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist.
Im 21. Deutschen Bundestag verfügt keine der drei Oppositionsfraktionen über ausreichend Abgeordnete, um die Sperrminorität zu erreichen. Die Mehrheitsverhältnisse bedeuten allerdings eine politische Herausforderung für die Koalitionsfraktionen. Zwar könnten CDU/CSU und SPD eine Grundgesetzänderung beispielsweise rechnerisch mit Zustimmung der AfD-Fraktion beschließen, eine Zusammenarbeit mit dieser Fraktion lehnen Union und Sozialdemokraten jedoch strikt ab. Das notwendige Quorum könnte auch erreicht werden, wenn die Fraktionen von Grünen und Linken zustimmen. Allerdings lehnt die Union auch eine Zusammenarbeit mit der Linken strikt ab.
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