
Kritik am Verfahren bei der Wahlprüfung : So reagieren Abgeordnete auf den Rüffel aus Karlsruhe
Nach der Kritik des Bundesverfassungsgerichts zeigen sich AfD, Grüne und Linke offen für Reformen bei der Wahlprüfung. Union und SPD reagieren zurückhaltend.
Nach der Kritik des Bundesverfassungsgerichts am Wahlprüfungsverfahren sehen auch Abgeordnete im Bundestag Reformbedarf. Eine Abfrage bei den Fraktionen ergab: Linke und AfD sprechen sich für feste Fristen aus, die Grünen zeigen sich offen für eine Reformdebatte. Vertreter von CDU/CSU und SPD äußerten sich zurückhaltend.
Hintergrund ist ein Beschluss des Gerichts zu einer Verfassungsbeschwerde aus der vergangenen Woche. Der Kläger hatte mit seiner Klage im Juni vom Gericht ursprünglich die Einsetzung des Wahlprüfungsausschusses verlangt und - nachdem sich der Ausschuss wenige Tage später konstituiert hatte - eine unverzügliche Prüfung seines Wahleinspruchs gegen die jüngste Bundestagswahl.
Zwar verwarfen die Richterinnen und Richter die Verfassungsbeschwerde als unzulässig, zugleich kritisierten sie aber das Vorgehen des Bundestages. Die Gründe, warum das Parlament nicht unverzüglich die erforderlichen Schritte zur Wahlprüfung einleitete, erschlössen sich "nicht ohne Weiteres". Es bestünde ein "öffentliches Interesse an der raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments". Der Bundestag müsse binnen "angemessener Frist" über die Wahleinsprüche entscheiden.
OSZE-Fachleute empfehlen feste Fristen und gerichtliche Überprüfung
In ihrem Beschluss verwiesen die Richter auch auf Empfehlungen des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Im Anschluss an die vorgezogene Bundestagswahl empfahlen die Fachleute, in allen Phasen des Wahlprozesses eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen und verbindliche Entscheidungsfristen einzuführen.

„Wir brauchen klare Fristen für die Einsetzung des Wahlprüfungsausschusses und für die Entscheidung über Einsprüche.“
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Clara Bünger, begrüßte den Hinweis des Gerichts. Das Gericht habe klargestellt, dass der Bundestag die Prüfung von Wahleinsprüchen nicht auf die lange Bank schieben dürfe. "Dass der Wahlprüfungsausschuss erst Monate nach der Konstituierung des Bundestages eingesetzt wurde, ist ein Versäumnis, das das Vertrauen in demokratische Verfahren schwächt", sagte Bünger. "Wir brauchen klare Fristen für die Einsetzung des Wahlprüfungsausschusses und für die Entscheidung über Einsprüche. Nur so kann das Vertrauen in das Parlament langfristig erhalten bleiben", so die Abgeordnete.
Der AfD-Abgeordnete Fabian Jacobi, Mitglied im Wahlprüfungsausschuss, hält den Mangel an festen zeitlichen Vorgaben für die Bescheidung von Wahleinsprüchen durch das Parlament für "misslich". Es erschließe sich aus seiner Sicht nicht, dass der Ablauf der Vorbereitung gesetzlich detailliert geregelt ist, "die anschließende Nachbereitung der Wahl in Gestalt des parlamentarischen Wahlprüfungsverfahrens" aber nicht. Das sei auch deswegen bedeutsam, weil erst nach Abschluss der Prüfung im Parlament der Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz, also zum Bundesverfassungsgericht, möglich sei. "Wünschenswert wäre etwa eine Regelung, die nach Ablauf einer festgelegten Frist diesen Zugang jedenfalls eröffnet", fordert Jacobi.
Grüne: Prüfung von Wahleinsprüchen beansprucht Zeit
Aus Sicht der Grünen gibt es ebenfalls Reformbedarf. Die Vorschläge zu festen Entscheidungsfristen und gerichtlichen Überprüfungen seien "wichtige Impulse", sagte Grünen-Abgeordnete Linda Heitmann. Da eine Reform aber tief in bestehende Verfahren eingreifen würde, schließlich weise das Grundgesetz die Wahlprüfung ausdrücklich dem Bundestag selbst zu, "braucht es neben einer Debatte hier auch eine verfassungsrechtliche Prüfung und einen breiten Konsens im Parlament". Heitmann, die ihre Fraktion im Wahlprüfungsausschuss vertritt, betont indes, dass die Prüfung von Wahleinsprüchen Zeit beanspruche. Das sei aus ihrer Sicht kein Makel, "sondern Ausdruck von Gründlichkeit, Fairness und Gerechtigkeit in unserer Demokratie".
Die Wahlprüfung
Artikel 41 Absatz 1 des Grundgesetzes stellt klar: „Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestags.“ Das genaue Verfahren ist im Wahlprüfungsgesetz geregelt. Darin ist unter anderem die Einsetzung des neunköpfigen Wahlprüfungsausschusses festgeschrieben.
Jeder Wahlberechtigte kann innerhalb von zwei Monaten nach dem Urnengang Einspruch gegen die Bundestagswahl einlegen. Der Wahlprüfungsausschuss prüft die Einsprüche und legt dem Parlament jeweils eine Beschlussempfehlung vor.
Gegen die Entscheidung des Bundestages können die Beschwerdeführer noch nach Karlsruhe ziehen. Dafür sieht Artikel 41 Absatz 2 des Grundgesetzes eigens die Wahlprüfungsbeschwerde vor.
Dass die Prüfung von Wahleinsprüchen aufwendig ist, betont auch Sozialdemokratin Esther Dilcher, die ebenfalls im Wahlprüfungsausschuss sitzt. Die Dauer der Bearbeitung hänge von sehr vielen Faktoren ab, etwa der Anzahl der Einsprüche und der Komplexität der Rechtslage bei vielen individuellen Eingaben. "Ob feste Entscheidungsfristen daher ein geeignetes Instrument zur Beschleunigung sein könnten, muss sorgfältig geprüft werden", so Dilcher.
Der Fraktion sei es weiterhin ein Anliegen, den Prozess zu optimieren. Schon im Zuge des Wahlprüfungsverfahrens der Bundestagswahl 2021 habe die SPD Vorschläge eingebracht. So sei etwa das Ausschusssekretariat personell verstärkt und kürzere Fristen seien eingeführt worden.
Tatsächlich war zuletzt nach dem Wahlgang vor knapp vier Jahren intensiver in der Fachöffentlichkeit über eine Reform der Wahlprüfung diskutiert worden. Nach den chaotischen Zuständen bei der Wahl in Berlin zog sich die Prüfung im Bundestag und die anschließende Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts hin: Die Karlsruher Richterinnen und Richter entschieden erst im Dezember 2023 über den Umfang der vom Wahlprüfungsausschuss beschlossenen Nachwahl in der Hauptstadt. Die teilweise Wiederholungswahl in 455 von 2.256 Wahlbezirken fand im Februar 2024 statt.
Union und SPD verteidigen zweistufiges Prüfverfahren
Seinerzeit hatten einige Rechtswissenschaftler dafür geworben, die Wahlprüfung direkt beim Bundesverfassungsgericht zu konzentrieren, um das Verfahren zeitlich zu straffen. So ist es etwa in der Berliner Landesverfassung geregelt. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hatte die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die parallel zur Bundestagswahl stattfand, bereits im November 2022 für ungültig erklärt und eine komplette Wiederholungswahl angeordnet, die im Februar 2023 stattfand.

„Eine umfassende Prüfung des Sachverhalts auf erster parlamentarischer Ebene sollte einer gerichtlichen Überprüfung vorangehen.“
Die Sozialdemokraten stehen indes hinter dem zweistufigen Verfahren. Es habe sich bewährt, sagte Dilcher. Zwar möge ein einstufiges Verfahren wie in Berlin schneller sein, führe aber nicht zu besseren und gerechteren Ergebnissen. "Eine umfassende Prüfung des Sachverhalts auf erster parlamentarischer Ebene sollte einer gerichtlichen Überprüfung vorangehen."
So sieht es auch der Unionsabgeordnete Ansgar Heveling, ebenfalls Mitglied im Wahlprüfungsausschuss. „Das Wahlprüfungsverfahren hat sich in seiner bisherigen Form bewährt“, sagte der Christdemokrat. Das zweistufige Verfahren sei sachgerecht, an dieser „bewährten Arbeitsteilung“ zwischen Parlament und Verfassungsgericht sollte festgehalten werden.
Im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages sei der nötige Sachverstand vorhanden, um die Wahlprüfung in einem ersten Schritt durchzuführen. „Eine unmittelbare verfassungsgerichtliche Befassung mit Wahlprüfungsangelegenheiten würde das Bundesverfassungsgericht mit einer Fülle von Detailfragen konfrontieren und die ohnehin bestehende Verfahrenslast weiter erhöhen“, führte Heveling aus. Im bestehenden Verfahren prüfe das Gericht die Entscheidung des Bundestages und könne sich dabei auf wesentliche Rechtsfragen konzentrieren.
Auch die Verfahrensdauer beim Bundesverfassungsgericht steht in der Kritik
Allerdings sah sich auch das Bundesverfassungsgericht mit Vorwürfen konfrontiert, bei der Wahlprüfung zu langsam zu agieren. Am Dienstag veröffentlichte das Gericht einen Beschluss zu einer sogenannten Verzögerungsbeschwerde. Der Kläger hatte moniert, dass das Verfahren zu seiner beim Gericht eingereichten Wahlprüfungsbeschwerde zur Bundestagswahl 2021 zu lange gedauert hatte. Nach Darstellung des Gerichts hatte sich der Beschwerdeführer im Mai 2023 an das Bundesverfassungsgericht gewandt, nachdem sein Einspruch gegen die Wahl vom Deutschen Bundestag zurückgewiesen worden war. Knapp 20 Monate später, im Januar 2025, stellte der Zweite Senat fest, dass sich die Wahlprüfungsbeschwerde teilweise erledigt habe. Im Übrigen verwarf er die Beschwerde.
Aus Sicht des Gerichts war diese Verfahrensdauer indes nicht "unangemessen". Angesichts der Besonderheiten des konkreten Falles sei die Dauer nicht zu beanstanden gewesen, heißt es in dem Beschluss.