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Rentenpaket beschlossen : Die Kanzlermehrheit steht, die Haltelinie bleibt

Das in der Koalition umstrittene Gesetzespaket zur Rente passiert das Parlament. Die Grünen attackieren die Linken für ihre Enthaltung bei der Abstimmung.

05.12.2025
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4 Min

So richtig lebhaft wurde es im Bundestag am Freitagmorgen, als Andreas Audretsch ans Rednerpult trat. Ziel der verbalen Angriffe des Grünen-Abgeordneten: Die Fraktion Die Linke. Deren Abgeordnete unterwürfen "sich unter die herrschenden Verhältnisse", wenn sie sich in der Abstimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung “zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur vollständigen Gleichstellung der Kindererziehungszeiten” in der folgenden Abstimmung enthielten. Ohne Nein-Stimmen der Linken sinkt schließlich die Hürde, damit der Gesetzentwurf mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt, selbst wenn kritische Abgeordnete aus der CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung verweigern.

Audretsch wirft Linken Versagen vor

Die Linke "endet als Mehrheitsbeschafferin für Friedrich Merz", rief Audretsch ins Mikrofon. "Sie haben nicht gekämpft, Sie haben nicht eine Minute verhandelt. Das ist keine linke Politik. Das ist ein Versagen!"

Foto: picture alliance/dpa

Die Rebellion ist vorerst gescheitert: Johannes Winkel (CDU, links), Vorsitzender der Jungen Union, und Pascal Reddig (CDU), Vorsitzender der Jungen Gruppe der Union im Bundestag, gehörten zu den schärfsten Kritikern des Rentenpakets.

Die Angegriffene nahm die Herausforderung an und und stieg in die verbale Redeschlacht ein. Die Fraktionschefin der Linken, Heidi Reichinnek, warf den Grünen vor, für die Absenkung des Rentenniveaus von 53 auf 48 Prozent verantwortlich zu sein - das Ergebnis rot-grüner Politik vor gut 20 Jahren. Jetzt gehe es "um das Leben von 21 Millionen Rentnerinnen und Rentnern. Wenn das Paket nicht durchgeht, dann geht es ihnen noch schlechter. Unsere Politik orientiert sich an Sachfragen."

Zwei Tage vor der Abstimmung hatte Reichinnek die Enthaltung ihrer Fraktion angekündigt. In der Union wurde zu diesem Zeitpunkt noch darum gerungen, ob genügend Abgeordnete für das Rentenpaket stimmen würden, um die Koalitionsmehrheit zu sichern. Die Union wollte sich jedoch nicht auf die Abstimmungshilfe der Linken einlassen. Die Fraktionsspitze ließ verlautbaren, weiter an der eigenen Mehrheit zu arbeiten. Am Vorabend der Abstimmung gab Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schließlich die Kanzlermehrheit von mindestens 316 Stimmen als sein Wunschergebnis aus. 

Die Koalition erreicht ihre Kanzlermehrheit

Merz bekam sein Ergebnis, auf die Linken kam es schließlich nicht an. Die Abgeordneten beschlossen das Gesetzespaket in namentlicher Abstimmung mit 318 Ja-Stimmen der Koalition, 224 Nein-Stimmen und 53 Enthaltungen. Alle 120 Abgeordneten der SPD-Fraktion stimmten mit Ja, aus den Reihen der Union gab es 198 Ja-Stimmen.

Sieben Unionsabgeordnete verweigerten der Regierung die Gefolgschaft und stimmten mit Nein, darunter der Chef der Jungen Gruppe, Pascal Redding, und der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. Aus der Union stimmten außerdem Yannick Bury, Marvin Schulz, Johannes Volkmann, Johannes Wiegelmann und Nicolas Zippelius mit Nein. Zwei Unionsabgeordnete enthielten sich: Konrad Körner und Nicklas Kappe. Roderich Kiesewetter nahm nicht an der Abstimmung teil. Die übrigen Enthaltungen kamen wie angekündigt von der Linksfraktion sowie dem fraktionslosen SSW-Abgeordneten Stefan Seidler. Die Abgeordneten von Grünen und der AfD stimmten geschlossen mit Nein.


„Das Rentensystem ist nicht mehr finanzierbar, wenn es nicht grundlegend reformiert wird.“
Ulrike Schielke-Ziesing (AfD)

Die Debatte eröffnet hatte an diesem Tag Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. "Wir beschließen, und das ist der SPD ganz besonders wichtig, die Stabilisierung des Rentenniveaus", erklärte sie und verwies auf eine künftige Rentenkommission, die grundlegende Vorschläge für eine Reform erarbeiten solle. Das tat auch Carsten Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion. "Diese Rentenkommission wird Vorschläge machen, aber die Entscheidungen werden wir hier im Deutschen Bundestag fällen", sagte Linnemann.

Für die AfD-Fraktion sprach in der Debatte Ulrike Schielke-Ziesing. "Das Rentensystem ist nicht mehr finanzierbar, wenn es nicht grundlegend reformiert wird", sagte sie. Das vorliegende Paket dürfe nicht umgesetzt werden.

Der Nachhaltigkeitsfaktor bleibt ausgesetzt

Zentrale Maßnahme des Rentenpakets ist, dass das Rentenniveau auch über das laufende Jahr hinaus bei 48 Prozent bleibt (Haltelinie). Der Nachhaltigkeitsfaktor bleibt bis zum Jahr 2031 ausgesetzt. Er soll eigentlich dafür sorgen, dass die Renten langsamer steigen, wenn immer weniger junge Beitragszahler immer mehr Älteren die Rente finanzieren müssen. 2031 wird dann neu gerechnet, dann ausgehend von jenen 48 Prozent.

Genau der letzte Punkt hatte der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Fraktion aufgestoßen. Sie wollten keine Vorgaben für die Zeit nach 2031. Allerdings, das hatte auch der Ökonom Hans-Werner Sinn in einer TV-Runde zugestanden, müsste dann womöglich 2031 nicht nur das Niveau, sondern die tatsächliche Höhe der Renten sinken. Es käme also zu tatsächlichen Rentenkürzungen.


„Der Gesetzentwurf geht gegen meine fundamentalen Überzeugungen, gegen alles, wofür ich Politik mache.“
Pascal Redding (CDU)

Mit dem Gesetzentwurf der Regierung kommen nun zusätzliche Milliardenausgaben auf den Bundeshaushalt zu, denn die Maßnahmen will die Bundesregierung nicht der Rentenkasse und den Beitragszahlern aufbürden, sondern aus Steuermitteln finanzieren. Das gilt auch für die dritte Stufe der Mütterrente: Die Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung wird künftig für vor 1992 geborene Kinder um weitere sechs Monate auf insgesamt drei Jahre verlängert.

Zum Ende der Debatte durfte für die Unionsfraktion auch Pascal Redding ans Rednerpult. "Der demographische Wandel wartet nicht auf die nächste Wahl, er schlägt in den 2030er Jahren in mathematischer Präzision zu", warnte er. "Der Gesetzentwurf geht gegen meine fundamentalen Überzeugungen, gegen alles, wofür ich Politik mache", sagte er. Deshalb werde er nicht zustimmen.

Auch die Aktivrente und die Reform der Betriebsrenten wurde beschlossen

So sehr die Koalition, insbesondere die Unionsfraktion, um die Festlegung der Haltelinie gerungen hatte, nicht alle Teile des Rentenpakets waren so umkämpft. Weniger strittig waren zwei andere Maßnahmen der Bundesregierung, zumindest innerhalb der Koalition. Das Aktivrentengesetz ging mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen durchs Parlament. Künftig sollen Rentner pro Monat 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen dürfen. Das ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossene zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz soll es kleineren und mittleren Betriebe erleichtern, für ihre Mitarbeiter Betriebsrenten zu organisieren.

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