Armutsbericht der Bundesregierung : Wenn Inflation und steigende Mieten in die Enge treiben
In einer Aktuellen Stunde befasst sich der Bundestag mit dem Armutsbericht, der Vermögensverteilung in Deutschland und der Frage, was der Sozialstaat leisten muss.
So klar die Befunde des am 3. Dezember beschlossenen Siebten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung auch sind, so weit gehen die Meinungen über Ursachen und Therapien zwischen Koalition und Opposition auseinander. Das wurde am Mittwoch in der Aktuellen Stunde des Bundestages zur Vermögensverteilung in Deutschland auf Antrag der Fraktion Die Linke deutlich: Für Union und SPD hält der Sozialstaat den gewachsenen Herausforderungen stand, für AfD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke besteht dringender Handlungsbedarf.
Besonders Geringverdiener sind von der anhaltenden Inflation betroffen: Nach Angaben von "Tafel Deutschland" nehmen rund 1,5 Millionen Menschen Lebensmittelspenden in Anspruch.
Nach den amtlichen Erhebungen sind 15,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, also rund 13 Millionen Menschen, arm. Die anhaltende Inflation hat Geringverdiener in den vergangenen Jahren stärker getroffen, weshalb die Unterschiede bei den Einkommen gewachsen sind.
Dagegen hat sich laut dem Bericht der Bundesregierung die Ungleichheit bei Vermögen verringert: “Die zehn Prozent der vermögendsten Haushalte besitzen 54 Prozent des gesamten Nettovermögens. 2010/2011 waren es noch 59 Prozent. Die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung besaßen nur drei Prozent des Gesamtvermögens.”
Linke wirft der Bundesregierung "Armen-Bashing" vor
In der Aktuellen Stunde prallten die Meinungen über die soziale Lage in der Bundesrepublik hart aufeinander. Während Kerstin Griese (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dafür warb, die Entwicklung vor dem Hintergrund der Pandemiefolgen, des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, massiv gestiegener Energie- und Lebenshaltungskosten sowie weltwirtschaftlicher Turbulenzen zu betrachten, warf Ines Schwerdtner von der Linksfraktion der Bundesregierung "Armen-Bashing" durch die Verschärfung von Sanktionen beim Bürgergeld und "Schweigen zum Reichtum in Deutschland" vor. Dass ein direkter Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum in diesem Land bestehe, leugneten Union und SPD, kritisierte die Abgeordnete.
Der Armuts- und Reichtumsbericht auf einen Blick
📜Der erste Bericht über "Lebenslagen in Deutschland" erschien 2001 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Seitdem erfasst die Regierung in jeder Wahlperiode einmal die Entwicklung von Armut und Reichtum in einer umfassenden Datensammlung.
📊 Zirka 15 Prozent der Menschen gelten als armutsgefährdet. Inflation und steigende Mieten belasten vor allem Geringverdiener.
👧 Jedes siebte Kind in Deutschland ist laut dem aktuellen Bericht armutsgefährdet.
Dagegen lobte Stefan Nacke (CDU) den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung als eine "Betrachtung ohne Alarmismus und ohne Verharmlosung". Der Sozialstaat habe sich bei allen Problemen als "leistungsstark und stabil" erwiesen. Nacke nannte "Arbeit als wirksamsten Schutz gegen Armut". Allerdings gelte ebenso: "Eine Beschäftigung, die dauerhaft geringfügig bleibt, erfüllt ihre Schutzfunktion nicht."
Die AfD fordert ein höheres Rentenniveau
Für die AfD hielt Ulrike Schielke-Ziesing der Linksfraktion eine einseitige Sichtweise auf Armut vor: "Für Sie ist klar: Schuld an der Armut sind nur die Reichen." Doch das Problem sei komplizierter: "Armut hat viele Ursachen." Für die AfD zählt dazu eine unbegrenzte Migration. Wenn jeder zweite Euro beim Bürgergeld aktuell an "nichtdeutsche Bezieher" gehe, handele es sich dabei um "importierte Armut". Von der Bundesregierung verlangte die AfD-Abgeordnete ein höheres Rentenniveau als die derzeit geltenden 48 Prozent - dann wäre Altersarmut vermeidbar.
„Das ist ein soziales und wirtschaftliches Problem, das auch gefährlich für die Demokratie werden kann.“
Dass nach dem aktuellen Bericht der Bundesregierung jedes siebte Kind in Deutschland armutsgefährdet sei, bezeichnete Timon Dzienus von Bündnis90/Die Grünen als "Trauerspiel". Armut werde ebenso vererbt wie Reichtum, deshalb müsse es strukturelle Veränderungen geben, gerade auch auf dem Mietwohnungsmarkt: "Acht Millionen Menschen hierzulande sind von Wohnarmut betroffen." Hier bestehe also ebenso dringender Handlungsbedarf wie bei der steuerlichen Veranlagung von hohen Erbschaften und Vermögen, sagte der Grünen-Politiker.
Für die SPD verteidigte Jens Peick den Sozialstaat als "bestes Instrument, Armut zu reduzieren". Freilich bereite ihm Sorgen, dass zwischen 30 und 50 Prozent derjenigen Menschen, die leistungsberechtigt sind, staatliche Transferleistungen "nicht in Anspruch nehmen, entweder aus Unwissenheit oder Scham". Auch werde die Gesellschaft insgesamt zwar reicher, doch komme dieser Reichtum bei zu wenigen Menschen an: "Das ist ein soziales und wirtschaftliches Problem, das auch gefährlich für die Demokratie werden kann", erklärte er.
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