
Neues Personal gesucht : Alles zurück auf Los
Das geplante Wehrdienstgesetz entzweit nicht nur Regierung und Opposition, sondern auch die Koalition. Es hagelte Kritik am Streit über ein mögliches Losverfahren.
"Kein Gesetz kommt aus dem Parlament heraus, wie es eingebracht worden ist." Diese einst vom früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck formulierte Binsenweisheit wollten die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD bereits vor der ersten Lesung des von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegten Entwurfs für ein neues Wehrdienstgesetz Realität werden lassen.
Doch der ausgehandelte Kompromiss über Änderungen an der Gesetzesvorlage scheiterte am Dienstag am Widerstand des Ministers und der SPD-Fraktion. Die angekündigte Pressekonferenz wurde kurzfristig abgesagt. Um den politischen Schaden möglichst gering zu halten, einigten sich die Koalitionäre darauf, die für Donnerstag anberaumte erste Lesung dennoch stattfinden zu lassen.
Bundeswehr soll bis 2035 auf 260.000 Soldaten anwachsen
Mit dem Wehrdienst-Modernisierungsgesetz soll der Umfang der deutschen Streitkräfte von aktuell rund 183.000 Soldaten bis 2035 auf rund 260.000 erhöht werden. Zudem sollen 200.000 Reservisten für den Verteidigungsfall zur Verfügung stehen. Der sogenannte "Neue Wehrdienst" von mindestens sechs Monaten soll aber weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen.
Um dies zu gewährleisten, soll der Dienst attraktiver gestaltet werden. Neben der Anpassung des Wehrsoldes für Freiwillige auf das Niveau von Zeitsoldaten sollen zudem Zuschüsse für den Erwerb des Führerscheins ab einer Wehrdienstzeit von zwölf Monaten gewährt werden.
Ab dem kommenden Jahr sollen alle Männer bei Vollendung des 18. Lebensjahres einen digitalen Fragebogen mit Angaben über eine mögliche Bereitschaft zum Wehrdienst, zu Bildungsabschlüssen und körperlicher Leistungsfähigkeit ausfüllen müssen. Frauen soll dies freigestellt werden. Aus dem Kreis der Wehrdienstwilligen sollen dann Männer und Frauen zu einer Musterung geladen werden. Ab dem 1. Juli 2027 will Verteidigungsminister Pistorius dann aber eine verpflichtende Musterung für alle Männer eines Jahrganges einführen.
SPD spricht sich gegen automatisierte Rückkehr zur Wehrpflicht aus
Auch wenn der Gesetzentwurf weiterhin von einem freiwilligen Wehrdienst ausgeht, bietet er die Möglichkeit für die Rückkehr zur ausgesetzten Wehrpflicht. So soll die Bundesregierung die Heranziehung von Wehrpflichtigen per Rechtsverordnung veranlassen können, wenn dies die sicherheitspolitische Lage erfordert und sich nicht genügend Freiwillige finden - allerdings nur mit vorheriger Zustimmung des Bundestages.
Vor allem der SPD war es wichtig gewesen, auf eine automatisierte Rückkehr zur Wehrpflicht im Gesetz zu verzichten. Sie hatte auf ihrem Parteitag im Sommer einen entsprechenden Antrag verabschiedet.

„Wir müssen wissen, wer unser Land im Spannungs- und Verteidigungsfall mit welchen Qualifikationen verteidigen kann.“
In der Union, die sich konkrete Regelungen für mögliche Verpflichtungen zum Wehrdienst wünscht, schaut man skeptisch auf den Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett im August gebilligt hatte.
Die Union drängt darauf, den Gesetzestext um klare Vorgaben zu ergänzen, welche Zielmarken für den Personalaufwuchs in den kommenden Jahren erreicht werden sollen. Zudem hält sie die Musterung ganzer Jahrgänge ab 2027 für unrealistisch und unverhältnismäßig und fordert stattdessen ein Losverfahren, mit dem junge Männer zur Musterung verpflichtet werden sollen.
Streit und Kritik wegen des vorgeschlagenen Losverfahrens
Das Losverfahren und die Zielmarken, die von Pistorius benannt werden sollen, wurden dann auch zwischen den Verhandlungsteams von Union und SPD vereinbart. Doch der Kompromiss scheiterte innerhalb der SPD-Fraktion - auch am Widerstand des Verteidigungsministers.
Pistorius betonte in der Debatte, dass er die flächendeckende Musterung ganzer Jahrgänge für nötig hält, um herauszufinden, "wer unser Land im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit welchen Qualifikationen verteidigen kann".
Zugleich zeigte er sich verhandlungsbereit über andere Modelle. Der von ihm vorgelegte Gesetzentwurf entspreche den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages, sagte Pistorius. Deshalb setze er beim Wehrdienst weiterhin auf Freiwilligkeit und eine Erhöhung der Attraktivität des Dienstes.
AfD: Wehrpflicht nur für Landes- und Bündnisverteidigung
Heftige Kritik hagelte es aus den Reihen der Opposition, die sich vor allem auf den Streit über ein mögliches Losverfahren bezog, das aber gar nicht Teil des Gesetzentwurfs ist. Ein solches Verfahren sei "unredlich und würdelos", befand Rüdiger Lucassen (AfD). Eine Wehrpflicht sei nur durch die Landes- und Bündnisverteidigung zu rechtfertigen, ein möglicher Einsatz der Bundeswehr in der Ukraine sei abzulehnen.
Niklas Wagener (Grüne) monierte, der Wehrdienst sei "keine Niete aus der Lostrommel" und forderte eine Beteiligung der jungen Generation am Gesetzgebungsprozess. Einen konkreten Gegenvorschlag zum Gesetzentwurf machte Wagener jedoch nicht.
Jugendliche werden laut Linke durch die geplante Wehrpflicht verunsichert
Desiree Becker (Linke) warf der Koalition vor, die Jugendlichen mit immer neuen Vorschlägen zum Wehrdienst zu verunsichern. Eine Wehrpflicht sei in jedem Fall abzulehnen. Siemtje Möller (SPD) hielt der Linken entgegen, dass es nicht um eine Wehrpflicht gehe, sondern um einen "attraktiven und freiwilligen Wehrdienst".
Norbert Röttgen (CDU) verteidigte das Losverfahren als gerecht. Jeder junge Mann habe die "gleiche Chance und das gleiche Risiko". Zur alten Wehrpflicht könne man nicht zurück, da ansonsten die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben sei. Aber auch Röttgen zeigte sich offen für andere Vorschläge in den parlamentarischen Beratungen.
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