
Gastkommentare : Rückkehr zur Wehrpflicht? Ein Pro und Contra
Soll die Bundesrepublik wieder zur Wehrpflicht zurückkehren? Gastkommentatorin Anja Wehler-Schöck ist dafür, Julia Weigelt hält dagegen.
Pro
Die Verteidigung unserer freien Gesellschaftsordnung erfordert den verpflichtenden Einsatz eines jeden

Statt um Losverfahren und immer neue Umwege zu ringen, muss die Koalitionsregierung Klartext sprechen: Freiheit und Wohlstand in Deutschland und Europa sind in Gefahr. Um sie zu verteidigen, müssen alle ihren Beitrag leisten. Unter anderem durch einen Wehrdienst für Männer und - perspektivisch - auch für Frauen.
Als Deutschland 2011 die Wehrpflicht aussetzte, wähnten viele die Zeiten einer drohenden Konfrontation hinter sich. Die Bundeswehr wurde auf eine Freiwilligenarmee verkleinert. Die Gefahr, dass sich in ihr eine Parallelgesellschaft, ein Hort extremer Gesinnungen entwickeln könnte, sah man als gebannt. Und verabschiedete sich so stillschweigend vom Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform". Diese Annahmen haben sich allesamt als falsch erwiesen. Die zunehmenden hybriden Angriffe, die unverhohlenen Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie der kontinuierliche Rückzug der USA zwingen Deutschland, in die eigene Wehrhaftigkeit investieren.
Dazu gehört, die Bundeswehr nicht nur durch Wehrpflichtige personell zu stärken, sondern auch ihre integrale Rolle für die Sicherheit in Deutschland zu bekräftigen. Als leistungsstarke Armee muss sie aus der Mitte der Gesellschaft getragen werden.
Wehrdienst kann nicht nur an der Waffe geleistet werden. Das ist bereits im Grundgesetz mit den Einrichtungen des Zivilschutzes so angelegt und ist heute noch umfassender zu denken. Dass manche die Wehrpflicht als "verschwendetes Jahr" sehen, unterstreicht nur deren Notwendigkeit. Es zeugt von Anspruchsdenken und Bequemlichkeit. Die Verteidigung unserer freien Gesellschaftsordnung lässt sich nicht herbeiwünschen. Sie erfordert den verpflichtenden Einsatz eines jeden.
Contra
Durch eine Wehrpflicht alleine steigen die Verpflichtungszahlen nicht

Die Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist hoch emotional. Kein Wunder, denn es geht im Kern um die Sicherheit unserer Heimat, unserer Familien und Freunde. Dafür brauchen wir unter anderem eine verteidigungsfähige Armee. Die Bundeswehr hat allerdings zu wenig Berufs- und Zeitsoldatinnen und -soldaten. 80.000 zusätzliche Kräfte sollen in den nächsten Jahren aufwachsen.
Ein Blick nach Schweden zeigt allerdings: Durch eine Wehrpflicht steigen diese Verpflichtungszahlen nicht. Das skandinavische Land hatte den obligaten Dienst nach einigen Jahren der Aussetzung wieder eingeführt; deswegen verfügen die Schweden über entsprechende Vergleichszahlen.
Ein Ziel, das eine Wehrpflicht leisten könnte, wäre es, mehr Reservekräfte zu produzieren. Würden Zehntausende junge Menschen eingezogen und die Streitkräfte nach sechs Monaten wieder verlassen, würden alle von ihnen qua Definition zur Reserve zählen. Nur: Wir haben in Deutschland kein Reserveproblem. Wir haben bereits 900.000 Reservistinnen und Reservisten unter 65 Jahren, und ja, auch 55-Jährige können im Ernstfall gut in Stäben Verwaltungsarbeit machen oder Feldpost austeilen. Und schon jetzt kommen jährlich 20.000 Reservekräfte dazu.
Das Problem ist eher, dass die Bundeswehr deren Adresse nicht hat und nur wenige Zehntausend in Übung sind. Hier könnten pragmatischer Datenschutz und verpflichtende Übungen Probleme lösen.
Dem Ziel, die Stärke der aktiven Truppe dauerhaft zu erhöhen und dort Kompetenzen aufzubauen, die es in einem immer komplexer werdenden Kriegsgeschehen braucht, kommen Personalverantwortliche allerdings nur mit der bitteren Realität bei: Die Truppe muss so attraktiv werden, dass Menschen freiwillig kommen und bleiben. Und da ist in vielen Bereichen noch Luft nach oben.
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