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Kurz rezensiert : Das Lebensgefühl im Sommer 1945

Der Historiker und Schriftsteller Oliver Hilmes spürt in seinem Buch "Ein Ende und ein Anfang" dem Lebensgefühl im Sommer 1945 nach.

06.06.2025
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2 Min

Aus heutiger Sicht ist kaum noch vorstellbar, wie sich der Sommer 1945 für die Menschen angefühlt haben mag. Viele der Zeitzeugen von damals leben nicht mehr oder waren noch sehr jung. Der Historiker und Schriftsteller Oliver Hilmes spürt in seinem Buch "Ein Ende und ein Anfang" aber genau diesem Lebensgefühl nach, indem er ganz einfache Menschen, die maßgeblichen Politiker ihrer Zeit und zentrale Gestalten der Kultur, vor allem der Literatur, portraitiert und die historischen Hintergründe damit verwebt. So entsteht ein Mosaik der Monate von der Kapitulation der deutschen Wehrmacht bis zum Abwurf der Atombomben im August auf Hiroshima und Nagasaki.

Hilmes schaut auf politische Persönlichkeiten und das Schicksal einfacher Menschen

Besonderes Augenmerk legt Hilmes zunächst auf den 8. Mai selbst, schaut Harry S. Truman im Weißen Haus über die Schulter, sondiert die Stimmung im Buckingham Palast, richtet den Blick nach Paris zum eigenwilligen Charles de Gaulles und in die von Stalin beherrschte Sowjetunion. Hierbei fängt er sehr anschaulich und menschlich die Befindlichkeiten der zentralen politischen Akteure und deren von Beginn an angespanntes Verhältnis untereinander ein. Das zieht sich wie ein roter Faden bis zur Potsdamer Konferenz, die er sehr detailreich und anschaulich beschreibt. 

Natürlich entgeht ihm auch nicht das alltägliche Leben, das von den Schicksalen einfacher Menschen zeugt. So berichtet er etwa über die Sorgen der Frauen und Mütter, wo ihre Männer und Söhne geblieben sind oder den Schwarzmarkt. Aber auch die Geschichte der kürzlich verstorbenen Margot Friedländer wird erzählt und die Befreiung der Konzentrationslager thematisiert. Von den unverbesserlichen Kulturschaffenden, wie Richard Strauss, der den Charakter der vorangegangenen NS-Regimes unreflektiert deutet oder von den emigrierten Literaten, die wie Thomas Mann das Kriegsende aus sehr abgehobener Warte betrachten, ist schließlich die Rede.


Oliver Hilmes:
Ein Ende und ein Anfang.
Wie der Sommer 45 die Welt veränderte.
Siedler,
München 2025;
288 S., 25,00 €


Dazwischen streut Hilmes immer wieder statistische Angaben zur Lebensmittelversorgung, der Selbstmordrate oder der Eheschließungen ein und versäumt auch nicht, das Leben der Reichen zu beleuchten. Ihm gelingt es auf sehr vielfältige Weise, dieses Jahr der wegweisenden Entscheidungen und Umbrüche für die Nachgeborenen lebendig werden zu lassen. Ob es nun der Tag der Befreiung war oder des Neuanfangs, lässt sich anhand dieser Miniaturen nicht sagen. Seine pointierten Betrachtungen zeigen vielmehr, dass es keine eindeutige Antwort darauf geben kann. Die jeweilige Lebenssituation und der entsprechende Handlungsspielraum bestimmt letztlich den Blick auf die Geschichte und deren Folgen.

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