Aktion "Orange the world" : Mit Pflastern gegen ein strukturelles Problem
Hunderttausende Frauen sind jährlich von häuslicher Gewalt betroffen. Experten fordern im Bundestag einen entschlosseneren Opferschutz - und mehr Frauenhausplätze.
Vor dem Karlsruher Schloss tragen die Skulpturen seit dieser Woche orange Gewänder: Mitglieder eines Künstlerkollektivs haben die Figuren in der Innenstadt für 16 Tage in Folie gehüllt - zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Ihre Idee: Das Thema aus den Wohnungen auf die Straße zu holen und Passanten zum Innehalten zu animieren. Der "Orange Day" entstand 1991 aus einer UN-Kampagne. Die Farbe wurde zur Symbolfarbe für eine gewaltfreie Zukunft.
Aktionen in vielen deutschen Städten zum Orange Day
Denn die Zahlen sind und bleiben erschütternd: Über 187.000 Frauen wurden laut aktuellem Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) im vergangenen Jahr Opfer häuslicher Gewalt - 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr. 308 Frauen und Mädchen überlebten den Angaben zufolge die Gewalttaten nicht. Und auch weltweit sind die Zahlen düster: Laut UN stirbt alle zehn Minuten eine Frau oder ein Mädchen durch tödliche Gewalt innerhalb der Beziehung oder Familie.
„Dem Opferschutz zum Durchbruch zu verhelfen, heißt, die Maßnahmen stärker auf den Verursacher auszurichten.“
Nicht nur in Karlsruhe, in vielen anderen deutschen Städten leuchteten in dieser Woche wieder Gebäude orange, Aktionen fanden statt. Im Bundestag befragte der Familienausschuss am vergangenen Montag fünf Expertinnen und Experten zum Thema. Sie forderten unter anderem einen zügigen Ausbau von Frauenhausplätzen und die Umsetzung des geplanten Gewaltschutzgesetzes der Bundesregierung. Außerdem warnten sie vor frauenfeindlichen Inhalten im Netz, die noch zu oft übersehen würden.
Uwe Stürmer, Polizeipräsident von Ravensburg und früherer Mordermittler, fand klare Worte: "Es ist bekannt: Die Sexualdelikte sind wie die Tötungsdelikte überwiegend Beziehungsdelikte", berichtete er. Es ließe sich zum Schutz der Opfer viel mehr tun, "als darauf zu vertrauen, dass es gut ausgeht". Er plädiert dafür, die Mittel, die für den Vollzug verwendet werden, in die Täterarbeit zu stecken. "Dem Opferschutz zum Durchbruch zu verhelfen, heißt, die Maßnahmen stärker auf den Verursacher auszurichten." Es müsse das Bewusstsein Platz ergreifen, dass "das Tötungsdelikte sind, die in archaischen Besitzansprüchen ihre Ursache haben, die tief verwurzelt sind", so Stürmer.
Experten verweisen auf das gewaltige Dunkelfeld
Verurteilungen seien bei Tätern häuslicher Gewalt selten, das Strafmaß milde, sagte Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin beim Opferhilfeverein Weißer Ring. Gerade bei häuslicher Gewalt gebe es ein gewaltiges Dunkelfeld durch die Beziehung zu den Tätern, Scham und Hürden für Betroffene. Der Bundestag müsse der bundesweiten elektronischen Fußfessel und den weiteren Verschärfungen im Gewaltschutzgesetz zustimmen, forderte sie.
Die prekäre Lage von Frauen, die Schutz in den rund 400 Frauenhäusern in Deutschland suchten, schilderte Esther Bierbaum von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser. Es brauche einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu Frauenhäusern, "24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr", sagte Bierbaum. "Es bedarf an dieser Stelle keiner erneuten Bedarfsanalysen", betonte sie. Es fehlten schlichtweg Frauenhausplätze. Habe eine Frau den Mut, sich Schutz und Beratung zu suchen, so werde sie aktuell im Stich gelassen, berichtete auch Sibylle Schreiber vom Verein Frauenhauskoordinierung. Sie müsse wochenlang auf einen Beratungstermin warten und telefoniere sich die Finger wund, um einen freien Frauenhausplatz in ihrer Nähe zu finden.
Ganzheitliche Schutz- und Präventionsstrategie gefordert
Zwar stellt der Bund aus dem Sondervermögen Infrastruktur im Jahr 2026 30 Millionen Euro für die Sanierung von Frauenhäusern bereit - weitere 120 Millionen Euro bis 2029 sollen folgen. Im Justizetat sind zudem 1,7 Millionen Euro für den Zuschuss des Projekts "Überregionale Maßnahmen auf dem Gebiet des Schutzes von Frauen vor häuslicher Gewalt" eingestellt.
Dennoch brauche es aus Sicht von Sina Tonk vom Frauenschutzverein Terre des Femmes eine ganzheitliche Schutz- und Präventionsstrategie, die ausreichend finanziert ist. Weiterhin vereinzelt Pflaster auf ein strukturelles Problem dieses Ausmaßes zu kleben, verfehle das Ziel deutlich. "Es vermehrt das Leid von Betroffenen und verursacht jedes Jahr mehr Kosten und Folgekosten", lautete ihr trauriges Fazit.
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