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Konstituierende Sitzung am 20. Dezember 1990 : Parlamentarischer Neuanfang nach der Wiedervereinigung

35 Jahre nach der Konstituierung des 12. Deutschen Bundestages würdigen die Abgeordneten die Leistungen ihrer Vorgänger und warnen vor Angriffen auf die Demokratie.

18.12.2025
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3 Min

Am 20. Dezember 1990 hat sich der erste gesamtdeutsche Bundestag konstituiert. Die 662 am 2. Dezember gewählten Abgeordneten des 12. Bundestages kamen wenige Wochen nach der Wiedervereinigung und knapp über ein Jahr nach dem Mauerfall nicht im Bundestag in Bonn, sondern im Berliner Reichstagsgebäude unweit der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zusammen, um die epochalen Ereignisse der Jahre 1989/1990 symbolisch zu würdigen. 

Das letzte frei gewählte Parlament hatte sich hier im Jahr 1932 konstituiert, bevor sich der Reichstag im März 1933 mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz faktisch selbst abschaffte. Als Alterspräsident eröffnete der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die Sitzung. Wenig später wurde Rita Süssmuth (CDU) erneut zur Bundestagspräsidentin gewählt.

Foto: picture-alliance/ dpa

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, links) beim feierlichen Aufziehen der deutschen Flagge vor der konstituierenden Sitzung des ersten gesamtdeutschen Bundestages im Berliner Reichstag.

Fast auf den Tag genau 35 Jahre später erinnerten die Abgeordneten des 21. Deutschen Bundestages am Donnerstagmorgen im Rahmen einer Vereinbarten Debatte an diese Sitzung. Ihr Dank galt zuvorderst ihren Vorgängern, von denen einige auf der Ehrentribüne Platz genommen hatten, darunter der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Präsidentin der letzten und einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR, Sabine Bergmann-Pohl.

Bundestagspräsidentin Klöckner würdigt Leistung der Abgeordneten

In ihren einleitenden Worten zu der Debatte würdigte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sie mit den Worten: "Sie alle haben daran mitgewirkt, diese Mauern gemeinsam einzureißen, die Zukunft gemeinsam zu gestalten." Dabei bezog sich die Christdemokratin auf Willy Brandt, der in einer Rede im Bundestag damals gewarnt hatte: “Mauern in den Köpfen stehen manchmal länger als die, die aus Betonklötzen errichtet sind.”

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Die konstituierende Sitzung in Berlin sei, so Klöckner, ein Tag gewesen, der Geschichte geschrieben habe, denn mit der Konstituierung des ersten gesamtdeutschen Bundestages vollendeten die Parlamentarier "die friedliche Wiedervereinigung unseres Landes".

Das sahen nicht alle so. Nicole Hess (AfD) widersprach Klöckner. Es sei nicht die Vollendung, sondern der Beginn davon gewesen. Ein Neubeginn, getragen von Mut und Hoffnung und dem "Willen eines Volkes, endlich wieder zusammenzugehören". so formulierte es Hess und mahnte: "Ein Jubiläum ist kein Freibrief zur Selbstzufriedenheit." Man solle nicht nur fragen, was erreicht worden sei, sondern auch, was versäumt worden sei und was gerade auf dem Spiel stehe.

Dienstältester Abgeordneter Gysi mahnt zu Respekt und Glaubwürdigkeit

Auch Gregor Gysi, der dem 12. Bundestag angehörte, fand kritische Worte. Seinerzeit hätte sich niemand vorstellen können, dass einmal eine rechtsextreme Partei - Gysi meinte damit die AfD - im Bundestag Platz nehmen würde. Der dienstälteste Abgeordnete machte dafür mangelnden Respekt gegenüber den Wählerinnen und Wählern verantwortlich, aus dem die Rechten politisches Kapital schlagen würden. Gerade Wählerinnen und Wähler im Osten hätten ein "feines Gespür für fehlende Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit in der Politik".

Andere Redner betonten wiederum die Leistungen der damaligen Abgeordneten insgesamt, die in der Wahlperiode unter anderem den Umzug von Bonn nach Berlin (Hauptstadtbeschluss) und die Ratifizierung des Vertrags von Maastricht über die Bühne brachten. Ottilie Klein (CDU) befand, vom 12. Bundestag sei bei seiner Konstituierung in Zeiten großer Instabilität - Kriegsgefahr im zerfallenden Ostblock, Golfkrieg im Nahen Osten - ein "Signal der Freiheit und der Demokratie" ausgegangen. Damals habe ein "neues Kapitel der Geschichte unseres Landes" begonnen, sagte die Christdemokratin.

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Die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser (SPD), hob die Leistung der Ostdeutschen hervor. Sie erinnerte daran, dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR die Demokratie zuerst auf der Straße und dann bei der Wahl zur ersten und letzten freien Volkskammer erzwungen hätten. Die Bundestagsabgeordneten aus Ostdeutschland seien keine "parlamentarischen Neulinge" gewesen, sondern hätten aufgrund ihres starken Mandats durch die Friedliche Revolution eine "besondere Dynamik" in den Bundestag eingebracht.

Michael Kellner sah das genauso. "Unsere Demokratie steht auf Ihren Schultern", sagte der Abgeordnete in ihre Richtung. Wie andere Rednerinnen und Redner auch warnte Kellner davor, dass die Demokratie aktuell unter Druck stehe - etwa durch die "blauen Putin-Freunde", gemeint war wieder die AfD. Zudem lasse sich an der Entwicklung in den USA die Verletzlichkeit und die Möglichkeit des Scheiterns der Demokratie erkennen. Eine Lehre von 1989 sei aber auch, so der Abgeordnete: “Abrupte Veränderungen zum Besseren sind möglich.”

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