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Rund 20 Milliarden für Gesundheit : Warken will eine Mehrbelastung der Versicherten verhindern

Gesundheitsministerin Nina Warken will höhere Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung verhindern. Noch ist aber unklar, was genau sie plant.

24.09.2025
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5 Min

Die Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden bis zum Jahreswechsel vermutlich wieder mit Sorge auf Informationen ihrer Krankenkasse zu den Beiträgen für 2026 warten. Immer im Oktober versammeln sich Experten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), des Bundesamtes für Soziale Sicherung und des GKV-Spitzenverbandes, um die Einnahmen und Ausgaben der Krankenkassen zu analysieren und daraus Schlüsse für die Finanzplanung zu ziehen.

Dieser sogenannte Schätzerkreis gibt sodann eine Prognose zur Entwicklung des Zusatzbeitrags ab, den jede Kasse neben dem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens erheben kann, um die Ausgaben zu decken. Das BMG legt auf Basis der Schätzresultate als Rechengröße den durchschnittlichen Zusatzbeitrag für das nächste Jahr fest und gibt ihn bis zum 1. November im Bundesanzeiger bekannt.

Foto: picture alliance/dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Im Haushalt 2026 werden Kranken- und Pflegeversicherung mit Darlehen gestützt, langfristig soll eine Finanzreform helfen.

Der gesetzliche durchschnittliche Zusatzbeitragssatz lag 2025 bei 2,5 Prozent. Über die Höhe des individuellen Zusatzbeitrags entscheiden die Krankenkassen aber letztlich selbst. In den vergangenen Jahren sind die GKV-Beiträge aufgrund der Teuerung auf breiter Front deutlich gestiegen.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass neben "tiefgreifenden strukturellen Reformen" in der Kranken- und Pflegeversicherung auch die Beiträge stabilisiert werden sollen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) konkretisierte dies bei den Beratungen für den Bundeshaushalt 2025 in der vergangenen Woche. Die Koalition habe verabredet, dass die Beiträge für die GKV und die Soziale Pflegeversicherung (SPV) bereits "zum Jahresanfang stabilisiert werden sollen". Sie fügte hinzu: "Dazu führen wir gerade Gespräche." Die Kassen bräuchten "schnell Klarheit für ihre Finanzplanung".

Experten rätseln, wie Warken die Beiträge stabilisieren will

Seither rätseln Gesundheitsexperten, wie Warken das Ziel kurzfristig erreichen will. Eine Lösung wäre, mehr Steuergeld für den Gesundheitsfonds im Haushalt für das Jahr 2026 zur Verfügung zu stellen, eine andere Option bestünde darin, Ausgaben zu senken, also ein Sparpaket. 

Das müsste nicht unbedingt auf Leistungskürzungen hinauslaufen, wie der Sozialökonom Simon Reif in einer Expertenanhörung zur Finanzlage von GKV und SPV am Mittwoch darlegte. Es gebe Möglichkeiten, Ausgaben zu senken, ohne die Versorgung zu verschlechtern, erklärte er und nannte als Beispiele die große Zahl an Krankenhausbehandlungen und Arztbesuchen.

Meinung

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Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) wertete die im Haushalt 2026 vorgesehenen Darlehen für GKV (2,3 Milliarden Euro) und SPV (1,5 Milliarden) als "Trostpflaster". Um die Beitragsdynamik zu stoppen, müsse der Bund mehr Verantwortung bei versicherungsfremden Leistungen übernehmen. Andernfalls seien kräftige Beitragserhöhungen 2026 unvermeidbar.

Die erste Beratung des Gesundheitsetats für 2026 am Dienstag brachte in dem Punkt keine Klarheit. Warken versicherte erneut, dass an einer Lösung gearbeitet werde und sie dabei auch auf das Parlament setze, blieb Details aber schuldig, während die Opposition immer lauter konkrete Vorschläge einfordert.

Der Etat wächst unterdessen 2026 erneut an. Im Entwurf ist vorgesehen, dass die Ausgaben bei rund 20,09 Milliarden Euro liegen, das sind rund 789 Millionen Euro mehr als die Soll-Ausgaben im Haushalt 2025 (rund 19,3 Milliarden Euro).

Auch der medizinische Fortschritt kostet am Ende viel Geld

Die Opposition forderte mutige Reformen und warf der Koalition vor, Reformen nicht mit Nachdruck anzugehen. Die Ministerin gab zu bedenken, dass die erheblich gestiegenen Kosten für die Gesundheitsversorgung auch mit dem medizinischen Fortschritt zu tun hätten. Die Gesundheitsausgaben hätten 2023 im Schnitt bei rund 6.000 Euro pro Kopf gelegen und sich damit in 20 Jahren mehr als verdoppelt. Im selben Zeitraum habe es einen immensen medizinischen Fortschritt gegeben, an dem die Menschen teilhaben könnten. Auch die Löhne in der Pflege seien zurecht überdurchschnittlich gestiegen.

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Die Kehrseite seien steigende Beiträge. Warken räumte ein: "Schon fast zur Routine geworden ist der Brief zum Jahreswechsel, wenn die Krankenversicherung eine Beitragserhöhung ankündigt." Sie fügte hinzu: "Einnahmen und Ausgaben müssen wieder in ein besseres Verhältnis zueinander gebracht werden. Das System benötigt eine neue Balance." Sie versprach, auf Grundlage der Zahlen, die im Herbst vorlägen, würden Lösungen gefunden.

Martin Sichert (AfD) warnte die Koalition davor, die freie Arztwahl einzuschränken und womöglich hohe Zuzahlungen zu beschließen, sollten Patienten statt einen Hausarzt gleich einen Facharzt aufsuchen. Mehr Zuzahlungen könnten sich viele Bürger nicht leisten. Zudem könnte der Besuch beim Facharzt zum "Luxusgut" werden. Dabei seien Facharztbesuche, etwa zur Krebsvorsorge, Teil der sinnvollen Prävention. Offenbar erwäge die Koalition auch, Leistungen über einen GKV-Basistarif zu kürzen. Sichert rügte, es kämen derzeit Reformvorschläge aus der Union, die offenbar nicht abgestimmt seien.


„Im Bundeshaushalt sind keine Spielräume für uns. Deswegen können wir nur an der Kostenschraube drehen.“
Albert Stegemann (CDU)

Auch Svenja Stadler (SPD) hob die Bedeutung der Prävention hervor. Es müsse der Fokus verändert werden, die Prävention sollte stärker in den Vordergrund rücken, damit es nicht erst zu Krankheiten komme. Kinder mit Bewegungsmangel und falscher Ernährung seien häufig übergewichtig. Solche ungesunden Verhaltensweisen aus der Kindheit könnten ein Leben lang anhalten. Mit Prävention ließen sich chronische Krankheiten und deren kostenintensive Behandlungen vermeiden. Das sollte ein Ansporn sein für die Haushälter, sich für mehr Prävention einzusetzen. Stadler betonte: "Gesundheitspolitik ist Sozialpolitik."

Grüne: Wichtige Reformgesetze liegen schon länger fertig vor

Janosch Dahmen (Grüne) hielt der Koalition vor, Reformen viel zu langsam und unentschlossen anzugehen. "Das ist ein Haushalt des Verschiebens und Vertagens, kein Haushalt des mutigen Anpackens." Dahmen sagte: "Wir können alle damit rechnen, dass der Schätzerkreis im Oktober den Menschen wieder neue Beitragssteigerungen zumuten wird." Das mache Gesundheit und Arbeit in diesem Land zunehmend unbezahlbar und sei ein Wirtschaftshemmnis. 

Statt endlich Strukturreformen auf den Weg zu bringen, bilde die Koalition Kommissionen und verschiebe oder verwässere die Problemlösung. Dabei lägen wichtige Reformgesetze schon lange fertig ausgearbeitet vor, darunter die Notfall- und Rettungsdienstreform. "Es ist die Zeit, jetzt zu handeln."

Linke spricht von “systematischem Versagen”

Tamara Mazzi (Linke) ging auf die Pflege ein, die eine Schieflage im System offenbare. Sie sprach mit Blick auf die teils hohen Belastungen in der Pflege von einem systematischen Versagen. Viele Fachkräfte verließen frustriert und ausgelaugt den Beruf. Statt mutig grundlegende Reformen anzugehen, würden Symptome kuriert. Die Pflegeversorgung werde vor allem durch die Angehörigen sichergestellt. Und es seien meistens Frauen, die mit unbezahlter Pflegearbeit das System am Laufen hielten.

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Albert Stegemann (CDU) räumte ein, dass es im Gesundheitssystem eine "gewaltige Kostenentwicklung" gebe. Wenn jetzt nichts unternommen werde, könnten die Lohnnebenkosten in den nächsten zehn Jahren auf 52 Prozent ansteigen. Er verteidigte die Fachkommissionen, die von der Koalition gebildet wurden, um das Sozialsystem nachhaltig zu stabilisieren. 

Es sei aus seiner Sicht unproblematisch, wenn abseits der Kommissionen Vorschläge gemacht und diskutiert würden, wie Einsparungen zu erreichen seien. Stegemann betonte: "Im Bundeshaushalt sind keine Spielräume für uns. Deswegen können wir nur an der Kostenschraube drehen." Er setze dabei auch auf eine bessere Patientensteuerung. “Wir kriegen das gemeinsam hin.”