Reform der Reform : Klöckner drängt auf neuen Anlauf für eine Wahlrechtsreform
Die Bundestagspräsidentin will verwaiste Wahlkreise vermeiden und mahnt eine erneute Reform des erst in der vergangenen Legislaturperiode geänderten Wahlrechts an.
Die Fraktionen im Deutschen Bundestag sollen sich abermals mit einer Reform des Wahlrechts befassen. Diesen Wunsch hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) an diese gerichtet, wie sie der Deutschen Presseagentur (dpa) sagte. Bereits in der vergangenen Wahlperiode hatte der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der damaligen Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Reform beschlossen, mit dem Ziel, das Parlament zu verkleinern. Nun sitzen in der laufenden 21. Wahlperiode nur noch 630 Abgeordnete unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes, in der 20. Wahlperiode waren es noch 735.
Vier Wahlkreise haben keinen Abgeordneten
Allerdings war eine direkte Folge des neuen Wahlrechts, dass 23 Kandidaten, die bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar 2025 in ihrem Wahlkreis am meisten Erststimmen errangen, nicht unter den 630 Mandatsträgern vertreten sind: Trotz Wahlkreissieg kein Mandat. Drei Wahlkreise in Baden-Württemberg und einer in Hessen sind dadurch gar nicht mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten, da ihrer Partei die nötige Zweitstimmendeckung fehlte.

"Je verständlicher und gerechter ein Wahlsystem empfunden wird, desto größer ist dessen Akzeptanz in der Bevölkerung", sagte Julia Klöckner (CDU) in ihrer Antrittsrede bei der konstituierenden Sitzung des 21. Bundestages am 25. März 2025.
Bundestagspräsidentin Klöckner äußerte sich gegenüber der dpa kritisch zu dieser Folge des neuen Wahlrechts: „Wen wollen Sie überhaupt noch überzeugen, in einem Wahlkreis anzutreten, der viele Kandidaten hat, wodurch das Erststimmenergebnis für jeden Einzelnen niedriger ist?“ Es sei schwer vermittelbar, dass jemand Zeit, Geld und Engagement investiere, die Wahl gewinne – und dennoch nicht in den Bundestag komme.
Erneute Wahlrechtsreform ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD verabredet
Klöckner verweist darauf, dass CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag eine Reform des Wahlrechts verabredet haben. Dort ist auf Seite 142 zu lesen, dass eine Kommission noch im Jahr 2025 Vorschläge unterbreiten soll, „wie jeder Bewerber mit Erststimmenmehrheit in den Bundestag einziehen kann“. Zugleich soll der Bundestag aber nicht größer werden und über das Kräfteverhältnis der Fraktionen im Bundestag weiterhin das Ergebnis der Zweitstimmen entscheiden. Die Kommission soll zudem prüfen, „wie die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen im Parlament gewährleistet werden kann und ob Menschen ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen sollten“.
Klöckner hatte bereits in der Antrittsrede nach ihrer Wahl Ende März gesagt, es müsse möglich sein, „eine deutliche Verkleinerung des Bundestags mit einem verständlichen und gerechten Wahlrecht zu verbinden."
Vorschläge dazu hatte in der vergangenen Legislaturperiode bereits die bereits die „Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit“ diskutiert. Staatsrechtler und Wahlrechtskommissions-Mitglied Bernd Grzeszick hatte in einem Interview mit Das Parlament etwa die Möglichkeit genannt, die Zahl der Wahlkreise von heute 299 auf 280 zu reduzieren. „Etwas weniger Wahlkreise, heißt etwas weniger Direktmandate und etwas mehr Listenmandate, und damit wäre auch die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von Überhangmandaten deutlich gesunken“, erklärte der Jurist. Die wachsende Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten hat den Bundestag bis zur Wahl 2025 immer größer werden lassen.
Aus der SPD kommt Kritik am Vorstoß
Um die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate zu reduzieren, hätte aus Grzeszicks Sicht außerdem die Verrechnung von Wahlkreismandaten mit Listenmandaten über die Grenzen von Bundesländern weiter erhöht werden können. „Denkbar wäre schließlich auch gewesen, die Zahl der Überhangmandate, für die andere Fraktionen keine Ausgleichsmandate erhalten, von drei auf bis zu 15 zu erhöhen, was das Bundesverfassungsgericht bereits als zulässig anerkannt hat“, erklärte er. Hätte man diese drei "Stellschrauben" kombiniert, hätte ein Wachstum des Bundestages wirksam begrenzt werden können, argumentiert er.
Kritik an dem Vorstoß der Bundestagspräsidentin übte der parlamentarische Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. „Frau Klöckners Vorstoß, das Wahlrecht ändern zu wollen, ohne einen eigenen Vorschlag zu machen, ist schon etwas dünn“, sagte er der „taz“. Das jetzt geltende Wahlrecht sei nicht nur vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet worden, sondern habe sich auch bewährt.
Mehr zum Wahlrecht lesen

Rechtsprofessor Bernd Grzeszick fordert eine erneute Reform des Wahlrechts und eine Stärkung des Direktmandats. Er plädiert für das Grabenwahlsystem.

Sieg ohne Mandat? Nach der Wahlrechtsreform sind einige Wahlkreise nicht durch einen Direktkandidaten im Bundestag vertreten. Am stärksten betroffen ist die Union.

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar gilt erstmals das von der Ampelkoalition beschlossene neue Wahlrecht. Die wichtigsten Fragen rund um die Wahl im Überblick.