Verteidigungs- und Spannungsfall : Szenarien eines Krieges
Die Autoren Ferdinand Gehringer und Johannes Steger beschreiben, welche Mechanismen im Fall eines Krieges greifen und ob Deutschland auf diesen Fall vorbereitet ist.
Es sind Soldaten des Wachbataillons, die in der Nacht vom 18. auf den 19. November dieses Jahres in einem Übungstunnel der Berliner Verkehrsbetriebe am U-Bahnhof Jungfernheide den Ernstfall proben.
Die Truppe, die die meisten Deutschen vor allem als repräsentative Formation beim Empfang ausländischer Staatsgäste in der deutschen Hauptstadt kennen, hat im Spannungs- oder Verteidigungsfall einen handfesten militärischen Auftrag: den Schutz der Einrichtungen und der Mitglieder der Bundesregierung. Das Szenario im Rahmen der dreitägigen Übung "Bollwerk Bärlin III" ist vielsagend: Bekämpfung von irregulären Sabotage-Kräften im urbanen Umfeld.
Soldaten des Wachbataillons beim Verletzten-Transport im Rahmen der Bundeswehr-Übung "Bollwerk Bärlin III" am U-Bahnhof Jungfernheide in Berlin am 19. November.
Dass die Bundeswehr sich veranlasst sieht, eine solche Übung im öffentlichen Raum einer Großstadt durchzuführen und nicht auf einem speziellen Übungsgelände, verrät einiges über die aktuellen Bedrohungslagen, mit denen Deutschland ebenso wie seine Nato-Partner aktuell konfrontiert sind.
Verstärkte hybride Kriegsführung durch Russland
Bereits bei der Annexion der Krim 2014 setzte Russland Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ein. Nach dem Kriegsvölkerrecht gelten solche nicht gekennzeichneten Soldaten als irreguläre Kämpfer. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine 2022 sind zudem die Sabotage von Unterwasser-Kabeln in der Ostsee oder von technischen Einrichtungen der Deutschen Bahn, die Ausspähung von militärischen Anlagen in Schleswig-Holstein oder die Störung des Flugbetriebs am Flughafen von München durch Drohnen, gezielte Desinformationskampagnen in den sozialen Medien sowie Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur zu realen Bedrohungen geworden. Und in den meisten Fällen führen die Spuren nach Russland.
Man befinde sich zwar nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden, ist eine in diesen Tagen oft gehörte Sentenz von westlichen Politikern und Militärs. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter forderte angesichts der russischen Provokationen erst unlängst, den Spannungsfall auszurufen.
Das Buch zeigt die Auswirkungen eines Krieges auf das Leben der Menschen
Doch welche Konsequenzen hätte es für Deutschland konkret, wenn der Bundestag mit Zweidrittel-Mehrheit den Spannungsfall ausruft? Welche Mechanismen würden in Kraft treten und was würde dies für die Bevölkerung bedeuten? Und was geschieht, wenn aus dem Spannungsfall der Verteidigungsfall wird? Diesen Fragen geht das Autorenduo Ferdinand Gehringer und Johannes Steger in ihrem lesenswerten und gut recherchierten Buch "Deutschland im Ernstfall" nach.
Ferdinand Gehringer, Johannes Steger:
Deutschland im Ernstfall.
Was passiert, wenn wir angegriffen werden.
Hoffmann und Campe,
Hamburg 2025,
240 S., 18,00 €
Gehringer ist sicherheitspolitischer Berater bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, Steger leitet den Bereich Digital Crisis Management bei der Strategieberatung FGS Global. Beide sind Fachleute vor allem für die Bereiche Cybersicherheit und Schutz kritischer Infrastruktur. Dies merkt man dem Buch auch an. Den Autoren geht es in ihrer Darstellung weniger um die militärischen Szenarien im Fall eines Krieges als vielmehr um essentielle Auswirkungen auf das Leben der Menschen, ihre Versorgung, den Zivilschutz, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Frage, welche rechtlichen Grundlagen dafür existieren.
Gehringer und Steger legen dar, dass die Bundesrepublik einerseits durchaus gut aufgestellt ist bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Ernstfall, die in den Jahrzehnten des Kalten Krieges formuliert wurden. In einem Spannungs- oder gar Verteidigungsfall würden die sogenannten Notstandsgesetze greifen. Dazu zählen eine Reihe von Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze, mit denen die Aufrechterhaltung der staatlichen Handlungsfähigkeit und die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet werden soll.
Notstandsgesetze sind nicht auf der Höhe der Zeit
Zur Anwendung sind diese Gesetze allerdings noch nie gekommen. Selbst in der Corona-Pandemie griff man nicht auf sie zurück, sondern auf die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes. Und die Corona-Pandemie zeigte bereits, dass die praktische Umsetzung solcher Gesetze schnell an Grenzen stößt. Vor allem aber stammen die Notstandsgesetze aus einer Zeit, in denen viele Gefahren der hybriden Kriegsführung kaum bekannt waren.
Zudem sind die heutigen Verflechtungen der globalen Wirtschaft in diesen Gesetzen kaum abgebildet. Die Problematik der fragilen Lieferketten hatte sich bereits in der Corona-Pandemie offenbart. Diese Gesetze müssten "weitestgehend aktualisiert und angepasst werden", fordern die Autoren.
Kritik üben die Autoren auch am sogenannten "Operationsplan Deutschland", der das Zusammenspiel von Militär und zivilen Einrichtungen im Verteidigungsfall regeln soll. Da dieser als geheim eingestuft ist, wisse gerade die zivile Seite nicht, "was von ihr erwartet wird". Auch wenn das Buch wahrlich nicht alle Fragen beantworten kann, liefert es einen guten Überblick und Einstieg in die grundlegenden Problematiken des Themas.
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