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Foto: DBT / Stella von Saldern
Die Gräuel von Krieg und Nationalsozialismus mahnen Farida-Alexandra (links) und Leo (hinten rechts) nicht zu vergessen.

80 Jahre Kriegsende : Graffiti-Botschaft an den Bundestag

Welche Bedeutung hat der 8. Mai heute? Jugendliche geben in einem Graffiti-Workshop des Bundestags im Berliner „Parlament der Bäume“ ganz unterschiedliche Antworten.

06.05.2025
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5 Min

Es ist ein ungewöhnliches Geräusch im „Parlament der Bäume“, einem sonst stillen Gedenkort für die Toten an der Berliner Mauer, den der Künstler Ben Wagin 1990 auf dem Grenzstreifen im Schatten der Mauer angelegt hat. Ein schnelles, schepperndes Klack-klack-klack ist immer wieder am Mahnmal zu hören, das wie eine wilde grüne Oase mitten im Regierungsviertel an der Spree liegt. Unter den Bäumen stehen und hocken Jugendliche, ausgerüstet mit Plastikkitteln und Mundschutz, und besprühen große Tafeln mit Farbe. 

„Wir vergessen nicht“ steht in rot-weißen Lettern schon auf einer, „Nie wieder“ grellgelb auf einer anderen. Leo, 16, schüttelt ihre Spraydose. „Hier, unter die Schrift, soll noch ein Regenbogen hin“, sagt sie. „Er soll Hoffnung vermitteln“, fügt die 17-jährige Farida-Alexandra hinzu.

Tag der Befreiung oder Tag der Niederlage?

Die beiden Mädchen sind zwei der rund 30 Jugendlichen, die an einem Graffiti-Workshop teilnehmen, den der Deutsche Bundestag in Kooperation mit dem Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ und der Stiftung Berliner Mauer veranstaltet. 

Anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 sind die Schülerinnen und Schüler von drei Berliner Europa-Schulen eingeladen, sich künstlerisch mit diesem Tag auseinanderzusetzen, der für die einen der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus ist, für andere noch immer ein Tag der Kapitulation und deutschen Niederlage. Was bedeutet er für junge Menschen heute? Warum ist es sinnvoll, sich an den Tag zu erinnern? 


„Ausgehend vom Kampf um den Reichstag haben wir uns mit dem 8. Mai und seiner Bedeutung beschäftigt.“
Geschichtspädagoge Felix Hampel

Gerade die unterschiedliche Wahrnehmung des Tages, ihre Wandlung im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte und die verschiedenen Perspektiven in Europa spielten eine besondere Rolle, als sich die Jugendlichen bereits an einem ersten Workshop-Tag Ende April mithilfe von historischen Dokumenten in die Geschichte der letzten Tage und Wochen des Krieges einarbeiteten. „Ausgehend vom Kampf um Berlin haben wir uns mit dem 8. Mai und seiner Bedeutung beschäftigt“, erklärt Geschichtspädagoge Felix Hampel, der die Jugendlichen dabei begleitet hat.  

Sowjetische Graffitis dienen den Jugendlichen als Inspiration

Zu den Dokumenten, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler befassten, gehörte nicht nur Richard von Weizsäckers berühmte Rede vom 8. Mai 1985, die heute als Meilenstein der deutschen Erinnerungskultur gilt. Auch mit Jewgeni Chaldejs ikonischem Foto vom Hissen der Sowjetflagge auf dem Reichstag und vor allem den Graffiti, welche die Rotarmisten im Inneren des Gebäudes hinterließen, setzten sich die Jugendlichen auseinander. 

Für die Schülerinnen und Schüler, die sich nun selbst mit Spraydose, Pinsel und Markerstift ans Werk machen, sind die Graffiti auch eine Inspiration: „Dass es dort diese alten Inschriften gibt, war schon sehr beeindruckend, berichtet ein Teilnehmer. „Ich konnte mir die Stimmung richtig gut vorstellen, die damals geherrscht haben muss, als die Soldaten die Wände vollgeschrieben haben.“ 

Kunstwerke setzen sich mit den Kriegen der Vergangenheit und Gegenwart auseinander

Mit der Geschichte des Nationalsozialismus sind viele der Jugendlichen vertraut, doch manche Einzelheit ist für sie doch neu und überraschend: „Die Schlacht um Berlin dauerte zwei Wochen. Das wusste ich vorher nicht“, sagt zum Beispiel Leo. Wohl aber, wie blutig sie war. Schätzungen zufolge fielen dabei 170.000 Soldaten, weitere gut 500.000 wurden verletzt. Auch zehntausende Zivilisten verloren ihr Leben.


„Unsere Erde steht in Flammen und wir haben es in der Hand, für Frieden zu sorgen.“
Workshop-Teilnehmer Tristan

Dass es auch heute vielerorten Krieg auf der Welt gibt, in der Ukraine, aber auch in Gaza, daran soll das Graffiti erinnern, an dem der 16-Jährige Tristan arbeitet: Es zeigt den blauen Planeten. „Unsere Erde steht in Flammen“, erklärt er. „Und wir haben es in der Hand, für Frieden zu sorgen.“ Er hat eine Schablone in Form des Reichstagsgebäudes angefertigt, die er unterhalb des Erdballs auf der Tafel zu befestigen versucht. Eine Mahnung, nicht nur an die Abgeordneten.

Graffiti werden in der Kuppel des Reichstagsgebäudes ausgestellt

Ihnen werden Jugendlichen das Ergebnis ihrer Arbeit bald zeigen können: Im Anschluss an die Gedenkstunde des Bundestages am 8. Mai können sie ihre Graffiti zunächst den Mitgliedern des Bundestagspräsidiums zu präsentieren. Ab dem 9. Mai werden sie zwei Wochen lang unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes ausgestellt. 

Für Leo und Farida-Alexandra ein „aufregender Moment“. Per persönlichem Anschreiben von der Bundestagspräsidentin zum Workshop und der Gedenkstunde ins Parlament eingeladen worden zu sein, hat die beiden Schülerinnen beeindruckt: „Es ist schön, einen Beitrag zum Gedenken an den 8. Mai leisten zu können.“

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