Daueraufgabe Bürokratieabbau : So wollen Experten den Genehmigungsstau lösen
Bürokratische Hürden bremsen den Bau von Straßen, Schienen und Brücken. Wie Projekte schneller realisiert werden können, dafür haben Bauexperten viele Ideen.
Wenn die Bundestagsabgeordneten ein Beispiel für ein schier endloses Verkehrsprojekt suchen wollen, werden sie ganz in der Nähe des Reichstagsgebäudes fündig. Dort baut die Deutsche Bahn seit Jahren an der unterirdischen S-Bahn-Linie S21, die den Nordbahnhof mit dem Berliner Hauptbahnhof verbinden soll.
Die Planung für die nur wenige Kilometer lange Strecke geht auf das Jahr 1992 zurück und mit dem Bau begonnen wurde 2011. Doch bis heute verkehrt kein Zug auf der Linie - den zuletzt angekündigten Eröffnungstermin im ersten Quartal dieses Jahres hat die Bahn ohne Angabe eines neuen Datums abgesagt.

Aufwändige Planungsverfahren verzögern oft Infrastrukturprojekte. Im Bild: Aktenordner zum Planfeststellungsverfahren für den Fehmarnbelt-Tunnel, gegen den es zahlreiche Klagen gab.
Die S21 mag ein extremes Beispiel sein, doch auch viele andere Schienen- und Straßenbauprojekte beanspruchen viel Zeit. "Vom Planungsstart bis zur Inbetriebnahme vergehen bei Neu- und Ausbauprojekten der Schiene derzeit im Schnitt rund zwanzig Jahre", stellt Felix Pakleppa fest, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB). Beim Bau von Bundesfernstraßen dauert es nach seinen Angaben meist mehr als zehn Jahre bis zur Fertigstellung, von denen etwa 85 Prozent auf die Planung entfällt. "Der entscheidende Hebel für mehr Tempo", sagt Pakleppa, "liegt also in schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren."
Mehrere Kommissionen haben Vorschläge gemacht, um die Verfahren zu verbessern
Dabei ist es wie so oft: Das Problem ist bekannt, doch die Lösung schwierig. Bereits 2015 legte die Reformkommission "Bau von Großprojekten" ihren Endbericht vor, in dem sie einen Kulturwandel bei der Planung und Realisierung von Großprojekten forderte. 2022 folgte der Abschlussbericht der Beschleunigungskommission Schiene mit der zentralen Empfehlung, für kleinere und mittlere Maßnahmen den Umfang der Genehmigungsverfahren zu reduzieren.
2023 schlossen Bund und Länder einen "Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung". Teil dieses Pakts ist das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz, das das Ziel verfolgt, Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Ausbau wichtiger Schienenstrecken und Straßenprojekte zu vereinfachen. So schreibt es für besonders wichtige Schienenprojekte einfachere Regeln beim Artenschutz fest.
Tatsächlich habe das Gesetz Verbesserungen gebracht, sagt ZDB-Hauptgeschäftsführer Pakleppa und nennt als weiteres Beispiel dafür die Befreiung von der Planfeststellung bei Ersatzneubauten von Brücken. Das reiche aber nicht aus. Wichtig wäre es, so Pakleppa, Planfeststellungsverfahren bei Ersatzneubauten zu streichen. Denn durch das aufwendige Verfahren entstünden Verzögerungen. "Im Einzelfall sollte das schnellere Plangenehmigungsverfahren genutzt werden", fordert er. Außerdem plädiert er für eine Stichtagsregelung bei Einsprüchen und eine Einschränkung des Verbandsklagerechts.
Planung von Schienenprojekten dauert in Deutschland überdurchschnittlich lang
Auch für Dirk Flege, den Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, reicht das Beschleunigungsgesetz nicht aus, um bei Planung und Umsetzung von Schienenprojekten einen Durchbruch zu erzielen. Diese dauerten in Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich lang, bedauert er.
Die Gründe: Zum einen fehle es fast immer an einer durchgehenden Finanzierung von der Planung bis zur Umsetzung, was zu langen Verzögerungen führe. "Zum anderen", führt Flege aus, "bremsen Doppelprüfungen, etwa bei Nutzen-Kosten-Untersuchungen, den Prozess zusätzlich". Deshalb sei es positiv, dass im Koalitionsvertrag der Verzicht auf Nutzen-Kosten-Untersuchungen bei Streckenelektrifizierungen angekündigt sei.
„Einfache Ersatzbauten werden bürokratisch wie Großprojekte behandelt.“
Für viele Bauprojekte sehe es aber weiterhin ernüchternd aus, konstatiert Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Zu oft seien Verfahren noch immer papierbasiert, was für alle Beteiligten Zeitverlust bedeutet. Außerdem müssten Projekte meist mit Dutzenden Stellen abgestimmt werden, wobei jede Stelle eigene Abläufe habe und keinen verbindlichen Fristen unterliege. Ein weiteres Problem, so Müller: "Einfache Ersatzbauten werden bürokratisch wie Großprojekte behandelt, was zu unnötigen Umweltprüfungen, langen Planfeststellungsverfahren und unübersichtlichen Abstimmungsschleifen führt."
Tim-Oliver Müller bezeichnet die bislang angestoßenen Reformen deshalb als "Leuchttürme": Es gebe zwar Fortschritte in Einzelfällen, aber keine breite "Straßenbeleuchtung" für alle Projekte. Damit Bauvorhaben zukünftig schneller realisiert würden, brauche es weitere Maßnahmen, darunter eine konsequente Digitalisierung und Standardisierung aller Verfahren sowie klare Zuständigkeiten. "Für jedes Großprojekt", fordert Müller, "muss es eine zentrale Ansprechstelle geben, die den gesamten Ablauf steuert, bündelt und koordiniert."
Verbände fordern Reform von Vergabeverfahren
Einen weiteren Ansatz zur Beschleunigung sehen die Interessenvertreter im Vergabeverfahren. Derzeit schreibt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor, dass Projekte der öffentlichen Hand grundsätzlich in Fach- und Teillosen, also in kleineren Auftragseinheiten aufgeteilt nach Fachgebiet und Menge, vergeben werden.
Müller, dessen Bauindustrieverband die Interessen großer Baufirmen vertritt, plädiert dafür, von diesem Losaufteilungsgebot abzurücken und stattdessen auf Gesamtvergaben zu setzen. Das würde es ermöglichen, Schnittstellen und Risiken zu reduzieren, Störungen im Bauablauf zu vermeiden und Innovationen in den Bau- und Planungsprozess einziehen zu lassen.
Ganz anders sieht das Felix Pakleppa, in dessen Verband mittelständische Unternehmen organisiert sind. Er fordert, vom Grundsatz der Fach- und Teillose nicht abzuweichen. "Will man die immensen Bauaufgaben der kommenden Jahre bewältigen", argumentiert er, "gelingt das nur, wenn man die vielen tausend mittelständischen Unternehmen durch eine mittelstandsgerechte Auftragsvergabe einbezieht.
Schnellere Planung und Genehmigung

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