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Steueränderungsgesetz : Die Wissenschaft sieht die Gastro-Steuer skeptisch

Volkswirte lehnen die Senkung der Umsatzsteuer in der Speisegastronomie ab. Einer sieht das anders. Er sagt: Gemeinsames Essen in Wirtshäusern schafft Sozialkapital.

04.12.2025
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4 Min

Ein Ökonom sieht die Sache dann doch anders als das Gros seiner Zunft. Das freilich gesteht Justus Haucap, Professor für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, selbst zu. In seiner Stellungnahme zu einer Anhörung des Tourismus-Ausschusses vom 15. Oktober 2025 zur "Lage im Gastgewerbe" widmet sich der Wirtschaftswissenschaftler der Frage, ob für Speisen in der Gastronomie künftig nur noch der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gelten solle statt der normalen 19 Prozent.

Genau diese Maßnahme hat der Bundestag nun mit dem Steueränderungsgesetz beschlossen. Ökonom Haucap schreibt: "Unter vielen meiner Ökonomen-Kollegen findet insbesondere die geplante Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 auf sieben Prozent wenig Zustimmung. Ich habe hier allerdings eine dezidiert andere Perspektive."

Positive Auswirkungen von gemeinsamem Essen auf das Sozialkapital einer Gesellschaft

Haucap begründet dies unter anderem damit, dass Tischgemeinschaften und gemeinsames Essen positive Auswirkungen auf das Sozialkapital einer Gesellschaft haben. Er nennt eine Arbeit des amerikanischen Soziologen E.C. Moore, der bereits 1897 anlässlich der Diskussionen über eine mögliche Alkoholprohibition in den USA auf den "sozialen Wert des Saloons" verwiesen habe. Der englische Titel der Arbeit lautete: "The Social Value of the Saloon". Freilich verhinderte diese Arbeit nicht, dass es in den Jahren 1920 bis 1933 in Amerika zum Alkoholverbot kam.

Foto: picture alliance / Westend61

Getränke sind ausgenommen: Für Speisen in der Gastronomie soll künftig der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten. Wirtschaftswissenschaftler stehen dieser Maßnahme jedoch überwiegend kritisch gegenüber.

In Deutschland hätten sich vor allem die beiden Soziologen Franz Dröge und Thomas Krämer-Badoni mit der bedeutenden Rolle von Gaststätten in der Sozialisierung der Arbeiterschaft seit der industriellen Revolution und der Studentenschaft nach 1949 sowie mit der Bedeutung von Wirtshäusern als aus soziologischer Sicht relevante gesellschaftliche Institution befasst, allerdings liegt das auch schon 38 Jahre zurück.

Ökonomin: Ausnahmen vom normalen Steuersatz müssten gut gerechtfertigt sein

"Unter Ökonomen führt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den sozialen Funktionen des Gaststättengewerbes zu meinem Bedauern ein kümmerliches Dasein", gesteht Haucap zu, verweist aber auf einen Essay aus dem Jahr 1997 von Albert O. Hirschman. Darin beschreibe dieser "die soziale Funktion des gemeinsamen Essens - der Tischgemeinschaft - als einen Anlass, bei dem sich das Private und das Öffentliche vermischt". Im Detail gehe Hirschman in dem Beitrag den vielfältigen öffentlichen und kollektiven Handlungen nach, die mit dem Vorgang des gemeinsamen Essens und Trinkens verknüpft sind, und nenne konkret die soziale und politische Funktion des gemeinsamen Tafelns für das Gemeinwesen.

Zurück im Jahr 2025 argumentiert Haucap: Wenn der Gesetzgeber Speisen zum Mitnehmen, für die der ermäßigte Steuersatz ohnehin gilt, günstiger besteuere als den Verzehr von Speisen in einem Restaurant, dann bringe er "zumindest indirekt seine Wertung zum Ausdruck, dass ein Verzehr vor Ort - trotz aller Ausführungen oben zum Thema Sozialkapital - weniger wünschenswert ist als der Rückzug ins Private und der Verzehr von Speisen zuhause ('to go')".


„Unter Ökonomen führt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den sozialen Funktionen des Gaststättengewerbes zu meinem Bedauern ein kümmerliches Dasein.“
Ökonom Justus Haucap

Anders als Haucap findet die sogenannte Gastro-Steuer in der Ökonomen-Zunft wenig Zuspruch. Volkswirte lehnen die Steuersenkung überwiegend ab. So beurteilte Dominika Langenmayr, Professorin für Finanzwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, den Sachverhalt in der Anhörung des Tourismus-Ausschusses auch völlig anders als Haucap. Aus ihrer Sicht hat "die Gastronomie kein grundlegendes Problem, das eine Subventionierung in Höhe von mehreren Milliarden im Jahr rechtfertigen würde". Denn: "Die Branche hat sich insgesamt sehr gut von der Pandemie erholt."

Ausnahmen vom normalen Steuersatz (19 Prozent) müssten gut gerechtfertigt sein, mahnt die Ökonomin. So lasse sich der ermäßigte Satz bei Lebensmitteln, die in Geschäften verkauft würden, damit begründen, einkommensschwache Haushalte zu entlasten. "Im Fall der Gastronomie überzeugt dieses Argument nicht, denn vor allem wohlhabendere und kinderlose Haushalte gehen essen." Mit Blick auf die zu erwartenden Steuermindereinnahmen infolge der Senkung der Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie schreibt Langenmayr: "Spezialfälle wie Kindergarten- und Schulessen könnte man gezielt regeln, ohne dafür auf ein Steueraufkommen von mindestens 3,6 Milliarden Euro im Jahr zu verzichten."

Dullien: Maßnahmen müssen auf Wachstum zielen

Zudem würden mit der Reform allenfalls umsatzstarke Betriebe entlastet, wenn sie die Steuersenkung nicht an ihre Kunden weitergeben. Die fänden sich aber vor allem in Metropolregionen. "Traditionelle Gaststätten im ländlichen Bereich profitieren relativ wenig, da sie niedrigere Umsätze haben", argumentiert Langenmayr.

In einer Anhörung des Finanzausschusses bestätigte sich das Eingeständnis Haucaps, dass er in seiner Zunft eine Minderheitenposition vertrete. So erklärte dort Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie bei der Hans-Böckler-Stiftung, dass Maßnahmen in der jetzigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands darauf abzielen sollten, Wirtschaftswachstum zu generieren. Ihm sei nicht klar, wie die Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie dazu beitrage. Auch zur Anhebung der Entfernungspauschale auf 38 Cent ab dem ersten Entfernungskilometer äußerte Dullien sich kritisch.

Plädoyer für einen einheitlichen, niedrigeren Satz

In seiner schriftlichen Stellungnahme schreibt er zu den beiden Maßnahmen: "Sie begünstigen Haushalte mit hohem Einkommen. Es wird empfohlen, auf diese Maßnahmen zu verzichten." Stattdessen empfahl Dullien in der Anhörung eine Erweiterung des Mobilitätsgeldes und einer Erhöhung der steuerlichen Verpflegungspauschalen.

Fritz Söllner, Finanzwissenschaftler an der Technischen Universität Ilmenau, stellte den ermäßigten Steuersatz in der Gastronomie ebenfalls infrage und schlug vor, auf diesen zu verzichten und dafür den normalen Satz abzusenken. Das würde helfen, Abgrenzungsprobleme und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

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