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Deutschland will es Österreich gleichtun: Dort ist der digitale Führerschein bereits seit Ende 2022 Realität.

Mission modernes Deutschland : Ein Update für die Republik

Eine Reformagenda soll die grundlegende Erneuerung von Staat und Verwaltung anstoßen. Doch die Opposition hat Zweifel: zu viele Schlagworte, zu wenig Reformmut.

17.10.2025
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4 Min

Vor Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) liegt ein vergleichsweise dünnes Dokument: Seine Modernisierungsagenda umfasst nur 34 Seiten, formuliert aber den Anspruch, den größten Umbau des Staates seit Jahrzehnten einzuleiten. Der Haken: Die Agenda soll auf einem System laufen, das einen konstanten Papierstau verzeichnet und seit Dekaden nicht neu gestartet wurde.

Die Modernisierungsagenda für Staat und Bundesverwaltung, die der Minister am Freitag erstmals im Parlament vorstellte, ist für Wildberger die Arbeitsgrundlage der Koalition. Sie soll nicht nur auf die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit Deutschlands einzahlen, sondern auch für mehr Bürgernähe und Vertrauen in den Staat sorgen, betonte Wildberger. Derzeit scheitere es "weniger am Willen als am Machen", sagte er. Dies werde sich nun mit "einem klaren Umsetzungsfahrplan, einem festen Zeitrahmen und messbaren Zielen" ändern.

Reduktion der Bürokratiekosten um 25 Prozent geplant

Mit zwei Dutzend Hebelprojekten und 80 Einzelmaßnahmen will Wildberger Bürokratie "national und auf EU-Ebene" konsequent abbauen, Verwaltungsvorgänge beschleunigen und die Servicequalität für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen bis zum Ende der Legislaturperiode "spürbar" verbessern. Dazu müssten Strukturen verschlankt und Ressourcen gezielt eingesetzt werden, so der Tenor der Agenda. So soll unter anderem die Zahl der Bundesbehörden verringert, der Personalbestand um acht Prozent und die Sachkosten um zehn Prozent gesenkt werden.


Ronja Kemmer am Rednerpult
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„Kein PDF mehr zum Ausdrucken, keine doppelten Eingaben und keine 16 Plattformen, sondern ein Login, ein Datensatz, ein Vorgang.“
Ronja Kemmer (CDU)

Die Bürokratiekosten will die Bundesregierung um 25 Prozent reduzieren, was sich bis zum Ende der Legislaturperiode auf 16 Milliarden Euro summiert. Der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats, Lutz Goebel, bescheinigte Wildbergers Haus am Mittwoch im Digitalausschuss "ambitionierte, aber erreichbare" Zielmarken und betonte, dass eine starke Steuerung durch das Digitalministerium und das Kanzleramt nötig sei. Erfolg werde sich nur einstellen, wenn alle Ministerien mitmachten, sagte Goebel mit Blick darauf, dass einige Ministerien "sehr zurückhaltend" mit Vorschlägen für Bürokratieabbau seien.

„24h-Gründung“ von Unternehmen über zentrales Onlineportal soll kommen

Die Agenda definiert fünf zentrale Handlungsfelder, berichtete der Minister: spürbarer Bürokratierückbau, bessere Rechtsetzung, bürger- und unternehmenszentrierter Service, zukunftsgerichtete Personalentwicklung und eine effizientere Bundesverwaltung. 23 "Hebelprojekte" sollen eine schnelle und spürbare Entlastung schaffen. 

Dazu gehören unter anderem die Zentralisierung der internetbasierten Fahrzeugzulassung beim Kraftfahrt-Bundesamt, der digitale Führer- und Fahrzeugschein, die Möglichkeit der "24h-Gründung" von Unternehmen über ein zentrales Onlineportal sowie ein neuer Direktauszahlungsmechanismus für staatliche Leistungen an die Bürgerinnen und Bürger. Damit soll der Bund künftig Geld ohne Umwege an die Bürger überweisen können - ein Punkt, der etwa bei den Corona-Hilfen in der Pandemie nicht möglich gewesen war.

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Vor allem beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) will die Bundesregierung Tempo machen. Vorgesehen sind eine Rechtsgrundlage für den Erlass vollautomatisierter Verwaltungsakte, KI-gestützte Verfahren, beispielsweise in der Visumserteilung, sowie der Einsatz agentischer KI in der Umweltverwaltung.

Knackpunkt bleibt vor allem die Umsetzung: In allen Handlungsfeldern sollten, "wo es nötig und möglich ist", gemeinsam Standards erarbeitet und zur Verfügung gestellt werden. Lösungen sollen skalierbar gemacht und die Nachnutzung beworben werden. Das spielt auf einen zentralen Punkt an: Wie schon eine Reihe von Bundesregierungen vor Schwarz-Rot erfahren musste, stellt auf dem Weg zum digitalen Deutschland vor allem der Umgang mit dem Föderalismus eine Hürde dar. Auch deshalb soll der Modernisierungsagenda Bund zeitnah eine föderale Modernisierungsagenda folgen, kündigte Wildberger an. Diese soll Anfang Dezember von der Ministerpräsidentenkonferenz verabschiedet werden

AfD spricht von "Flickwerk" aus Einzelprojekten, die schon längst umgesetzt sein müssten

In der Debatte betonten Abgeordnete der schwarz-roten Koalition die Chancen der Agenda. Ein handlungsfähiger und effizienter Staat sei die Voraussetzung dafür, dass Menschen wieder Vertrauen fassten, betonte der SPD-Parlamentarier Armand Zorn. Er bat alle Akteure darum, gemeinsam "mehr Speed zu suchen", um bei der Umsetzung schneller zu werden. 

Auch Ronja Kemmer (CDU) sagte, der Staat müsse den Menschen mehr vertrauen - auch, um selbst wieder Vertrauen zurückzugewinnen. "Kein PDF mehr zum Ausdrucken, keine doppelten Eingaben und keine 16 Plattformen, sondern ein Login, ein Datensatz, ein Vorgang", skizzierte die Digitalpolitikerin die Zielsetzung der Agenda.

Das will Schwarz-Rot mit der Agenda angehen

🏛️  Maßnahmen in den fünf Handlungsfeldern spürbaren Bürokratierückbau, bessere Rechtsetzung, bürger- und unternehmenszentrierten Service, zukunftsgerichtete Personalentwicklung sowie eine effizientere Bundesverwaltung sollen laut den Regierungsplänen zu Verbesserungen für Bürger und Unternehmen führen.

📑 Ziel der Agenda ist unter anderem, Bürokratie konsequent abzubauen, Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen und die Servicequalität für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen deutlich zu verbessern.

📱 Mit einer föderalen Modernisierungsagenda mit den Ländern soll Teil Zwei folgen. Diese soll bis Anfang Dezember gemeinsam mit den Ländern erarbeitet und von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen werden.



Ruben Rupp (AfD) bezeichnete sie hingegen als "großes Flickwerk" aus Einzelprojekten, die schon längst umgesetzt sein müssten, und forderte den Minister auf, weniger zaghaft gegen "das Bürokratiemonster EU" vorzugehen. Rupp betonte, er vermisse echte Strategien für die "revolutionären High-Tech-Herausforderungen" wie etwa Industrie 4.0 oder autonomes Fahren.

Grüne vermissen strategische Digitalisierungsvorhaben

Franziska Brantner (Grüne) betonte, dass konkrete Vorschläge für einen Neustart der Reformen auf dem Tisch lägen, etwa von der Initiative für einen handlungsfähigen Staat, dem Normenkontrollrat oder den Wirtschaftsweisen. "Warum trauen Sie sich nicht, mutig voranzugehen?", fragte sie den Digitalminister. Nötig sei etwa eine Deutschland-App, in der alle digitalen Verwaltungsleistungen enthalten seien, unterstrich Brantner.

Anne-Mieke Bremer (Linke) sagte, die Agenda lese sich "wie ein Start-up-Pitch" und könne als "Liebeserklärung an Großkonzerne" verstanden werden: "Es ist ein inhaltsarmes Schlagwort-Gewitter mit vielen wundersamen Versprechungen, das vor allem Investorinnen beeindrucken soll", monierte Bremer. Wie genau, unter welchen Bedingungen und mit welchen Standards und Verantwortlichkeiten die großen Digitalisierungsvorhaben und Effizienzsteigerung gelingen sollen, bliebe indes nebulös.

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