
Thomas de Maizière über den modernen Staat : "Ab in den Maschinenraum"
Der Ex-Bundesinnenminister hat mit Mitstreitern die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ gegründet. Mitte Juli legt sie ihren Abschlussbericht vor.
Herr de Maizière, als der Unternehmer Elon Musk in Washington D.C. mit seiner "Abteilung für Regierungseffizienz" (DOGE) loslegte - ertappten Sie sich beim Gedanken: Ein bisschen DOGE könnte Deutschland auch gebrauchen?
Thomas de Maizière: Nein. Wir haben unsere Arbeit mit der Haltung begonnen, dass dieses Land einen handlungsfähigen Rechtsstaat braucht, eine gute Verwaltung. Musk und Teile der Republikaner zeigen dagegen eine Staatsverachtung. Und das passt nicht zusammen. Wir haben konstruktive Vorschläge gemacht; was Musk vorschlägt, ist eigentlich nur destruktiv. Weniger Menschen, weniger Behörden, und das sei schon die Lösung - so etwas glauben wir nicht.
Ist es zu sehr heruntergebrochen, wenn man die Debatten über Staatsreformen in ein Abwägen von mehr oder weniger Staat kategorisiert?
Thomas de Maizière: Das ist eine alte Diskussion, die nicht weiterführt. Von diesen Begriffen wie "schlanker Staat" oder "moderner" Staat halte ich nicht viel. Was sollen diese Allegorien? "Modern" ist nur eine zeitliche Einordnung. Es geht doch darum: Der Staat muss das können, was er können soll. Das ist viel, und das kann er im Moment nicht. Er muss handlungsfähig sein, zuverlässig, in bestimmten Fragen auch schnell, effizient, vorhersehbar und wirksam. Diese Vokabeln beschreiben es besser.

Handlungsfähig, das klingt leicht einlösbar.
Thomas de Maizière: Dafür müssen wir uns aber noch strecken. Wir sind zu sorglos bei der Sicherheit. Wir sind zu langsam bei der Digitalisierung. Wir sind zu kompliziert bei Verfahren und Entscheidungsstrukturen. Und wir haben uns verheddert bei den Zuständigkeiten. Das ist schon eine klare und harte Analyse. Umso erfreuter sind wir, dass viele unserer Empfehlungen Bestandteil des Koalitionsvertrages geworden sind. Also, ab in den Maschinenraum!
Um im Maschinenraum effektiv zu werkeln, braucht man Vertrauen. Allerdings sinkt das allgemeine Vertrauen in den Staat. Warum?
Thomas de Maizière: Wir nennen das in dem Bericht ein Erwartungsparadoxon. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von dem Staat sehr viel oder zu viel. Und gleichzeitig trauen sie diesem Staat nichts zu. Das passt nicht zusammen. Umgekehrt hat die Politik viel versprochen, von dem sie wahrscheinlich überwiegend wusste, dass sie es nicht halten kann. Aber dieser Verdruss in wichtigen Teilen der Bevölkerung ist eher einer über die mangelnde Funktionalität des Staates - und weniger über die Demokratie an und für sich. Aus einer Staatsverdrossenheit kann aber schnell eine Demokratieverdrossenheit werden.
Im Bericht heißt es, dass die Veränderungen tiefgreifend sein sollen. Wie tief?
Thomas de Maizière: Das ist eine grundlegende Renovierung. Ein Schiff muss ab und zu auf die Werft, wird auseinandergenommen und neu zusammengelegt. Das Problem ist nur: Unser Schiff als Staatsschiff muss weiterfahren. Wir haben Krisen und brauchen schon jetzt Menschen in der Politik, die jeden Tag an der Lösung von Problemen arbeiten. Also verschieben wir grundlegende Veränderungen unserer Staatsstrukturen immer weiter, und das geht jetzt nicht mehr. Wenn Sie zum Beispiel 500 Milliarden Euro für eine marode Infrastruktur ausgeben wollen, müssen Sie nicht nur an die Bau- und Planungskapazitäten denken, sondern an alle Verfahren, die dahinterstecken. Wenn Sie diese nicht ändern, geht das Geld entweder nur in die Preise oder das Geld wird nicht ausgegeben.
Wie die Gesetzgebung besser werden kann
"Auf gute Gesetze kommt es an!": So beginnt das Kapitel zur Gesetzgebung im Zwischenbericht der Initiative. Gesetze seien im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat Grundlage allen staatlichen Handelns - ihre Verständlichkeit und Vollzugsfreundlichkeit seien entscheidend.
Klar und flexibel: Die Initiative fordert eine große Reform. Denn die Gesetzgebung sei zu komplex und produziere zuweilen Gesetze, die in der Umsetzung zu schwierig seien. Ziel müsse sein: klare, flexible und praxistaugliche Regelungen.
Zielgenauigkeit vorher prüfen: Weniger, dafür wirksamere Gesetze, seien nötig. Dazu sollen Standards für bessere Rechtsetzung eingeführt werden, inklusive Stresstests, um die Vollzugstauglichkeit und Zielgenauigkeit vorab zu überprüfen. Verpflichtende Evaluationen sollen die Wirksamkeit von Gesetzen systematisch überprüfen.
Plädieren Sie für einen holistischen Blick?
Thomas de Maizière: Wenn Fachärzte nicht zusammenarbeiten, dann verschreiben sie Medikamente, die sich gegenseitig ausschließen. Oder es wird von einem MRT zum nächsten geschickt, ohne dass man vielleicht auch mal grundlegende andere Dinge überlegt. Dieses Denken in Silos und Ressorts und in den Ebenen Bund, Länder und Kommunen hat dazu geführt, dass jeder seinen Vorgarten tapfer verteidigt, aber dass daraus kein gutes Ganzes wird.
Es gibt den Vorwurf, Berlin sei ein einziger Vorgarten, in dem Gesetzgebungsprozesse angeschoben werden, die sich dann an den Realitäten woanders stoßen.
Thomas de Maizière: Das hat weniger mit Silodenken zu tun, sondern mehr mit der Grundkonstruktion unseres Grundgesetzes. In anderen Staaten ist derjenige, der die Gesetze macht, auch für die Umsetzung verantwortlich. Das ist in Deutschland anders. Der Bund macht die Gesetze, und die Länder führen sie aus. Daran wollen wir nichts ändern - mit einigen Ausnahmen, etwa beim Thema Abschiebungen. Aber diese Arbeitsteilung führt dazu, dass im Bund geglaubt wird, mit der Verabschiedung des Gesetzes sei die Arbeit erledigt und die Wirklichkeit verändert. Die gesetzgebende und die umsetzende Ebene müssen also viel besser zusammenarbeiten. Dazu haben wir eine Reihe von Empfehlungen. Eine zum Beispiel bezieht sich auf Praxischecks: Das ist mehr als eine Verbändeanhörung. Man könnte in einer frühen Phase fragen: "Wie würde denn wirken, was wir beschließen wollen?"
„Weniger Menschen, weniger Behörden, und das sei schon die Lösung - sowas glauben wir nicht.“
Wen wollen Sie denn fragen?
Thomas de Maizière: Man wird nicht alle fragen können, aber exemplarisch ein paar große kreisfreie Städte und einige mittelgroße Landkreise im ländlichen Raum. Der Gesetzgebungsvorgang dauert dann vielleicht länger. Aber er wird besser. Im Bundestag gerät oft ein Gesetz aus dem Sinn, sobald es verabschiedet wird - das ist ein schönes Wortspiel, nicht wahr? Es gibt zweimal im Jahr im Deutschen Bundestag eine Woche lang Debatten, in denen bei der Haushaltsaufstellung Ressort für Ressort beraten wird, wie viel Geld zur Verfügung gestellt werden soll. Wie wäre es, wenn man einmal im Jahr eine Debatte führt, und zwar Ressort für Ressort, mit folgender Frage: Was ist aus dem Geld geworden, das der Bundestag zur Verfügung stellt? Welche Wirkung hatten Gesetze? Praxischecks und Wirkungsanalyse sind zwei zentrale Vorschläge, um diese Kluft zu überwinden, die ich beschrieben habe.
Wäre die Verlangsamung von Gesetzgebungsverfahren kein Problem?
Thomas de Maizière: Die ehemalige Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat bitterböse Briefe an die Regierung geschrieben: Die Beratungsdauer hat sich gegenüber den vorangegangenen Legislaturperioden halbiert, und zwar von 80 Tagen auf 40. Natürlich muss manches wegen irgendeiner Krise schnell gehen, keine Frage. Aber das muss die Ausnahme sein. Inzwischen hat man den Eindruck: Je wichtiger ein Gesetz, umso kürzer die Beratungsdauer. Gründlich gemachte Gesetze sind in der Regel besser und machen Nachbesserungen und hektisches Reparieren überflüssig.
Wie Gesetzgebung besser werden kann
Einheitliche Standards: Gesetze sollen häufiger mit Experimentierklauseln versehen werden, um neues Verwaltungshandeln zu erproben. Zudem schlägt die Initiative eine Vereinheitlichung von Begriffen und Standards über Ressorts hinweg vor, um Verständlichkeit und Kohärenz zu verbessern.
Mehr Zeit für Gesetze: Ein weiterer Vorschlag betrifft das parlamentarische Verfahren: Es brauche mehr Zeit für Beratung und Kontrolle, vor allem für Bundestag und Bundesrat, die derzeit unter hohem Zeitdruck stünden. Gesetzesentwürfe sollen früher vorliegen, Anhörungen verbindlicher werden.
Vertrauen statt Überregulierung: Insgesamt zielt die vorgeschlagene tiefgreifende Reform auf eine klare, moderne Gesetzgebungskultur, die nicht mehr auf Überregulierung setzt, sondern auf Wirkung, Vertrauen und Umsetzbarkeit.
Sie waren lange in der Bundespolitik. Man hätte erwarten können: Die Initiative wird für eine Stärkung des Bundes im Föderalismus plädieren...
Thomas de Maizière: Teilweise ja, teilweise nein. Dieses Denken in Gewinner und Verlierer ist überholt. Es geht um die Lösung von Sachverhalten. Wir fordern immerhin auch Zentralisierungen: Wenn die Kommunen bei der Umsetzung von Gesetzen keinerlei Ermessen haben und die Dinge gleichförmig entschieden werden müssen, sollte der Bund das zentral organisieren und bezahlen - wie bei der Kfz-Anmeldung. Auch bei der Cybersicherheit muss der Bund eine Zuständigkeit bekommen. Umgekehrt wollen wir mit unseren Vorschlägen die Länder stärken: Sie sollen verbindliche Beschlüsse ohne den Bund fassen können.
Welche Empfehlung wird Ihrer Vermutung nach am wenigsten Akzeptanz in der Bevölkerung finden?
Thomas de Maizière: Was wir vorschlagen, betrifft meist die Ebene der Institutionen und geht nicht zulasten der Bevölkerung. Daher könnte man eher die Frage stellen: Was ist am unpopulärsten bei den Funktionsträgern? Das sind diese Kompetenzverschiebungen. Wir diskutieren zum Beispiel zurzeit stark über die Frage, ob in der Krise Masken überteuert gekauft worden sind. Den Sachverhalt möchte ich nicht bewerten. Im amerikanischen System hat, und es steht ja nicht im Verdacht, besonders marktwirtschaftsfern zu sein, in einer solchen Lage der Präsident das Recht, eine Firma anzuweisen, Masken zu einem bestimmten Preis zu produzieren. Eine solche Regelung gibt es in Deutschland nicht - nur im Katastrophenfall. Und der Bund ist für nationale Katastrophen nicht zuständig, was wir auch für falsch halten. Eine Ermächtigung für die Bundesregierung, gerne mit Zustimmung des Bundestages, in bestimmten Krisensituationen der Wirtschaft Vorgaben zu machen, würde bei der Wirtschaft wahrscheinlich nicht auf Wohlgefallen stoßen. Es wäre aber nötig. Und die Bevölkerung wäre wahrscheinlich eher dafür.
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