Nina Scheer im Interview : "Der Hochlauf kommt nicht von ungefähr"
Energiepolitikerin Nina Scheer (SPD) verweist auf die Erfolge Deutschlands bei den erneuerbaren Energien und warnt vor dem Aufweichen von Klimazielen.
Die deutsche Industrie steht im internationalen Wettbewerb enorm unter Druck, und als ein wesentliches Problem werden die vergleichsweise hohen Energiepreise genannt. Wie berechtigt sind diese Klagen?
Nina Scheer: Die Energiepreise sind einer von mehreren Faktoren, aber durchaus ein wesentlicher. Überall, wo man Arbeitsschutzstandards und ökologische Standards, aber auch Preisbestandteile wie Steuern und Netzentgelte hat, ist das auch immer wettbewerblich ein Faktor, solange es keine globale Verständigung gibt. Aber man darf sich natürlich deswegen nicht einem Dumping unterwerfen. Das sind genau die Herausforderungen, die man im globalen Wettbewerb nicht erst seit heute kennt. Bei den Netzentgelten schaffen wir nun durch Zuschüsse Entlastungen; auch durch Senkung der Stromsteuer, wenngleich erst mal nicht für alle. Auch die Gasspeicherumlage wird künftig steuerlich finanziert.
Nina Scheer ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Sehen Sie die Gefahr, dass dadurch, dass man auf eben diese Faktoren Rücksicht nimmt, der Klimaschutz ins Hintertreffen gerät?
Nina Scheer: Wir sprechen da in Bezug auf Klimaschutz akut in der politischen Diskussion die Preiselemente an, die sich aus der CO2-Bepreisung ergeben. Mit dem Emissionshandelssystem wurde eine Mehrstufigkeit vereinbart, die sich ab 2027 auf den Gebäude- und Verkehrssektor ausdehnen wird. Den Verkehrs- und Gebäudesektor haben wir allerdings auf nationaler Ebene schon früher abgebildet über das Brennstoffemissionshandelsgesetz. Und je greifbarer die Bepreisung wird über die verschiedenen Stufen, die wir seit Einführung des Emissionshandelssystems hatten, desto stärker wird so etwas dann natürlich auch in der Wettbewerbsfähigkeit spürbar. Die CO2-Bepreisung auf europäischer Ebene war über viele Jahre quasi das Synonym für Klimaschutz. Würde man das jetzt vertagen oder lockern, etwa weitere Emissionszertifikate kostenfrei verschenken, dann wäre das in diesem regulatorischen Kontext somit ein Minus an Klimaschutz.
Was wäre die Alternative?
Nina Scheer: Der Emissionshandel ist absolut nicht das einzige Instrument. Aus deutscher Perspektive kann man erkennen, dass mit der Entwicklung der Rahmenbedingungen, die den Umstieg auf erneuerbare Energien angereizt und erleichtert haben, vor 20 Jahren mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und auch schon dem Vorläufermodell, dem Stromeinspeisungsgesetz, auch ohne preisliche Belastung ganz praktisch Klimaschutz gemacht wurde. Die CO2-Bepreisung ist nicht alles. Aber wenn man kein Minus an Klimaschutz möchte, muss man dafür Sorge tragen, dass man, bevor man ein System beseitigt oder lockert, ersatzweise ein besser funktionierendes Instrument geschaffen hat.
„Man darf nicht den Fehler machen, immer nur auf ein Pferd zu setzen.“
Aktuell plant die Koalition, Kohlendioxid in den Grund unter der Nordsee zu verpressen. Sie haben sich in der Vergangenheit skeptisch gegenüber dieser CCS-Technik geäußert. Wie sehen Sie das heute?
Nina Scheer: Als SPD-Fraktion haben wir uns immer klar positioniert, dass wir der Vermeidung den Vorrang geben müssen, weil in ihr der echte Klimaschutz liegt. Für alle nach heutigem Stand der Technik vermeidbaren Emissionen wollen wir keine CCS-Technologien anwenden, weil man dadurch eine zusätzliche Hürde schaffen würde für alle Technologien, die uns helfen, CO2-Entstehung zu vermeiden. Aber bei schwer vermeidbaren Fällen, bei der Zementherstellung, aber auch bei der Müllverbrennung, kann es eine Option sein, wenn auch die Wiederverwertung nicht in Betracht kommt. Soweit unsere Positionierung. Wir haben aber im Koalitionsvertrag in vielen Bereichen Kompromisse eingehen müssen, und die Verständigung zu diesem Thema sieht vor, dass wir auch - und das sehen wir durchaus mit Sorge - bei Gaskraftwerken die Anwendung von CCS-Technologie ermöglichen wollen.
Schon die Ampelregierung wollte eine grüne Wasserstoffwirtschaft aufbauen, um die Industrie klimafreundlich zu machen. Dafür sind Milliarden an Fördergeldern geflossen. Die amtierende Bundesregierung hat nun ein Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz vorgelegt. Doch es mehren sich die Zweifel an dieser Technologie. Ist der Ruf nach grünem Wasserstoff Wunschdenken?
Nina Scheer: Man darf nicht den Fehler machen, immer nur auf ein Pferd zu setzen. Genauso wie man beim Umstieg auf alternative Energiegewinnung den Mix der Erneuerbaren Energien plus Speicher plus Flexibilitäten in den Blick nehmen muss, muss man sehen, dass es zur Speicherung von Energie verschiedenste Technologien gibt und auch immer neue hinzukommen werden. Wasserstoff ist eine Möglichkeit. Über die Elektrolyse kann Strom speicherbar gemacht werden und in verschiedenen Kontexten sektorübergreifend eingesetzt werden. Genau in dieser Vielseitigkeit liegt der Mehrwert von Wasserstoff. Demgegenüber steht die ökonomische Betrachtung. Es gibt Anwendungen, bei denen, auch teilweise entgegen Voraussagen, sich andere Technologien als schon besser einsetzbar erwiesen haben. So ist die Elektromobilität auf Basis von Batterien in großen Schritten vorangekommen. Je nachdem, wo politisch die Schwerpunkte gesetzt werden, wird entweder die eine oder die andere Technologie die Nase vorn haben.
„Weltweit ist im englischsprachigen Raum das deutsche Wort 'Energiewende' im Sprachgebrauch.“
Und wie würden Sie die Schwerpunkte setzen?
Nina Scheer: Wir sollten jedenfalls nicht eine Technologie, die im Mix der Alternativen zu fossilen Energieformen zur Verfügung steht und auch gut schon nach vorne gebracht wurde wie die Wasserstofftechnologie, jetzt aus Gründen von Verzögerungen oder aus Kostengründen hintenanstellen. Ich glaube, das könnte die Transformation wieder zurückwerfen.
Was aber können die deutschen und europäischen Bemühungen überhaupt bewirken, wenn man sieht, dass im Weltmaßstab der Verbrauch fossiler Brennstoffe noch immer nicht sinkt?
Nina Scheer: Eine rein verbrauchsorientierte Betrachtung halte ich für eine schiefe Betrachtung, alleine wenn man sich anschaut, welche Ausstrahlungswirkung das von mir erwähnte Erneuerbare-Energien-Gesetz weltweit hatte. China ist inzwischen Weltmarktführer in vielen Technologien der erneuerbaren Energien. Ohne die politischen Entscheidungen in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern wäre es dazu auch in China nicht gekommen. Der Hochlauf der Erneuerbare-Energien-Technologien, durchaus made in Germany, hat sich so schnell vollzogen, dass diese heute schon konkurrenzlos günstig sind, wenn Sie etwa die Gestehungskosten von Solarenergie und Windenergie betrachten. Natürlich muss man immer die Bereitstellung organisieren, dazu kommen die Speicher, der Netzausbau, gute Netzauslastungstechnik und gutes Netzauslastungsmanagement gehören dazu. Aber dieser Hochlauf kommt nicht von ungefähr. Weltweit ist im englischsprachigen Raum das deutsche Wort "Energiewende" im Sprachgebrauch. Das hat seinen Ursprung in den hiesigen politischen Entscheidungen. Und deshalb ist es auch jenseits einer Reduktion von Verbrauchszahlen immens wichtig, dass ein Land wie Deutschland immer versucht, die Nase vorn zu haben. Das bringt auch im weltweiten Kontext die entscheidenden Sprünge nach vorne.
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