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Pionierprojekt filtert CO2 aus Abgasen : Steiniger Weg zu grünem Zement

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Wie die Zementindustrie auf dieses Ziel hinarbeitet, zeigt der Baustoffhersteller Holcim in Höver. Ein Werksbesuch.

24.07.2025
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4 Min

Es ist laut, staubig und vor allem sehr warm. Noch gut zwei Meter vom Drehrohrofen entfernt ist die Luft so heiß wie in der Sauna. Aber damit gleichzeitig ziemlich kühl im Vergleich zur Temperatur darin: In dem 78 Meter langen und gut sechs Meter breiten, rostig braunen Rohr, das sich unablässig dreht, erhitzt eine 22 Meter lange Flamme feingemahlenes Mergelgestein auf 1.450 Grad, sodass es teilweise schmilzt. 

"Das ist wie in einem Vulkan", ruft Florian Trela, um den Lärm der Maschinen zu übertönen. Wenn sich das geschmolzene Gestein danach wieder verfestige und verdichte, entstehe Klinker, das Vorprodukt von Zement, erklärt der Prozessingenieur. Er leitet im niedersächsischen Höver eines von vier Zementwerken in Deutschland, die zum Schweizer Holcim Konzern gehören, einem der größten Baustoffhersteller weltweit.

Foto: Sandra Schmid

Beim Brennen von Zementklinker im Drehrohrofen entsteht viel CO2, das sich nicht vermeiden lässt - aber aus dem Rauch herausfiltern. Eine entsprechende Anlage planen Florian Trela und Lisa Büscher beim Baustoffhersteller Holcim in Höver.

Mit den Milliarden aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität dürfte die Nachfrage nach dessen Produkten steigen. Die Baubranche erwartet einen Auftragsboom. Für Holcim eine gute Nachricht. Damit es für das Klima auch eine wird, arbeitet das Unternehmen an der "grünen" Zementproduktion. Doch dazu gleich mehr.

Durch Zement als Bindemittel wird Beton hart und widerstandsfähig

Erst demonstriert Trela, wie Zementklinker aussieht: Schwarze Klumpen liegen in seinem Büro in einem Schraubglas bereit. Daneben im Glas: graues Pulver, Zement. Er entsteht, indem Klinker feingemahlen wird. So unscheinbar das Pulver aussieht, so unverzichtbar ist es, um Beton herzustellen. Und ohne Beton wären Hochhäuser und Brücken, aber auch Autobahnen oder Windräder gar nicht denkbar. Zement ist das Bindemittel, das Beton so hart und widerstandsfähig macht.

Doch Zement hat auch Nachteile: Für die Produktion braucht es viel Energie - gleichzeitig werden dabei enorme Mengen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. In Deutschland ist die Zementindustrie für rund drei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Damit gehört die Branche zu den emissionsreichsten in der Industrie. Nur Energiewirtschaft, Stahlwerke und Raffinerien sind noch schlechter für das Klima.

CO2-Emissionen sind bei der Zementproduktion unvermeidbar

Der Weg zur Klimaneutralität ist für Zementhersteller wie Holcim kein Spaziergang. Anders als viele andere Wirtschaftszweige muss die Zementindustrie nicht nur ihren Produktionsprozess auf andere Energieformen umstellen - was angesichts des hohen Energiebedarfs schon allein eine Herausforderung ist. Sie muss auch die Emissionen senken, die beim Brennen des Zementklinkers entstehen. "Sie entweichen unvermeidlich bei diesen hohen Temperaturen aus dem Gestein. Deshalb arbeiten wir daran, es aus dem Rauchgas herauszufiltern und einzufangen", erklärt Lisa Büscher, die bei Holcim ein Projekt zur membranbasierten Abscheidung von CO2 leitet.


„Das hat gezeigt, dass das Membran-Abscheidungsverfahren grundsätzlich in der Zementproduktion funktioniert.“
Lisa Büscher

In einem Besprechungsraum hat die Umwelt- und Verfahrenstechnikerin eine Präsentation vorbereitet. Sie zeigt, wie die Abscheidungsanlage aussehen soll, die bis zum Herbst auf dem Werksgelände entsteht. Die Rauchgase aus dem Kamin sollen dort durch Membranen, spezielle Trennschichten aus Polymeren, geleitet werden, die das CO2 herausfiltern. Mit einer kleineren Anlage ist es bereits gelungen, 45 Tonnen C02 im Jahr vom Rauchgas zu trennen. "Das hat uns gezeigt, dass das Membran-Abscheidungsverfahren grundsätzlich in der Zementproduktion funktioniert", sagt Büscher.

Die nächste Anlage soll das Verfahren ein Jahr lang in einem viel größeren Maßstab testen. Das Ziel: 10.000 Tonnen CO2 pro Jahr sollen abgeschieden werden. Das entspricht etwa 20 Prozent der jährlichen Gesamtemissionen des Zementwerks. Dabei arbeitet Holcim mit zwei Partnern zusammen: Dem Hersteller von Membranen zur CO2-Abtrennung, Cool Planet Technologies Limited, sowie dem Helmholtz-Zentrum Hereon.

Bis Anfang 2025 soll die CO2-Abscheideanlage fertig gestellt sein

Rund 1,4 Millionen Euro investiert der Konzern laut Werksleiter Trela in die Versuchsanlage - noch einmal die gleiche Summe gibt der Staat dazu. Das Projekt erhält Fördergeld aus der "Bundesförderung Industrie und Klimaschutz", mit der das Bundeswirtschaftsministerium die Dekarbonisierung der Industrie, darunter die Entwicklung und Anwendung von CCUS-Technologien zur Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO2, unterstützt.

Die Mittel dafür kommen aus dem Klimafonds, aus dem auch zum Beispiel die energetische Gebäudesanierung, der Aufbau einer Wasserstoffindustrie, erneuerbare Energien, Elektromobilität und Lade-Infrastruktur gefördert werden.

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Doch zurück zu Holcim: Dort, wo die CO2-Abscheideanlage entstehen soll, warten auf dem Werksgelände bereits unter Planen erste Rohre, Kessel und Mess-Equipment. Bis Anfang kommenden Jahres soll die Anlage in Betrieb gehen. Für Lisa Büscher und Florian Trela kein Grund, sich zurückzulehnen. Sie planen bereits die nächste Etappe auf dem Weg zum klimaneutralen Zementwerk. Denn: Wohin mit dem Kohlendioxid, das die neue Anlage schon bald tonnenweise aus dem Abgas filtert? Langfristig könnte es etwa in der Chemieindustrie Rohöl ersetzen. Doch bis es so weit ist, wird es dauern. Ein Markt für diesen neuen Rohstoff muss erst entstehen. Was also tun in der Zwischenzeit? Um die Frage zu beantworten, geht es im Fahrstuhl auf das Dach des höchsten Werksgebäudes. Von hier aus sieht man weit ins Umland: am Horizont die Stadt Hannover, davor Felder, die A7 - und den Mittellandkanal. "Dort, wo der grüne Bagger steht, soll das CO2 verladen werden", sagt Büscher und zeigt nach Westen.

Noch fehlen Rahmenbedingungen für CO2-Nutzung und Transport

Solange es noch kein Pipeline-Netz für den CO2-Transport gibt, bereitet sich Holcim darauf vor, es ab 2028 in Tanks nach Brunsbüttel zu verschiffen. Politik und Industrie planen, den Hafen der günstig an der Mündung der Elbe in die Nordsee gelegenen Stadt zum CO2-Umschlagpunkt auszubauen. "Ein Großteil könnte weiter nach Norwegen transportiert werden, um es dort übergangsweise unterirdisch einzulagern", sagt Trela.

Langfristig wolle man das CO2 aber anderen Industrien als Rohstoff anbieten. Noch sind Transport, Einlagerung und Nutzung von CO2 in Deutschland jedoch nicht erlaubt. Dass sich das mit der schwarz-roten Koalition ändert, darauf hoffen sie in Höver.

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