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Parlamentarische Kontrolle : Eine Armee im Auftrag der Demokratie

Auslandseinsätze, Rüstungsausgaben, Mandatsdauer: Der Bundestag kontrolliert die Streitkräfte - und stellt sicher, dass sie nicht zum Werkzeug der Regierung werden.

26.08.2025
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5 Min

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Soweit, so bekannt. Doch was heißt das genau? Was macht eine Armee zur Parlamentsarmee?

Eine Parlamentsarmee zeichne sich vor allem dadurch aus, dass das Parlament über ihren Einsatz entscheidet, sagt Steven Scholz, Major im Generalstabsdienst und derzeit Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bedeute das zum Beispiel für die deutschen Streitkräfte: Ohne Zustimmung des Bundestags kein Einsatz der Bundeswehr.

Foto: picture-alliance / ZB/ Bernd Settnik

Die Bundeswehr ist in einer Weise organisiert, die eine starke demokratische Kontrolle sicherstellt: Ohne Zustimmung des Bundestags kein Einsatz.

Der Bundestag muss mit Zweidrittelmehrheit über den Verteidigungs- und Spannungsfall entscheiden und mandatiert gemäß den Beschlussempfehlungen des Auswärtigen Ausschusses bewaffnete Einsätze im Ausland. Zudem bedeutet es - nicht weniger wichtig -, dass der Bundestag über den Verteidigungshaushalt und damit über die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr entscheidet. Und es bedeutet zudem auch noch, dass der Haushaltsausschuss alle Rüstungsausgaben über 25 Millionen Euro gesondert freigeben muss, dass der Verteidigungsausschuss sich jederzeit als Untersuchungsausschuss konstituieren kann und dass der Wehrbeauftragte über die Einhaltung der Rechte der Soldaten wacht und dem Bundestag jährlich einen Bericht vorlegt, über den dieser beraten muss.

Die starke demokratische Kontrolle der Armee ist historisch bedingt

"Eine Parlamentsarmee", resümiert Steven Scholz, "ist damit kein Werkzeug der jeweiligen Regierung, sondern Ausdruck einer wehrhaften und parlamentarischen Demokratie". Scholz markiert damit zugleich auch den Unterschied zu Armeen anderer Länder wie etwa den Vereinigten Staaten, deren Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und über ihren Einsatz entscheidet.

Dass die Bundeswehr dagegen in einer Weise organisiert ist, die eine starke demokratische Kontrolle sicherstellt, versteht Scholz als eine direkte Reaktion auf die historischen Erfahrungen mit der Reichswehr in der Weimarer Republik und der Wehrmacht im nationalsozialistischen Deutschland.


„Bei Gefahr in Verzug ist die Bundesregierung dennoch voll handlungsfähig und kann über den Einsatz der Bundeswehr schnell entscheiden.“
Major Steven Scholz

Während des Kalten Krieges war die Bundeswehr ausschließlich zur militärischen Abschreckung sowie zur Landes- und Bündnisverteidigung aufgestellt. Anfang der 1990er-Jahre, in einer veränderten Weltlage, sollte sich die Bundeswehr aber auch aktiv weltweit an bewaffneten Friedensmissionen in Krisengebieten beteiligen. Ob das Grundgesetz Auslandseinsätze außerhalb des Nato-Gebiets ("out of area") überhaupt zulässt, war umstritten. Am 12. Juli 1994 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Solche Auslandseinsätze der Bundeswehr sind verfassungskonform, bedürfen aber der Zustimmung des Bundestags. Das war die Geburtsstunde des Parlamentsvorbehalts.

Der Bundestag muss Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen

Eine gesetzliche Grundlage dafür wurde 2005 geschaffen: das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Demnach kann die Bundeswehr nur nach vorheriger Zustimmung des Bundestages ins Ausland entsandt werden - und die Bundesregierung kann bei der Planung multinationaler Einsätze Zusagen zur Beteiligung der Bundeswehr nur unter dem Vorbehalt parlamentarischer Zustimmung geben.

"Bei Gefahr in Verzug ist die Bundesregierung dennoch voll handlungsfähig und kann über den Einsatz der Bundeswehr schnell entscheiden", sagt SWP-Experte Scholz. Die Zustimmung des Bundestags müsse aber unverzüglich nachgeholt werden, das Parlament könne auch nachträglich Nein sagen und verfüge bei Nicht-Zustimmung sogar über ein Rückholrecht.

Regeln für Auslandseinsätze

✅ Auslandseinsätze der Bundeswehr bedürfen der Beteiligung und Zustimmung des Bundestags. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt diese Beteiligung. Wenn der beantragte Einsatz nicht nur von geringer Intensität und Tragweite ist, beginnen im Anschluss umfangreiche Beratungen im Bundestag. Anschließend kann das Parlament den Antrag annehmen oder ablehnen.

🔍 Neben dem Auswärtigen spielt der Verteidigungsausschuss eine wichtige Rolle, da er sich fortlaufend mit den geplanten wie bereits laufenden Einsätzen befasst. So lässt er sich regelmäßig durch die Bundesregierung über die Lage in den Einsatzgebieten unterrichten oder bereist sie selbst.

📝 Rechtzeitig vor Ablauf der Mandatsfrist muss die Bundesregierung beim Bundestag einen Antrag auf Verlängerung stellen. Stimmt das Parlament der Verlängerung des Einsatzes nicht zu, endet dieser.



Die Mitbestimmungsrechte des Bundestags nennt Scholz "sehr weitreichend". So hat die Bundesregierung den Bundestag über den Einsatzauftrag, das Einsatzgebiet, die rechtlichen Grundlagen des Einsatzes, die Höchstzahl der einzusetzenden Soldaten, die Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, die geplante Dauer des Einsatzes sowie dessen voraussichtliche Kosten und Finanzierung zu informieren.

Im Anschluss daran beginnen umfangreiche Beratungen des Antrags im Bundestag. Nach dem Abschluss dieser Beratungen kann das Parlament den Antrag der Bundesregierung entweder im Ganzen annehmen oder ablehnen. Änderungen am Antrag kann es nicht vornehmen. Ein Mandat wird immer mit einem zeitlichen Ablaufdatum erteilt. Dadurch, hebt Scholz hervor, gebe es immer wieder Gelegenheit für die Bundestagsabgeordneten, das Mandat inhaltlich zu überprüfen, neu zu bewerten und gegebenenfalls auch zu beenden. Üblich sind Verlängerungen um ein Jahr, aber auch kürzere oder längere Zeiträume sind möglich.

Hauptaufgabe ist die Verteidigung Deutschlands und seiner Verbündeten

Pläne und Entwicklungen zu möglichen Einsätzen werden nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen für Verteidigung und Haushalt mitgeteilt und debattiert. Und über den Wehrbeauftragten des Bundestages kann zum einen das Parlament direkt bis auf Truppenebene Einblicke in die Bundeswehr nehmen - und zum anderen können alle Soldatinnen und Soldaten sich mit Fragen und Beschwerden direkt an ihn wenden. "Dies garantiert den ständigen Austausch zwischen Truppe und Parlament", sagt Scholz.

Anders liegen die Dinge im sogenannten Verteidigungsfall, wenn "das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht", wie es im Artikel 115a des Grundgesetzes heißt. Artikel 115b stellt fest, dass in einem solchen Fall die Kommandogewalt über die Streitkräfte vom Verteidigungsminister auf den Bundeskanzler übergeht.

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Das Recht, selbst einen Krieg zu erklären, sieht das Grundgesetz nicht vor. Vielmehr ist in Artikel 26 festgehalten, dass "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten", verfassungswidrig sind und unter Strafe stehen.

Die Hauptaufgabe der Bundeswehr ist die Verteidigung Deutschlands und seiner Verbündeten. Sie umfasst die Landes- und Bündnisverteidigung sowie die Teilnahme an internationalen Friedensmissionen und humanitären Einsätzen. Außerdem beteiligt sie sich an der nationalen Krisenvorsorge.

Auch andere EU-Staaten setzen auf die Zustimmung des Parlaments

Das Modell der Parlamentsarmee ist, weltweit gesehen, eine Besonderheit, aber durchaus kein Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr. In der Europäischen Union ist die Zustimmung der nationalen Parlamente zum Einsatz der Streitkräfte überwiegend notwendig. Hierbei sind jedoch Zeitpunkt und Reichweite der Zustimmung teilweise unterschiedlich. 17 Länder in der EU - unter anderem Deutschland, Dänemark und Finnland - benötigen die Zustimmung des Parlaments vor dem Einsatz der Streitkräfte außerhalb der eigenen Landesgrenzen.

Demgegenüber stehen Länder wie Polen und Frankreich, bei denen die parlamentarische Beteiligung bei Einsatzentscheidungen nahezu keine Hürde für die jeweilige Regierung darstellt. So muss das französische Parlament innerhalb von drei Tagen nach der Entsendung von Truppen nur unterrichtet werden. Eine parlamentarische Zustimmung braucht es erst ab einer Einsatzdauer von vier Monaten.

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