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Rekordausgaben für Verteidigung : Das Ende der Friedensdividende

Nach dem Willen der Bundesregierung soll Deutschland seine Verteidigungsausgaben bis 2029 auf 153 Milliarden Euro steigern und so das Nato-Ziel vorzeitig erfüllen.

11.07.2025
True 2025-07-11T14:44:55.7200Z
5 Min

Mit 86,49 Milliarden Euro sollen Deutschlands Verteidigungsausgaben im laufenden Jahr auf einen neuen historischen Höchststand seit dem Ende des Kalten Kriegs anwachsen. Und damit nicht genug: Bis 2029, so verkündete es Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am vergangenen Mittwoch in der ersten Lesung des Wehretats im Bundestag, sollen die Ausgaben bis 2029 auf 153 Milliarden Euro ansteigen.

Damit würde Deutschland gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) des vergangenen Jahres das von der Nato auf ihrem Gipfel in Den Haag beschlossene Ziel, mindestens 3,5 Prozent des BIP für das Militär auszugeben, bereits sechs Jahre vor der ausgegebenen Zielmarke von 2035 erreichen. Dies entspricht recht genau dem, was die Bundesrepublik während der Hochphase des Kalten Krieges für Verteidigung aufgebracht hat. Weitere 1,5 Prozent des BIP sollen zudem für strategische und militärisch nutzbare Infrastruktur - beispielsweise das Verkehrswesen - investiert werden.

Foto: picture alliance/AP/Mindaugas Kulbis

Leopard-2-Kampfpanzer und Puma-Schützenpanzer im Manöver: Nach Presseberichten wird derzeit die Bestellung von bis zu 1.000 Kampfpanzern und 2.500 Radpanzern vom Typ Boxer in verschiedenen Varianten geprüft.

Bei Nato-Generalsekretär Mark Rutte stoßen die ambitionierten Ziele der Bundesregierung auf viel Lob: "Genau das ist die Entschlossenheit, die wir brauchen. Es ist richtig und auch sehr willkommen, dass Deutschland als führende europäische Macht bereit ist, den nötigen Beitrag zu leisten, um unsere gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten", betonte Rutte am Mittwoch in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).

Pistorius: Verteidigung ist "Staatsaufgabe mit höchster Priorität"

Der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses war anlässlich des Festaktes zur 70-jährigen Nato-Mitgliedschaft Deutschlands nach Berlin gekommen.


„Wir reparieren, was verschlissen ist, und wir bauen auf, was wir in dieser neuen Zeit brauchen: eine wehrhafte Nato.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)

Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete den Nato-Beschluss von Den Haag als "historisch" und "überfällig". Angesichts der Bedrohungslage durch "ein aggressives Russland mit unverkennbar imperialistischen Ambitionen" und des Umstandes, dass die USA über Jahrzehnte "den Löwenanteil" der konventionellen Abschreckungsfähigkeit in Europa übernommen hätten, müssten die Europäer mehr Verantwortung übernehmen. Ziel müsse es sein, die Vollausstattung der Bundeswehr und ihrer Durchhaltefähigkeit "möglichst schnell" zu erreichen. Verteidigung sei "keine Option, sondern Staatsaufgabe mit höchster Priorität", sagte Pistorius.

Rund 32 Milliarden Euro sind für militärische Beschaffungen veranschlagt

Konkret sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2025 eine Erhöhung des regulären Wehretats um 10,48 Milliarden Euro auf 62,43 Milliarden Euro vor. Weitere 24,06 Milliarden Euro sollen den Streitkräften aus dem Sondervermögen Bundeswehr zufließen. Die Personalkosten schlagen gemäß dem Regierungsentwurf mit 23,89 Milliarden Euro zu Buche. 9,79 Milliarden Euro sind für die Unterbringung (Kasernen und militärische Anlagen), 6,8 Milliarden Euro für den Materialerhalt und 1,19 Milliarden Euro für Wehrforschung, Entwicklung und Erprobung eingeplant. Für die Beschaffung von Ausrüstung und Munition sind im Verteidigungshaushalt 8,24 Milliarden Euro veranschlagt. Weitere 24 Milliarden sollen aus dem Sondervermögen für militärische Beschaffungen fließen.

Meinung

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Abgesehen davon, dass all die in den vergangenen Jahren bereits beschlossenen und zukünftigen Beschaffungsvorhaben auch realisiert werden können, treiben Verteidigungsminister Pistorius die akuten Personalprobleme der Bundeswehr um. Mit aktuell rund 182.000 Soldaten sind die Streitkräfte weit entfernt von der ursprünglich anvisierten Zielmarke von 203.000 Soldaten bis 2031. Zumal Pistorius nach den Beschlüssen der Nato zu den Fähigkeitszielen und gemäß den Vorgaben des "Operationsplans Deutschland" für den Krisen- und Verteidigungsfall davon ausgeht, dass die Bundeswehr mindestens 260.000 aktive Soldaten und 200.000 Reservisten benötigt.

Streit um die Reaktivierung der Wehrpflicht geht weiter

Und es ist fraglich, ob der von Pistorius angestrebte "neue Wehrdienst", für den er noch im Sommer einen entsprechenden Gesetzentwurf durch das Kabinett bringen will, ausreichen wird, um die Bundeswehr auf eine solche Sollstärke zu bringen. Denn vorerst setzt die Koalition vor allem auf die Gewinnung weiterer Freiwilliger durch eine Erhöhung der Attraktivität des Wehrdienstes.

An diesem Punkt setzt denn auch einer der Hauptkritikpunkte der AfD-Fraktion an. Ohne eine Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht werde es nicht gelingen, die benötigten Soldaten zu gewinnen, befand deren verteidigungspolitischer Sprecher, Rüdiger Lucassen. Seit elf Jahren versuche das Verteidigungsministerium durch Attraktivitätsmaßnahmen vergeblich, genügend Freiwillige für die Truppe zu gewinnen. Die Bundesregierung begehe erneut den Fehler, alle Probleme durch immer mehr Geld lösen zu wollen, statt dringend benötigte Reformen voranzutreiben. Dies betreffe das Beschaffungswesen der Bundeswehr ebenso wie die Personalgewinnung, monierte Lucassen.

Auch die Unionsfraktion tendiert zu einer Rückkehr zur Wehrpflicht. So stellte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), unmissverständlich klar: "Wir müssen noch in dieser Legislaturperiode in der Lage sein, wenn es die sicherheitspolitische Lage erfordert oder wenn es die Verteidigungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr notwendig machen, wieder auf die Wehrpflicht zurückzugreifen."

Doch beim Koalitionspartner SPD setzt man weiterhin vor allem auf Freiwilligkeit. Auf ihrem Parteitag hatte sie einen entsprechenden Beschluss gefasst: "Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind", heißt es da. Und so begnügte sich der SPD-Abgeordnete Andreas Schwarz mit dem lapidaren Hinweis: "Die Menschen müssen merken: Die Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber."

Grüne und Linken kritisieren überteuerte Rüstungsprojekte

Die Grünen wiederum nutzten die Debatte über den Wehretat, um die Koalition daran zu erinnern, dass es ihnen zu verdanken gewesen sei, dass noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages die Verteidigungsausgaben über eine Änderung des Grundgesetzes von der Schuldenbremse ausgenommen werden konnten. Umso mehr werde man jetzt "mit Adleraugen" darauf achten, dass das Geld nun auch "effizient und effektiv ausgegeben wird", kündigte Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) an. 

"Überteuerte Projekte, von denen nur Rüstungskonzerne profitieren" dürfe es nicht mehr geben. "Jetzt muss schnell das beschafft werden, was die Bundeswehr braucht, um unser Land sicherer zu machen, nicht weniger und nicht mehr", sagte Brugger. Wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordere, dass "ein Viertel der Milliarden" für Beschaffungen "gefälligst an die bayerische Rüstungsindustrie fließen" soll, dann sei dies "genau die falsche alte Denke, die zu Untersuchungsausschüssen und Rüstungsskandalen geführt hat", kritisierte die Abgeordnete.


„Das Geld geht vielfach in die Hände von Rüstungskonzernen, die jetzt die größten Aufträge in ihrer Geschichte bekommen.“
Dietmar Bartsch (Die Linke)

Für Dietmar Bartsch (Die Linke) sind der vorgelegte Verteidigungshaushalt und die angestrebten weiteren Erhöhungen schlichtweg "Wahnsinn". Während die Ausgaben immer weiter erhöht würden, spare die Koalition gleichzeitig drastisch bei der humanitären Hilfe, dies sei "unverantwortlich". In vielen Fällen komme das Geld im Verteidigungshaushalt auch gar nicht in der Truppe an, sondern lediglich bei der Rüstungsindustrie. So würden zwei Tankschiffe für die Marine zum Stückpreis für 450 Millionen Euro bestellt, vergleichbare Schiffe bei der britischen und bei der norwegischen Marine würden hingegen nur zwischen 140 und 210 Millionen Euro kosten.

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