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Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler
„Abgeschoben“ steht im Pass eines nach Pakistan abgeschobenen Mannes. In ihrem Koalitionsvertrag kündigen Union und SPD auch eine „Rückführungsoffensive“ an.

Asylpolitik der Bundesregierung : Schwarz-Rot setzt auf Migrationskompromisse

Grenzkontrollen, Doppelpass und sichere Herkunftsstaaten: Wie Union und SPD ihre Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zur Zuwanderungspolitik umsetzen.

09.10.2025
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5 Min

Es ist noch nicht lange her, da war die deutsche Migrationspolitik eines der ganz großen Streitthemen zwischen der SPD-geführten Ampel-Regierung und der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion, mit der höchsten Eskalationsstufe Ende Januar dieses Jahres, als die Union im Bundestag in Kauf nahm, Vorlagen zur "Migrationskrise" nur mit den Stimmen der AfD durch das Parlament zu bringen. Die Ampel-Koalition war damals schon geplatzt

Es folgte gut drei Wochen später die Bundestagswahl, der sich bis in den April ziehende Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD anschlossen. Dabei fanden sie im Anfang Mai unterzeichneten Koalitionsvertrag auch Kompromisslinien zur Migrationspolitik, die in dieser Woche mehrfach den Bundestag beschäftigten.

Bundesregierung setzt die Grenzkontrollen an allen Landgrenzen fort

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Nicht jedes der Vorhaben muss dabei noch vom Bundestag als Gesetz verabschiedet werden. Das gilt etwa bei den von der Union durchgesetzten Zurückweisungen auch von Asylsuchenden an den Grenzen. Hier konnten die Sozialdemokraten im Koalitionsvertrag lediglich etwas relativierend einfügen, dass diese Zurückweisungen "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" erfolgen sollten. Noch am Tag seines Amtsantritts am 7. Mai dieses Jahres ordnete der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verstärkte Kontrollen an den deutschen Landgrenzen an, bei denen auch Schutzsuchende zurückgewiesen werden können, mit Ausnahme von "erkennbar vulnerablen" Personen wie Kranken, Schwangeren oder unbegleiteten Kindern.

Seitdem hat die Bundespolizei bis Ende September insgesamt 15.642 Personen zurückgewiesen oder -geschoben, davon 871 Asylsuchende. Anfang Juni erklärte das Verwaltungsgericht (VG) Berlin diese Praxis in drei Fällen für rechtswidrig, doch blieb das Bundesinnenministerium bei seiner Linie und argumentierte, dass der Berliner Richterspruch nur in diesen drei Einzelfällen greife.

Grenzkontrollen an allen Landgrenzen hatte schon Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) Mitte September 2024 angeordnet. Seither haben sich die Zurückweisungen und Zurückschiebungen bis zum Beginn des laufenden Monats auf 37.628 summiert. Betrug die Zahl der bei diesen Grenzkontrollen pro Tag eingesetzten Bundespolizisten zunächst zirka 11.000, stieg sie laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Grünen-Anfrage seit der Intensivierung der Kontrollen am 8. Mai auf bis zu 14.000 täglich.

Aufnahmen und Abschiebungen von Afghanen

Im Koalitionsvertrag trägt auch die Ankündigung, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme zu beenden, trotz der Einschränkung "soweit wie möglich" überwiegend die Handschrift der CDU/CSU. Kontroversen gibt es seither insbesondere um Afghanen, die bereits eine deutsche Aufnahmezusage haben und in Pakistan auf ein Visum warten. Zu Beginn dieser Woche waren laut Bundesinnenministerium noch "zirka 1.900 Personen aus den Aufnahmeverfahren in Pakistan in der Unterstützung der Bundesregierung", die sich "in unterschiedlichen Schritten der laufenden Prüfungen im Ausreiseverfahren" befanden.

Nicht in jedem Fall werde auch ein Visum erteilt, fügte eine Sprecherin hinzu: Wo keine rechtsverbindliche Aufnahmezusage besteht oder die Personen nicht alle Voraussetzungen erfüllen, beispielsweise Sicherheitsüberprüfungen negativ verlaufen, werde "eine Aufnahme und damit auch eine Visumserteilung nicht stattfinden".

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Mehr Bewegung soll es nach dem Willen der Regierung künftig in die entgegengesetzte Richtung geben. "Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben - beginnend mit Straftätern und Gefährdern", heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Schon im Sommer 2024 waren zu "Ampel"-Zeiten 28 Straftäter nach Afghanistan abgeschoben worden; im Juli dieses Jahres folgte ein weiterer Abschiebeflug mit 81 Straftätern, und im Bundestag kündigte Dobrindt im September regelmäßige Rückführungsflüge in das Land an, entsprechende Gespräche in Kabul mit Taliban-Vertretern gab es in der vergangenen Woche.

Die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit gilt weiterhin

Die in den Koalitionsverhandlungen gefundene Verständigung beim jahrzehntelangen Streitpunkt "Doppelpass" dürften viele Sozialdemokraten auf der "Haben"-Seite verbuchen. Erst vergangenes Jahr hatte der Bundestag gegen die Stimmen auch der CDU/CSU das von der "Ampel" vorgelegte “Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts” verabschiedet, mit dem Deutschland den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aufgab; sie wird nunmehr generell hingenommen. Zugleich wurde eine Einbürgerung in der Regel bereits nach einem Aufenthalt in Deutschland von fünf statt vorher acht Jahren möglich, bei "besonderen Integrationsleistungen" auch schon nach drei Jahren.

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Das waren dicke Kröten für die Union, doch verständigte sie sich im Koalitionsvertrag mit der SPD darauf, von den Neuregelungen lediglich die Möglichkeit der "Turbo-Einbürgerung" nach dreijährigem Aufenthalt wieder zu streichen. An diesem Mittwoch nun beschloss der Bundestag diese Streichung gegen die Stimmen der Grünen und der Linken.

Mit einem weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag befasste sich zu Beginn dieser Woche der Innenausschuss in einer Anhörung, nämlich mit dem Gesetzentwurf der Koalition “zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung”. Die Einstufung eines Herkunftsstaates von Flüchtlingen als asylrechtlich "sicher" beschleunigt deren Verfahren, und nach einer Ablehnung ihres Antrags als offensichtlich unbegründet kann ihr Aufenthalt in Deutschland schneller beendet werden, wie die Koalition ausführt.

Koalition will die Liste sicherer Herkunftsstaaten ausweiten

Bislang erfolgt eine solche Einstufung per Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf – so steht es im Grundgesetz-Artikel 16a. Das will die Koalition auch nicht ändern, soweit es die Asylberechtigung im Sinne dieses Artikels betrifft, wohl aber für internationalen Schutz im Sinne der Paragrafen 3 und 4 des Asylgesetzes (Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention beziehungsweise subsidiärer Schutz), für den künftig die Bundesregierung einen Herkunftsstaat per Rechtsverordnung als sicher bestimmen können soll

In diese beiden Kategorien fallen die meisten Schutzberechtigten in Deutschland. So hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im ersten Halbjahr 2025 1.608 Menschen als asylberechtigt anerkannt, während 16.748 Flüchtlingsschutz und 2.634 subsidiären Schutz erhielten.

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Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD angekündigt, die Liste sicherer Herkunftsstaaten zu erweitern „und dazu auch die Möglichkeiten der GEAS-Reform“ auszuschöpfen. Begonnen werden soll mit Algerien, Marokko und Tunesien, deren Einstufung bisher mehrfach an den Grünen im Bundesrat gescheitert war, sowie mit Indien. „Eine entsprechende Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten prüfen wir fortlaufend“, heißt es im Koalitionsvertrag weiter. Eingestuft werden sollen danach insbesondere „Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt“.

Mit dem jetzt beratenen Gesetzentwurf soll zugleich die 2024 in Kraft getretene Regelung zur verpflichtenden Bestellung eines Rechtsbeistands in Verfahren über Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam aufgehoben werden – eine Bestimmung, die die Union stets scharf kritisiert hatte. 

Bereits beschlossen: die Aussetzung beim Familiennachzug

Bereits unter Dach und Fach ist von den migrationspolitischen Gesetzesvorhaben die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten  für zwei Jahre; der Bundestag hatte die entsprechende Vorlage schon im Juni trotz erkennbarer Bauchschmerzen der Sozialdemokraten auch mit deren Stimmen verabschiedet. Weiterhin möglich ist danach eine Familienzusammenführung in Härtefällen. Zugleich wurde mit der Neuregelung das Ziel der Begrenzung der Zuwanderung wieder ins Aufenthaltsgesetz geschrieben, das die "Ampel" erst 2023 daraus gestrichen hatte.

Bei dieser Begrenzung kann die Koalition mit Blick auf die Asylzahlen durchaus Erfolge vermelden: So wurden laut Bamf von Mai 2025 bis einschließlich September dieses Jahres 39.998 Asylerstanträge  registriert nach noch 89.047 im Vorjahreszeitraum, also weit weniger als die Hälfte. Freilich konnte auch die "Ampel"-Regierung bereits sinkende Antragszahlen verbuchen: Waren es im November 2023 noch 35.316 Erstanträge, sank diese Zahl bis April 2025 auf 9.108.