Neue Gedenkstättenkonzeption des Bundes : Erinnerungskultur bleibt umstritten
Kulturstaatsminister Weimer sieht die NS- und die SED-Diktatur als zentrale Themen. Grüne und Linke fordern hingegen die Berücksichtigung des Kolonialismus.
Die Erinnerung an dunkle Kapitel der deutschen Geschichte auch in kommenden Generationen wachhalten - das will die Bundesregierung mit ihrem neuen Gedenkstättenkonzept. Laut eigenem Bekunden wollen das auch alle Fraktionen, wie die Debatte am Mittwoch über die von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer vorgelegte "Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur" zeigte.
Doch dass die Gemeinsamkeit Grenzen hat, zeigt allein der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Antrag, in dem sie die Umsetzung des noch von der alten Bundesregierung im November 2024 vorgelegten Gedenkstättenkonzeptes fordert. Dieses Konzept der Ampelkoalition, das der Auflösung des Bundestages zum Opfer gefallen war, sollte insbesondere die deutsche Kolonialgeschichte in die staatlich geförderte Gedenkarbeit einbeziehen.
Immer weniger Zeitzeugen können aus erster Hand berichten
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer nannte das neue Gedenkstättenkonzept "ein Schriftstück mit friedensstiftender Funktion. Denn gerade die Erinnerungskultur sollte von Einvernehmen getragen sein und darf kein Experimentierfeld des Relativismus werden." 17 Jahre nach dem letzten Gedenkstättenkonzept eröffne es "neue digitale Wege der Bildungsarbeit und Forschung", auch weil immer weniger Zeitzeugen noch aus erster Hand berichten könnten. Das Konzept bekräftige eine dauerhafte Verantwortung, "die staatlich begangenen Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken". "Die Singularität der Shoah ist in unsere Gewissen eingraviert", betonte Weimer.
Eine Besucherin in der Ausstellung über die nationalsozialistische Diktatur des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors in Berlin. Auf dem Gelände befanden sich einst die Zentralen der Gestapo und des Sicherheitsdienstes (SD).
Zugleich bekenne sich die Bundesregierung "ohne Wenn und Aber" zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. "Dieses Unrechtsregime hat Menschen erniedrigt und gebrochen, hat ein Land eingemauert und Freiheit systematisch zerstört", hob Weimer hervor. Über beides "sollten wir in unserem Land nicht streiten". Der Staatsminister beklagte jedoch zunehmende Anfeindungen und Vandalismus in den NS-Gedenkstätten. "Es gibt einen Revisionismus der Fäuste und einen der Worte. Gegen beides müssen wir eintreten", forderte Weimer.
Die Entscheidung, entgegen dem Vorhaben der Vorgängerregierung den Kolonialismus nicht einzubeziehen, begründete Weimer so: "Ein Gedenkstättenkonzept zur NS-Zeit und SED-Diktatur ist keine Gesamtschau". Der deutsche Kolonialismus bekomme "nicht diesen, aber einen eigenen Platz in unserer Geschichtspolitik". Vor einer "Überfrachtung" des Konzepts warnte auch der CDU-Abgeordnete Johannes Volkmann.
Grüne und Linke bemängeln Ausblendung des Kolonialismus
Dagegen nannte es Marlene Schönberger (Grüne) einen "Rückschritt", dass die Erinnerung an die deutschen Kolonialverbrechen "völlig ausgeklammert" werde, obwohl Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg der drittgrößte Akteur des Kolonialismus gewesen sei. Unterstützung bekamen die Grünen in dieser Frage aus der Linken-Fraktion. Orte für Gedenkstätten gebe es genug, sagte David Schließing, "zum Beispiel dort, wo die Verbrechen geplant oder dort, wo die Kolonialtruppen verschifft worden sind". Wer die Kolonialgeschichte aus dem Gedenkstättenkonzept ausblende, "hat keine Ahnung von der deutschen Gegenwartsgesellschaft oder will, wie die AfD, zurück zu einer völkischen Realität", empörte sich Schließing.
Der SPD-Parlamentarier Holger Mann räumte ein, dass es Meinungsunterschiede innerhalb der Koalition gebe: "Als Sozialdemokratie hätten wir uns den Mut gewünscht, weitere Aspekte der aktuellen Forschung zu deutschen Staatsverbrechen wie dem Kolonialismus und auch einen angemessenen Gedenkort daran aufzunehmen." Dies solle nun zumindest in einem anderen Prozess geschehen. Ansonsten aber lobte Mann, dass sich das Konzept "neuen Herausforderungen der Vermittlungsarbeit" stelle: "Der Verlust von Zeitzeugen, die Digitalisierung, die Diversifizierung von Zielgruppen oder aber der schwierige bauliche Substanzerhalt von Gedenkstätten." Dabei bezog er sich unter anderem darauf, dass nach dem Konzept neue Wege der Gedenkarbeit für Menschen ohne familiären deutschen Hintergrund gegangen werden sollen. Manns Fraktionskollegin Franziska Kersten (SPD) bemängelte, dass laut Gedenkstättenkonzept die Einrichtung eines "Forums Opposition und Widerstand in der DDR" lediglich "geprüft" werden soll. Sie hätte sich gefreut, wenn Mittel dafür schon in den Bundeshaushalt 2026 eingestellt worden wären.
AfD sieht fehlende Unabhängigkeit der Gedenkstätten
Auch von Seiten der AfD-Fraktion wurde die Notwendigkeit betont, an die Verbrechen der NS-Zeit zu erinnern. Nicole Hess wies besonders auf eine "geschlechtsspezifische Dimension" der Verfolgung von Frauen "im nationalsozialistischen Terrorstaat ebenso wie im Unrechtsregime der SED" hin. Ronald Gläser allerdings bemängelte, dass es mit der im Konzept betonten Unabhängigkeit der Gedenkstätten nicht so weit her sei.
In Berlin sei der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, "von einem Konglomerat aus SPD, Grünen und Linkspartei, von einem linken Kultursenator, davongejagt worden unter fadenscheinigen Begründungen". Gläser äußerte den Verdacht, dass Kräfte in der Bundesregierung Gedenkstätten "missbrauchen wollen zu ihrem Kampf gegen Rechts". Besonders kritisierte er Sätze im Gedenkstättenkonzept wie "historische Fakten dürfen keiner Umdeutung ausgesetzt werden". Das seien "in Zeilen gedruckte Denk- und Sprechverbote". Den Grünen bescheinigte Gläser, mit ihrem Antrag einen "Sündenstolz" zu pflegen. Er forderte ebenso wie Hess mehr Erinnerung an positive Aspekte der deutschen Geschichte.
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