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Sebastian Schäfer im Interview : "Unser Land braucht dringend Investitionen in seine Zukunftsfähigkeit"

Der Haushaltsexperte befürchtet, dass der Länderanteil aus dem Sondervermögen lediglich zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt wird - und Kommunen leer ausgehen.

12.09.2025
True 2025-09-12T16:56:10.7200Z
5 Min

Herr Schäfer, den Ländern sollen 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen "Infrastruktur und Klimaneutralität" zugutekommen. Was sollte aus ihrer Sicht mit dem Geld geschehen?

Sebastian Schäfer: Sie sollten es vor allem an die Kommunen geben, damit die investieren können - und zwar zusätzlich, so dass unser Land vorankommt. Wir müssen viele Defizite beheben bei Brücken, bei der Schieneninfrastruktur, bei Straßen, bei öffentlichen Gebäuden. Wir müssen aber auch etwas tun, damit unser Wachstum vorankommt. Da helfen Sanierungen. Dafür braucht es aber vor allem echte neue Investitionen.

Diese Zusätzlichkeit ist jedoch im Gesetzentwurf nicht festgeschrieben, was unter anderen der Bundesrechnungshof moniert.

Sebastian Schäfer: Nein, die Länder bekommen stattdessen einen Blanko-Scheck und können mit dem Geld machen, was sie wollen.

Foto: Lena Lux

Sebastian Schäfer ist seit 2021 Mitglied des Bundestages und haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Was glauben Sie denn, wird tatsächlich mit den 100 Milliarden Euro passieren?

Sebastian Schäfer: Da auch die Länderhaushalte sehr eng sind, besteht die große Gefahr, dass damit Haushaltslöcher gestopft werden. Dabei gibt es eine große finanzielle Klemme bei den Kommunen. Das Defizit lag 2024 bei knapp 25 Milliarden Euro - gleichzeitig erkennt das KfW-Kommunalpanel Investitionsnotwendigkeiten von über 200 Milliarden Euro. Die Kommunen sind auf das Geld angewiesen. Anders als im Referentenentwurf geplant, wird aber gesetzlich nicht mehr vorgegeben, welcher Anteil mindestens durch die Länder an die Kommunen weiterzuleiten ist.

Wie erklären Sie sich diese Veränderung im Vergleich zum Referentenentwurf?

Sebastian Schäfer: Vor dem Sommer gab es steuerpolitische Entscheidungen wie den sogenannten Investitions-Booster, die auch zu Mindereinnahmen bei den Ländern führen. Das wird zwar durch den Bund kompensiert, aber der Gesetzentwurf schafft weitere Erleichterungen für die Länder. Das ist eine teure Morgengabe des neuen Bundeskanzlers an die Ministerpräsidenten, damit es harmonisch losgeht zwischen Bund und Ländern. Es geht aber darum, einen Mehrwert in unserer Infrastruktur zu schaffen - für unser Wirtschaftswachstum. Das kann nun unter die Räder geraten.

Leidtragende dieser Absprachen könnten die Kommunen sein. Baut sich da eine neue Front auf: auf der einen Seite der Bund und die Länder - auf der anderen Seite die Städte und Kommunen?

Sebastian Schäfer: Die Kommunen sind verfassungsrechtlich Teil der Länder. Es gibt kein direktes Verhältnis vom Bund zu den Kommunen. Dadurch entsteht das von Ihnen beschriebene Spannungsverhältnis. Grundsätzlich gibt es dieses Spannungsverhältnis fast immer in den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Es wird in der Frage des Sondervermögens nicht produktiv aufgelöst. Es geht eher darum, den einfachen politischen Weg zu gehen, um die Gesetze durch den Bundesrat zu bringen. Wir können also nicht sicherstellen, dass die über Neuverschuldung finanzierten Bundesmittel die größtmögliche Wirkung entfalten. Dabei sind Schulden nur dann gerechtfertigt, wenn künftige Generationen davon profitieren, indem der Klimaschutz vorangebracht wird und das Wachstum gestärkt wird. Das passiert aber leider nicht. Die Schulden werden trotzdem aufgenommen und müssen zukünftig bezahlt werden.


„Entscheidend ist, dass wir wieder zu stärkerem Wachstum kommen.“
Sebastian Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen)

Mit Blick auf das von Ihnen angesprochene Finanzdefizit der Kommunen von knapp 25 Milliarden Euro fordern Sie in einem Antrag, die Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle der Kommunen zu stärken. Was ist damit konkret gemeint?

Sebastian Schäfer: Entscheidend ist, dass wir wieder zu stärkerem Wachstum kommen. Die Gewerbesteuer wird dann steigen, wenn wir mit der Konjunktur vorankommen. Auch deshalb ist es so wichtig, das Sondervermögen sinnvoll einzusetzen - für Wirtschaftswachstum, aber natürlich auch für den Klimaschutz. 

Des Weiteren verlangen die Grünen eine deutliche Anpassung der Umsatzsteueranteile zugunsten der Kommunen. Im Bundeshaushalt fehlt aber ohnehin schon Geld. Wie soll das gegenfinanziert werden?

Sebastian Schäfer: Da gibt es etwa im Bereich der Steuern Handlungsmöglichkeiten. Zumindest die offensichtlichen Ungerechtigkeiten im Bereich der Erbschaftssteuer oder der Immobilienbesteuerung müssen dringend geschlossen werden - die Steuerfreiheit beispielsweise, wenn 300 Wohnungen vererbt werden. Es wird nicht gelingen, die aktuelle finanzielle gesamtstaatliche Situation allein durch Konsolidierungsmaßnahmen und Wachstum zu bewältigen. Wir brauchen da auch eine gerechte Finanzierung unseres Gemeinwesens.

Sie reden von Steuererhöhungen?

Sebastian Schäfer: Wer von vornherein jegliche Steuererhöhungen ideologisch ausschließt, wie es insbesondere die CSU tut, hat kein Interesse, unser Land wirklich voranzubringen.

Sind nicht aber Steuererhöhungen Gift für die wirtschaftliche Entwicklung?

Sebastian Schäfer: Man muss bei Steuererhöhungen in der Tat genau aufpassen, wie sie sich konjunkturell auswirken. Im Bereich der vermögensbezogenen Besteuerung gibt es aber durchaus Möglichkeiten, die der Wirtschaft nicht schaden würden und die wir auch angehen sollten. Derartige Möglichkeiten sieht ja auch der Finanzminister.


„Wir sehen doch, dass die Kommunen auch nach dem Ende des Sondervermögens noch große Investitionsbedarfe haben werden.“
Sebastian Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen)

Damit dringt er bei der Union aber nicht durch...

Sebastian Schäfer: CDU und CSU haben ja im Wahlkampf so getan, als ob es bei der Schuldenbremse keinerlei Änderungen bräuchte und man mit ein paar Reformen beim Bürgergeld und dem Bürokratieabbau die Finanznot auflösen könnte. Das ist nicht der Fall. Jetzt plant Bundeskanzler Merz mit fast einer Billion Euro Schulden und wir haben über 170 Milliarden Euro Löcher in der Finanzplanung.

Bei einer Sachverständigenanhörung im Haushaltsausschuss gab es viel Kritik. Glauben Sie, dass im parlamentarischen Verfahren noch nachgebessert wird? 

Sebastian Schäfer: Auch zum Errichtungsgesetz des Sondervermögens war das Urteil der Sachverständigen desaströs für die Bundesregierung. Das hat aber keinerlei Folgen nach sich gezogen. Ich befürchte jetzt Ähnliches.

Gibt es für Sie als Oppositionsfraktion denn nicht die Möglichkeit der Normenkontrollklage?

Sebastian Schäfer: Grundsätzlich schon. Allerdings reichen die Stimmen unserer Fraktion und der Linksfraktion dafür nicht aus. Wir prüfen gleichwohl Möglichkeiten, die wir darüber hinaus haben.

Das Sondervermögen wurde auch mit den Stimmen Ihrer Fraktion aufgelegt. Bereuen Sie rückblickend Ihre Zustimmung? 

Sebastian Schäfer: Unser Land braucht dringend Investitionen in die Sicherheit und in seine Zukunftsfähigkeit. Das Sondervermögen, auf das wir uns in dem engen Zeitfenster im Frühjahr geeint haben, war da nur ein Zwischenschritt. Wir sehen doch, dass die Kommunen auch nach dem Ende des Sondervermögens noch große Investitionsbedarfe haben werden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Schuldenbremsenreform-Kommission nun ihre Arbeit aufgenommen hat. Wir brauchen eine echte Reform der Schuldenbremse.

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