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Generaldebatte zur Politik der Bundesregierung : Eine Frage der Gerechtigkeit - aber was ist gerecht?

Der Kanzler schwört die Bevölkerung auf große Reformen ein, die Opposition sieht die Regierung auf einem Irrweg. Die Generaldebatte zum Haushalt 2025 im Überblick.

19.09.2025
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5 Min

Man nennt sie etwas flapsig Elefantenrunde, die traditionelle Aussprache zur Politik der Bundesregierung im Bundestag, immer mittwochs in der Haushaltswoche. Hier sprechen die (politischen) Schwergewichte, der Bundeskanzler und die Vorsitzenden der Fraktionen, auf der Regierungsbank versammeln sich die Ministerinnen und Minister der Koalition. Dreieinhalb Stunden dauert dieser Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition. Und eine gewisse Dickhäutigkeit ist durchaus von Vorteil, wenn Angriffe, Argumente und Zwischenrufe bisweilen wie Pfeile durch das Plenum sausen.

Foto: picture alliance / dts-Agentur

Oppositionsführerin Alice Weidel (AfD) warf dem Kanzler Wortbruch und "Umfallerei" vor. Der nahm es auf der Regierungsbank betont gelassen.

Auch diesmal rechneten die Oppositionsfraktionen AfD, Grüne und Linke schonungslos mit der Politik der schwarz-roten Koalition ab. AfD-Co-Fraktionschefin Alice Weidel und die Linksfraktion kassierten wegen herablassender Äußerungen Rügen von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und der von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgerufene "Herbst der Reformen" avancierte mal zum "Herbst der leeren Worte" (AfD), mal zum "Herbst der sozialen Grausamkeiten" (Linke).

Weidel hält Merz "Kriegstreiberei" und Wortbruch vor

Den Auftakt machte als Vertreterin der größten Oppositionsfraktion Alice Weidel. Mag die AfD bis vor Kurzem noch eine gewisse Nähe zur Union gesucht haben, um möglichen Koalitionen auf Landesebene den Weg zu bereiten - in der Generaldebatte  ging Weidel auf maximale Distanz. In ruhigem Tonfall zeichnete sie das Bild einer zu weit links stehenden, nicht mehr konservativen Regierungspartei, die selbst zum tödlichen Attentat auf den rechtskonservativen US-amerikanischen Influencer Charlie Kirk kein Wort verliert. Kirk sei ein "mutiger Verteidiger der Werte" gewesen, sagte Weidel, "für die auch Ihre Partei vor langer Zeit einmal stand".

Ihrer Ansicht nach setzt Merz die linke Politik der Vorgängerregierung fort, beim Bürgergeld wie in der Energie- und Migrationspolitik. Mit Blick auf die Ukraine hielt Weidel der Koalition "Kriegstreiberei" vor; sie sabotiere die Bestrebungen des US-Präsidenten, den Ukraine-Krieg schnell zu beenden. Ihr Fazit: "Das Ergebnis der Reformverweigerung und der CDU-Umfallerei in Serie ist ein zusammengeschusterter, verantwortungsloser Haushalt ohne Maß und Ziel, der kein einziges Problem löst."

Diesmal lässt der Kanzler sich nicht provozieren

Der Bundeskanzler ging mit keinem Wort auf Weidel ein. Hatte er ihre Angriffe in der Generaldebatte im Juli noch strikt zurückgewiesen, überließ er die Abteilung Attacke diesmal den Fraktionschefs Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) und konzentrierte sich darauf, die Bevölkerung auf tiefgreifende Reformen in Wirtschaft und Sozialsystem einzuschwören. 

Es gehe um grundsätzliche Entscheidungen, sagte Merz, etwa müsse der Generationenvertrag neu gedacht werden: Junge Menschen dürften nicht zusätzlich belastet werden, Ältere müssten ihren Ruhestand in wirtschaftlicher Sicherheit genießen können. Bei der Reform des Bürgergeldes, bei dem künftig gespart werden soll, gehe es nicht darum, "Menschen, die nicht arbeiten können, das Leben noch schwerer zu machen", stellte Merz klar. Aber alle, die es könnten, sollten das auch tun. Für ihn wie für Spahn eine "Frage der sozialen Gerechtigkeit".


„Die SPD steht zu einem Sozialstaat, der dem einzelnen Sicherheit gibt, wenn er krank ist, wenn er arbeitslos ist und auch wenn er alt ist.“
Matthias Miersch (SPD)

Forderungen von Linken und Grünen, mehr Geld von Vermögenden heranzuziehen, erteilte Merz erneut eine Absage. Soziale Versprechen ließen sich nicht halten, "indem wir wenigen, sind sie auch noch so reich, möglichst viel nehmen", urteilte er. Einen anderen Akzent hatte Spahn zuletzt gesetzt: In der ZDF-Sendung Maybrit Illner sprach er kritisch über die Vermögensverteilung in Deutschland und zeigte sich offen für eine Reform der Erbschaftssteuer. Derart konkrete Maßnahmen nannte Merz nicht, sicherte aber zu, dass die Koalition in den nächsten Wochen weitere Reformvorschläge vorlegen werde. "Wir gehen voran." Die Rahmenbedingungen im Land würden bald spürbar besser werden.

Spahn bezeichnet Weidel als “Kostüm-Konservative”

"Diese Koalition liefert", betonte auch Spahn. Er verwies unter anderem auf das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität, das verlässliche Rahmenbedingungen für öffentliche Investitionen in Brücken, Straßen und Schienen schaffe. Flankiert würden sie von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, wie Entlastungen bei Unternehmenssteuern und Energiekosten, um langfristiges Wachstum zu ermöglichen. Nur dann könne sich Deutschland "die Schulden, die wir richtigerweise machen" leisten.

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Den Linken warf Spahn vor, den Sozialismus zu verklären, Weidel bezeichnete er als "Kostüm-Konservative": "Ihr martialischer Populismus, Ihr Radikalismus der Sprache, der zeigt Ihr wahres Gesicht."

Wenn sich Leistung nicht mehr lohne, beginne das Geschäft der Populisten, warnte er. Deshalb wolle die Koalition das Empfinden für Gerechtigkeit in Deutschland wiederherstellen.

Dass es hierzu auch innerhalb der Regierung noch Gesprächsbedarf gibt, machte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch deutlich. Die Reform der Sozialsysteme sei "notwendig", Missbrauch müsse Einhalt geboten werden, betonte er. Doch zur Gerechtigkeit gehöre, dass sich an der Finanzierung auch "die großen, großen Vermögen" stärker beteiligen. Er äußerte die Hoffnung, dass die Bundesregierung sich wegen einer anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer, ohnehin mit dem Thema auseinandersetzen müsse. Die SPD, versicherte Miersch, stehe zu einem Sozialstaat, "der dem einzelnen Sicherheit gibt, wenn er krank ist, wenn er arbeitslos ist und auch wenn er alt ist". An die AfD gewandt sagte er, sie betreibe "Kamikaze", wenn sie die deutschen Beiträge an die EU kürzen wolle. Deutschland brauche die EU in diesen Zeiten, zur Verteidigung seiner Werte und für die Wirtschaft.

Dröge lädt den Bundeskanzler in ihren Wahlkreis ein

Grüne und Linke warfen der Bundesregierung mangelnden Gerechtigkeitssinn vor. "Sie machen Politik für die Falschen", befand Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge und lud Merz in ihren Wahlkreis nach Köln-Chorweiler ein, um den Menschen, oft alleinerziehend und Bürgergeld-Empfänger, ins Gesicht zu sagen, sie müssten sich mehr anstrengen, "Ich vermute, dazu wären Sie nicht in der Lage." Die Menschen warteten auf das Geld, dass der Kanzler ihnen versprochen habe.

Heidi Reichinnek, Linken-Co-Fraktionschefin, nannte die Politik der Koalition "widerlich". Diese rede immer von Sicherheit, meine damit aber "grenzenlose Investitionen in die Rüstung". Dabei wüssten die Menschen nicht mehr, wie sie Strom, Mieten und Lebensmittel bezahlen sollten. Reichinnek empfahl Merz den Besuch einer Tafel oder Obdachlosenunterkunft. "Sagen Sie denen, dass sie über ihre Verhältnisse leben."

Die Diskussion dürfte kommenden Mittwoch in die nächste Runde gehen. Dann treffen die Elefanten wieder aufeinander, diesmal geht es um den Haushalt für 2026.

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