Unbeeindruckt von der Umarmungsstrategie : Merz weist Avancen der AfD zurück
Die Koalition bemüht sich während der Generaldebatte zum Haushalt 2026 um ein einheitliches Bild in der Rentenfrage. Kanzler Merz erteilt der AfD eine Absage.
Es lief zuletzt nicht alles rund für Friedrich Merz. Der Umgang mit der SPD ist schwierig. Trotz leichter wirtschaftlicher Aufhellungen am Horizont wurde die Union in Umfragen von der AfD eingeholt, bisweilen auch überholt. Seine eigenen Beliebtheitswerte sind im Keller. Und in der Kanzlerfraktion gärt es: Junge Unionsabgeordnete wollen die Rentenbeschlüsse der Koalition nicht mittragen, die Mehrheit im Bundestag wackelt. Statt vom Herbst der Reformen wird in Medien über Regierungskrisen geschrieben.
Den Kanzler ficht das alles nicht an. Mit sprichwörtlicher westfälischer Sturheit sieht er sich und seine Regierung auf erfolgreichem Reformkurs: "Wir lassen uns davon auch nicht abbringen durch kleinteiliges Gemäkel am Straßenrand", sagte er in der Generalaussprache zum Kanzleretat in der Haushaltsdebatte des Bundestags am Mittwoch. Das Wort "Gemäkel" gilt nicht den Rentenreform-Kritikern in den eigenen Reihen, die er mit keiner Silbe erwähnt, sondern der AfD-Chefin Alice Weidel, die ihn zuvor in einer halbstündigen Rede mit Kritik nur so überhäuft hatte.
AfD-Chefin Weidel vergleicht Zustand der Koalition mit der Titanic
Weidel greift zu dem bei Kritikern beliebten Bild vom sinkenden Schiff und spricht von einer "Koalition im Endstadium", die sie an den Untergang des Atlantikdampfers Titanic erinnere. “Deutschland hat Schlagseite, die Schotten laufen voll, aber Sie lassen die Bordkapelle immer die gleichen Beruhigungsmelodien spielen.”
„Wir sind auf dem Weg zu modernsten Technologien in Deutschland.“
Der Kapitän habe nichts mehr zu sagen und schaue einfach zu, weil ihm der erste Offizier die Kapitänsmütze geklaut habe. Als erster Offizier ist SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil gemeint, dem sie unterstellt, das Kommando an sich gerissen zu haben. Kapitän Merz hingegen habe sich mit der "Brandmauer" zum "Gefangenen der linken Einheitsfront" gemacht. Dabei liegt für Weidel die Lösung so nah: Die Wähler hätten doch mehrheitlich Mitte-Rechts gewählt, sagt sie und bietet der Union eine Zusammenarbeit an. Merz und die Abgeordneten der umworbenen Union nehmen das mit versteinerten Mienen zur Kenntnis. Zuspruch erfährt Weidel nicht.
Die AfD-Politikerin setzt ihre Attacken unbeirrt fort: "Deutschland kann sich dieses Narrentheater nicht weiter leisten. Die Krise ist da." Krisenherde sind für sie die unfinanzierbar gewordenen Sozialsysteme. Millionen Menschen seien unkontrolliert ins Land gekommen und zum Teil direkt in die Sozialkassen gewandert. Das Bürgergeld sei längst zu einem "Migrantengeld" geworden. Es gebe eine Million abgelehnte Asylbewerber, aber von der angekündigten Abschiebeoffensive sei weiterhin nichts zu sehen. "Während die Grenzen weiter offen stehen, verwandeln sich unsere Weihnachtsmärkte in Festungen oder werden gleich ganz abgesagt", so Weidel.
AfD will mit “Deutschland-Plan” die Krisen im Land lösen
Neues Wachstum nach dreijährigem Stillstand, worüber der Kanzler später sprechen wird, sieht Weidel nicht. 50.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie seien weggefallen, die Zahl der Insolvenzen werde massiv steigen. Ursache des Problems sei die hausgemachte Energiekrise durch die willkürlich verhängte "Steuer auf Luft", wie sie die CO2-Besteuerung nennt. Merz nenne das noch ein marktwirtschaftliches Instrument: "Weiter kann man den grünen Irrsinn nicht auf die Spitze treiben", beklagt die AfD-Politikerin.
„Die Absenkung des Rentenniveaus hat bereits unter einer SPD-geführten Regierung begonnen.“
Weidel stellt einen Deutschland-Plan zur Behebung der Krise vor. Dazu gehören unter anderem eine sofortige Beendigung der Energiewende und ein Wiedereinstieg in die Kernkraft. Öl und Gas sollten dort gekauft werden, wo es am günstigsten sei - in Russland. Außerdem fordert sie den Verzicht auf das Verbrennerverbot und ein Ende der Förderung von Nichtregierungsorganisationen.
Die Rentenversicherung müsse von allen Fremdkosten entlastet und durch Kapitalelemente gestützt werden. Zu den weiteren Themen gehört neben der ausnahmslosen Zurückweisung aller Illegalen an den Grenzen das Ende der Anspruchseinbürgerung - alles Forderungen, die Unionsfraktionschef Jens Spahn mit der Bemerkung, das sei "Harakiri für Deutschland" beiseite wischt.
Chance auf Frieden in der Ukraine durch den Plan von Donald Trump?
Wie weit Union und AfD auseinanderliegen, wird an der Außen- und Sicherheitspolitik besonders deutlich. Für Weidel gibt es "Gott sei Dank" durch US-Präsident Donald Trump die reelle Chance auf einen Frieden in der Ukraine, zu dem Merz und die Koalition nichts beigetragen hätten, was Spahn zu der Bemerkung veranlasst, Weidel rede wie die "fünfte Kolonne Putins" - auch eine Anspielung darauf, dass Weidel die Kontakte ihrer Partei zu Russland (aber auch zu den USA) hervorgehoben hatte.
Der Kanzler geht diplomatischer vor, lässt aber in seiner schwungvoll vorgetragenen Rede keinen Zweifel an der Unvereinbarkeit der Positionen von Union und AfD. Er begrüße das Engagement der USA, aber über europäische Angelegenheiten könne nur im Einvernehmen mit Europa entschieden werden, sagt Merz zu Trumps Friedensplan. Europa sei kein Spielball, sondern souveräner Akteur für seine eigenen Interessen und Werte. Einen Frieden durch Kapitulation der Ukraine lehnt er ab. Drastischer, aber inhaltlich gleich lautet die Argumentation der Grünen: Deren Fraktionschefin Britta Haßelmann nennt den Trump-Plan einen "Unterwerfungsplan".
Kanzler sieht Deutschland und Frankreich bei Digitalisierung vorangehen
Merz nimmt sich Kremlchef Putin vor, der den Krieg morgen beenden könne, wenn er seine Truppen abziehe. Deutschland werde in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen. Die eingefrorenen russischen Vermögenswerte sollten auch dafür verfügbar gemacht werden, fordert Merz erneut. Haßelmann reagiert darauf mit der Bemerkung, ihn beim Wort nehmen zu wollen.
Es rumort in der Koalition: Während der Generaldebatte am Mittwochvormittag steckten auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, links) und Außenminister Johann Wadephul (CDU) die Köpfe zusammen.
Im zweiten Teil seiner Rede begibt sich der Kanzler zurück in die innenpolitischen Niederungen. Die Wirtschaft will er wieder wettbewerbsfähig machen. Deutschland und Frankreich würden außerdem bei der Digitalisierung vorangehen. Ziel sei digitale Souveränität in Europa. Begleitet werde dies durch eine High-Tech-Agenda mit Künstlicher Intelligenz, Quantentechnologie, Biotechnologie und Fusion für klimaneutrale Energieversorgung. "Wir sind auf dem Weg zu modernsten Technologien in Deutschland", stellt er zufrieden fest.
Zuletzt kommt er zum unionsinternen Minenfeld, der Rente. Merz lobt die auf den Weg gebrachte Aktivrente als Anreiz, länger zu arbeiten. Man gehe den Weg der Freiwilligkeit. Das sei aber nur ein Baustein von Reformen, die jetzt vorbereitet würden, sagt Metz und verweist auf die Rentenkommission der Regierung, die ein Sozialstaatsmodell entwickeln soll, das jahrzehntelang Bestand haben könne.
Die Rentenkommission soll die großen Linien klären
Auf die sicher erwartbare Kritik auch aus den eigenen Reihen, es würden nur Probleme in Arbeitskreise verschoben, geht Merz schon vorher ein: Nein, das sei keine Strategie der Politikvermeidung oder -verzögerung. Im Gegenteil: "Wir gehen mit hohem Tempo an die Arbeit." Wie Merz erwähnt auch Spahn die interne Kritik nicht, lässt aber durchblicken, wie er ihr den Wind aus den Segeln nehmen will: Der Beschluss der Koalition heißt jetzt "Rentenpaket 1". Das heißt an die Adresse der Kritiker: Es wird noch ein Rentenpaket 2 kommen, für das die Kommission Vorschläge machen soll. Über exakte Zahlen, wie hoch das Rentenniveau (derzeit 48 Prozent des Durchschnittslohns) in Zukunft aussehen soll, sprechen beide nicht.
Von den Gegensätzen in der Koalition zum Rentenpaket und -niveau ist an diesem Tag fast nichts zu merken. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bringt einmal, offenbar mit Blick auf die unionsinterne Diskussion, seine Verwunderung zum Ausdruck, dass abstrakt über Milliardensummen gesprochen werde, obwohl es doch um Menschen gehe. Wie Merz und Spahn sagt aber auch Miersch, die Rentenkommission solle jetzt die großen Linien klären. "Dass das Sozialsystem weiter trägt, ist für uns ein ganz entschiedenes Anliegen", versichert Miersch, der sich allerdings vom Linken-Fraktionschef Sören Pellmann daran erinnern lassen muss, dass die Absenkung des Rentenniveaus unter einer SPD-Regierung begonnen habe. Die Altersarmut habe sich seitdem verdoppelt, so Pellmanns Befund. Die Uneinigkeit in der Union und in der Koalition ist auch für die Grünen ein großes Thema. Haßelmann sagt, die Unionsfraktion sei "komplett unberechenbar" geworden.
Immer wieder geht es in den Reden um die AfD. Wenn die sich jetzt damit brüste, gute Kontakte zu Russland zu haben, wisse man, welche Gefahren von der AfD ausgingen, sagt Haßelmann: "Sie ist gefährlich auch für unsere Sicherheit." Miersch bezeichnet die AfD als "Sicherheitsrisiko" für Deutschland - ein Konter gegen Weidel, die der SPD vorher vorgeworfen hatte, den politischen Wettbewerb durch "stumpfsinnige demokratiefeindliche Verbotsfantasien" zu ersetzen.
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